Die Politiker (von Wolfram Lotz)

Was sind eigentlich Politiker? Wir sehen ja täglich welche, in der Tagesschau, im Internet, in der Zeitung, hören von ihnen im Radio. Man kann durchaus sagen, Politiker sind so allgegenwärtig wie Singvögel, man lebt halt mit ihnen, und sie werden erst dann wirklich interessant, wenn man ihnen genaue Aufmerksamkeit widmet.

“Die Politiker” von Wolfram Lotz tut das, es widmet den Politikern Aufmerksamkeit. Aber mehr als das, es widmet auch dem Nachdenken über Politiker (also den Personen) sowie über Politik (also dem Sachverhalt, Gebilde, Gedankengebäude, der Metapher) Aufmerksamkeit. Und es widmet nicht zuletzt einem sprechenden, nachdenkenden Subjekt Aufmerksamkeit, das all dem oben gesagten Aufmerksamkeit widmet.

Auf der Homepage seines Theaterverlags steht im Infokasten zu “Die Politiker”, dass hier der Lyriker Wolfram Lotz für das Theater geschrieben habe. In einem Portrait in der Süddeutschen Zeitung heißt der Text auch “Sprechgedicht”, es ist die Rede von einem Gedicht, das gesprochen werden muss. Was ja bis mindestens ins Mittelalter das Normalste der Welt war. Oder sogar noch mehr, nämlich, ein Gedicht wurde gesungen. Und Bezüge zum Gesang gibt es in “Die Politiker” schon: Der Text ist stringent rhythmisch und zum Teil auch gereimt, er ließe sich durchaus singen, allerdings wäre das eher kein melodischer Gesang, sondern vielleicht eine Art Gebrüll. Am ehesten ein scharfer Sprechgesang. 

Umgekehrt war ja auch bis mindestens ins 18. Jahrhundert der Begriff vom “Lyrischen Drama” präsent, das eben eher gesungen als gesprochen wurde. Aber gesprochen werden ist wahrscheinlich die naheliegendste Variante (wie der Autor selbst den Text spricht, kann man in einem Link am Ende des Textes hören) “Die Politiker” wurde bereits am Deutschen Theater in Berlin – was sagt man hier am besten: aufgeführt? Inszeniert? Vielleicht kann man einfach sagen, es wurde von einer Schauspielerin gesprochen. 

Trotzdem ist “Die Politiker” auch ein Gedichtband, mit einem einzigen langen Gedicht darin, das man daheim ganz für sich lesen kann, sogar, ohne es dabei zu sprechen, also alles laut auszusprechen. Es ist nicht der erste Text des hauptsächlich als Dramatiker bekannten Wolfram Lotz, der nicht ganz deutlich ein Theaterstück ist. 2012 veröffentlichte er bei der Parasitenpresse “Fusseln”, das den Untertitel “Liste” trägt, und das ist es auch, eine Liste mit allen möglichen Dingen, Vorkommnissen, Ereignissen, Sprengseln, ungeordnet, sodass es schon wieder sehr ordentlich eine Gegenwart abbildet.

“Die Politiker” verfährt scheinbar ähnlich, es listet auf den ersten Blick mehr oder weniger absurde Handlungssplitter oder Beschreibungen dessen auf, was Politiker tun:

Die Politiker die Politiker die Politiker
die Politiker-

Die Politiker die Politiker die Politiker
die Politiker-

Die Politiker gehen die verschneiten Hänge hinab
ich sehe sie aus der Entfernung

Was haben sie vor?

Oder etwas später:

Die Politiker kochen Kartoffeln
schneiden sie in Scheiben
würfeln Zwiebeln und Speck
und braten es an in der Pfanne

Bratkartoffeln nennt man das, ihr Idioten!

Interessant ist, dass gleich zu Anfang die Position eines sprechenden Subjekts ziemlich deutlich zum Vorschein kommt, und somit ist “Die Politiker” alles andere als eine reine Auflistung. Der Text, so viel kann man schon mal spoilern, verhandelt und zeigt auch – so dezent wie brachial – einen Zustand dieses sprechenden Subjekts, eine Art Raserei, manchmal auch Blödelei, immer an einen konkreten Gegenstand gebunden. Da sitzt jemand am Schreibtisch, spricht tatsächlich über Politiik, ohne dabei in einem erwartbaren Sinn über Politik zu sprechen. Die Politiker in Lotz’ Text fahren mit der Bahn und trinken Wein, aber sie fragen auch, wie das “fünfte Album von Beyoncé” heißt. Die Politiker wollen natürlich nur unser Geld, und sie wissen nicht, was passiert, wenn man Essig in die Milch kippt.

In seiner Reduktion, in der Wiederholung kurzer Verse, auch, wie es mit Reimen umgeht, knüpft “Die Politiker” manchmal ein bisschen an konkrete Poesie an, ohne sie einfach etwas anachronistisch fortzuführen.

Stellenweise unterläuft es ziemlich witzig seine eigene Blödelei, indem es noch absurdere Reime herstellt, als man denkt, dass es an dieser Stelle überhaupt noch möglich wäre:

Die Politiker schlafen auf dem Bauch und da
schlafe ich auch

Rauch! Rauch! Rauch!
Die Politiker sind Rauch!
Und wir, wir –

Gartenschlauch!

Das hat etwas von Kinderreimen und zieht in den gesamten Text immer wieder eine Spur Unbekümmertheit, die aber auch als Wutausbruch gelesen werden kann, über die Machtlosigkeit des Individuums angesichts einer Maschinerie aus Politik, mit Politikern, die sich darin zugange machen. Das sprechende, nachdenkende, schreibende Subjekt, von dem weiter oben schon die Rede war, kommt später auch noch viel deutlicher ins Spiel, da ist sogar von “Wolfram” die Rede, und von dessen Mutter:

Die Politiker fragen: Wolfram
wie oft
rufst du deine Mutter an?

Wie oft
rufst du deine Mutter an?

Und es stimmt, ich tue es fast nie

Und es stimmt ja, geradzu unheimlich unmerklich schleichen sich die Politiker in unser Privatwesen, als eine Art Gewissen, das uns – siehe Tagesschau, siehe Internet, siehe Radio – ständig umgibt.

“Die Politiker” ist ein eminent politischer Text, der das Wesen der Politik in seiner für Betrachter*innen immer auch nicht ganz fassbaren, sowohl tragischen, bürokratischen und absurden Dimension zu verstehen, mindestens aber abzubilden versucht. Politik, der man ausgeliefert ist, aber die man gleichwohl auch mit Spott überziehen, sie sachlich betrachten, sie überhöhen und ihr so irgendwie beikommen kann.

“Die Politiker” hat einen guten Kniff angewendet, um den Gefahren der jeweils anderen Gattung – Dramatik hier, Lyrik da – zu entkommen, die da wären (auf beiden Seiten sind es die gleichen): Abgleiten in reine Blödelei, Bedeutungsüberproduktion, auf Krampf einen auf politische Literatur machen. Indem es jederzeit so einfach auf die jeweils andere Seite springen kann. Ist es nämlich gerade ein Gedicht, kann es plötzlich deutlich den*die Sprecher*in etablieren, der*die sich in einer Sprechposition zeigt. Die steht zuerst noch im Gedicht, gleitet aber mehr und mehr in ein dramatisches Sprechen. In folgender Textstelle zum Beispiel das plötzliche Auftauchen einer Katze, es simuliert – oder bildet sie tatsächlich ab – die Situation des vorerst noch schreibenden Subjekts. Das ist so witzig, wie es das Ganze auch glaubwürdig, weil geerdet macht, plus kommt ein sehr verführerisches dramatisches Element dazu:

Alles geht wann fort
alles geht wann fort

Und trotzdem nicht an einen anderen Ort
Und trotzdem nicht an einen anderen

Katze

Katze

Katze jetzt wo es grad wirklich passt im Text
willst du hinaus

na gut du warst ja eine Weile hier
bei mir

Jede Katze die hinausgeht
kommt aus dem Gedicht hier raus
jede Katze die hinausgeht
kommt aus dem Gedicht hier raus

okay, es ist
okay

geh

geh ruhig, geh

“Die Politiker” ist zugleich extrem reduziert und hat genau dadurch größtmögliche Offenheit für Lesarten, Sprecharten, Inszenierungen – mit etwas zu viel Pathos könnte man sagen, der Text ist ziemlich wahr. Sagen wir lieber, “Die Politiker” ist zutreffend. Der Text trifft etwas von einer Gegenwart, die man so irgendwie ganz gut kennt, aber die man so noch nie gekannt hat. Obwohl “Die Politiker” keine große Zaubershow ist, die noch nie gesehene und gehörte neuartige Verfahren der Dichtung auffährt, ist es aber doch genau das. Eine Show ist es schon, eine Bühnenshow. Und ein stiller Text, und ein Gebrüll, und ein super Gedicht, ein Theaterstück mit Handlung, ein winziger Moment, eine Nacht, in dem der Lyriker Wolfram Lotz am Tisch saß und über die Politiker nachdachte und ein Drama schrieb, oder auch keins. Es macht großen Spaß, “Die Politiker” zu lesen, es macht sicher auch großen Spaß, es gesprochen zu hören und zu sehen.

Martina Hefter

 

Wolfram Lotz, Die Politiker
Spector Books, Leipzig
96 Seiten, 10 Euro

https://www.youtube.com/watch?v=m7gCk0Mv_x0

https://www.sueddeutsche.de/kultur/wolfram-lotz-die-politiker-1.4583292