Weil die Ausführungen Breygers ziemlich vehement sind, könnte man auf den Gedanken kommen, es gehe hier nur um persönliche Wahrnehmungen. Ich weiß auch nicht, wie gut oder schlecht die Gedichte Czolleks ihrem Thema gerecht werden. Darüber möchte ich ausdrücklich nicht befinden.
Dennoch offenbart sich vermutlich an dieser Differenz in der ästhetischen Auffassung Wesentliches. Dies vorweg: ich teile Czolleks Unbehagen an bestimmten (atavistischen) Denkweisen europäischer, insbesondere auch deutscher Tradition, gerade auch in der Praxis. Da klingen sehr grundlegende, berechtigte Probleme an. Wie aber sollen sie gelöst werden? Dazu sagt Czollek in seinem Aufsatz sehr wenig – es steht aber zu vermuten (wenn man sein Umfeld und seine Tätigkeiten und bisherigen poetologischen Statements liest), dass ihm (und da steht er nur symptomatisch für eine sehr weit verbreitete Position) die Berücksichting migrantischer und diskriminierter Positionen bereits die fällige Veränderung bedeuten.
Breygers Kritik weist, unabhängig von der Frage, ob an Czollek das sich so exemplarisch zeigen lässt, auf eine Gefahr hin, die eine simplifizierende, (vermeintlich) politische Ästhetik mit sich bringt: die der Doktrin, die künstlerische Totgeburten zeitigt und unter Umständen komplexere Wahrnehmungen verdrängt und ihrerseits auszuschließen sucht.
Hendrik Jackson
Kleines PS, das nur indirekt zur Sache tut, aber um nicht missverstanden zu werden:
Dass der Lyrikbetrieb total verschlafen ist, stimmt schon auch (und Breyger wie Czollek würden dem wohl zustimmen). Verbeamtet, richtlinientreu, oder, wie es in einem alten Aufsatz auf lyrikkritik, den ich aus diesem Anlass hier zitieren möchte und auf ihn verlinke (auch weil er inzwischen schwer zu finden ist), heißt: „Neben ihnen [den großen, wichtigen, weißen Werken] soll alles wie Stückwerk aussehen, wie halb gar, hingeschmiert und kaum zu Ende gedacht.“ Ja genau, und solide soll es sein, und jetzt auch noch gerecht und divers, aber bitte nicht zu sehr. Kurzum: alles auf Seriösität, auf Schlafbaumlyrik gepolt. Ach, Stiefelhoff!