Die Smartfonglotzer

ЧИТАТЕЛИ ГАЗЕТ

 

Ползёт подземный змей,

Ползёт, везёт людей.

И каждый — со своей

Газетой (со своей

Экземой!) Жвачный тик,

Газетный костоед.

Жеватели мастик,

Читатели газет.

 

Кто — чтец? Старик? Атлет?

Солдат? — Ни чéрт, ни лиц,

Ни лет. Скелет — раз нет

Лица: газетный лист!

Которым — весь Париж

С лба до пупа одет.

Брось, девушка!

                     Родишь — 

Читателя газет.

 

Кача — «живёт с сестрой» —

ются — «убил отца!» —

Качаются — тщетой

Накачиваются.

 

Что для таких господ —

Закат или рассвет?

Глотатели пустот,

Читатели газет!

 

Газет — читай: клевет,

Газет — читай: растрат.

Что ни столбец — навет,

Что ни абзац — отврат…

 

О, с чем на Страшный суд

Предстанете: на свет!

Хвататели минут,

Читатели газет!

 

— Пошёл! Пропал! Исчез!

Стар материнский страх.

Мать! Гуттенбергов пресс

Страшней, чем Шварцев прах!

 

Уж лучше на погост, —

Чем в гнойный лазарет

Чесателей корост,

Читателей газет!

 

Кто наших сыновей

Гноит во цвете лет?

Смесители кровéй,

Писатели газет!

 

Вот, други, — и куда

Сильней, чем в сих строках! —

Чтo думаю, когда

С рукописью в руках

 

Стою перед лицом

— Пустее места — нет! —

Так значит — нелицом

Редактора газет-

 

ной нечисти.

 

Ванв, 1 — 15 ноября 1935

 

 

Die Zeitungsleser

 

Die Schlange kraucht im Lehm

sie schleicht, verführt die Stadt

nur jedem ja sein Blatt

und jedem sein Ekzem.

Zerkäuer-Tick: den Leim

den Knochenfraß, den rafft

und stopft sich stumm hinein:

Die Zeitungsleserschaft.

 

Wer liest? Ein Greis? Athlet?

Soldat? Wer weiß? – Gesicht:

versteckt (Skelett!) – wo nichts

zu sehn ist bleibt die Seit-

e Zeitung – ganz Paris 

ist weg – verschluckt – ist blind.

Lass, Mädchen, sonst gebierst

ein Zeitungsleserkind. 

 

Sie schau- „die Schwester – Mord!“

-keln so – „der Vater – tot!“

Sie pumpen, schwanken fort:

Ein vollgelaufnes Boot.

 

Was ist schon diesen Herrn

die Sonnenaufgangsglut?

Sie schluckt die Leere gern

die Zeitungsleserflut.

 

Die Zeitungs- lies: Verblend-

ung; Zeitungs- lies: Verleumd-

ung; seitenweis Verschwend-

ung; scheußlich wie es schäumt.

 

Womit geh’n sie zum Tag

des Lichts (da Gott sie straft)?

Die Häscher jeden Schlags

der Zeit – die Leserschaft?

 

Verschwunden! Weg! Verschluckt!

Mama! Bedenk im Schreck:

Nach Gutenbergschem Druck

Ist Schwarzens Pulver Dreck!

 

Nein, lieber in ein Grab

Als in das Lazarett

des Schorfabschaberstabs

der Leser eines Blatts.

 

Und unsrer Söhne Sturz

– bevor sie blühn! – gelingt:

Den Mischern allen Bluts

Dem Zeitungsschreiberling.

 

Dies, Freunde, fällt mir ein

(mit ungestümer Kraft)

wenn ich allein mit mein-

em handbeschriebnem Heft

 

Dort steh: vor dem Gesicht

– das leerste weit und breit –

d.h. vorm Nicht-Gesicht

des Redakteurs der Zeit-

 

ungsunreinheit

 

 

Die Smartfonglotzer

 

Die Schlange kraucht im Lehm

sie schleicht, verführt die Stadt

und jede/r am Gerät

mit seinem smart-Ekzem.

Ins schwarze Loch gestopft:

Es frisst sie auf, man glotzt

und wischt – bleibt stets allein:

Das Smartfonglotzersein.

 

Was schaut der Greis? Soldat?

Wer weiß! Sind alle gleich vorm Smart-

fongott – absent und stult –

und niemand, klar, ist Schuld!

Lass, Mädchen! Aussicht – trüb:

ein Smartfonglotzerbub.

 

Das Video? Gebloggt?

Die vierte Staffel rockt!

Schwarzpulver war ein Witz

verglichen mit Graphit!

 

Mal Sonne, Abenteuer, Meer?

Nein, bin ja so schon fern.

Sie sind so selig, wenn sie stiern

und sich im Chatdickicht verliern.

 

Ein Bild als Instantgruß!

Dafür schon tausend Likes!

Wer was – mit wem? – ein Kuss!

Man ist, wenn man sich zeigt.

 

Gesichtsbuch quirlt und schäumt

von Theorien, Verleumd

nung… Uboot, das noch sinkt

und sinkt noch tiefer, dringt

 

in dich – bis aufs Skelett. 

Nein, lieber als im Smart

fongrab – ins Lazarett

da liegt man doch noch hart

 

und echt. Die Jugend – schlaff 

von zu viel Arbeit, Geld?

Nein: alles schluckt und rafft

die Smartfonglotzerwelt.

 

Das alles, Freunde, denk

ich, steh ich vorm Gesicht

– so leer, in nichts versenkt:

Gesicht ists grade nicht! –

 

so einer allvernetzt-

en wordwide-Missgeburt.

Und jeder Klick – verätzt.

Und jeder link verdörrt

 

ihm das Gehirn … „Ruf an!“

– entwischt – schon im Nirwan-

a seiner Smartfonapp

wo alle Kraft verebbt …

 

(2017)

 

Die Smartfonglotzer
eine Äquivalenzübertragung

In Zwetajewas Gedicht über die Zeitungsleser mischt sich nicht nur Verachtung der geistlosen oder zumindest geistesabwesenden Massen der Großstadt mit einer Kritik an der Niveaulosigkeit des Journaillen, in ihm kommt ein wesentlicherer Weltschmerz zum Ausdruck: Verbitterung über die fehlende Menschlichkeit, darüber, dass jedes beliebige Ferne dem Menschen näher ist als der Nächste, der Mensch, das Gegenüber. Es ist nicht nur Kritik an Fremdbestimmtheit, Gedankenlosigkeit und Zivilisationskrankheiten, es ist auch Kritik an Verdinglichung. Ob dabei Zwetajewa auch die Leser, Leserinnen, die nicht hinter einer Zeitung, sondern einem Schundroman versinken, verdammen würde, sei dahingestellt.

Man kann Übersetzungen historisch gestalten – und in diesem Fall Zwetajewas Stein des Anstoßes ins Jetzt übertragen – dann wirkt das Gedicht immer noch, aber zugleich auch ein wenig putzig – denn was würden wir manchmal nicht dafür geben, wenn die Menschen wenigstens Zeitung lesen würden, wenn es wieder mehr blätterte, statt piepte, die Versunkheit keinem blinkenden Wurm-Spiel, sondern einem Hintergrundartikel gelten würde.

Man kann aber auch das Anliegen selbst in unsere Zeit und Sprache übertragen, die Zeitgenossenschaft wieder herstellen. Dazu muss man manchmal bei Übertragungen nur ein Rädchen verstellen – und alles andere ergibt sich von selbst. Hier fußt diese kleine Veränderung auf der fast schon banalen Analogie Zeitung – Smartfon, die auf der Hand liegt, nicht nur, weil heutzutage news fast nur noch über Onlineportale abgerufen werden, sondern weil das Suchtpotential der smartfons, die Absenzsogkraft die der Zeitungen bei weitem noch übersteigt. Auch ist das Niveau der Onlinezeitungen inzwischen meist niedriger als das der Druckausgaben, klicksüchtig und sensationsheischend. 

Vor allem aber ist der Sog in die Ferne bei weitestgehender Vernachlässigung des Nächsten, der nahen Umgebung, ja sogar der Freunde/Verwandten/Schulkameraden nicht nur durch das smartfon maximalisiert, sondern regelrecht vollendet. Zeitgeschichtliche Tendenzen schwellen an bis zu einem Punkt der Unumkehrbarkeit: ab da ist die neue Tendenz nicht mehr nur modisch führend, sondern das Alte bekommt Patina und steht im Weg.

Nie stand die unmittelbare Welt, das Erdige unseres je individuellen Zeit-Raum-Punktes so auf verlorenem Posten wie jetzt. Biographien lösen sich auf, das Gefühl für diesen Ort, diesen Menschen geht verloren. Vernetzung des Fernsten und globalisierte Verdinglichung, Pulverisierung des Zeit-Raum-Kontinuums unseres Lebens hin zum Überallsein und Alles-ein-bißchen-Wissen haben den weltweiten Siegeszug angetreten. Wer jetzt noch in Niemandsbuchten meditiert, ist entweder ein rettungslos Antiquierter oder ein Widerstandskämpfer der schrulligen Art. Menschen, die plötzlich ohne ihr smartfon auskommen müssen, fühlen sich, als hätte man ihnen Arme und Beine abgeschnitten. Jugendliche, denen man das Handy abnimmt, werden kreidebleich und betteln und heulen um Vergebung und Rückgabe. 

Zwetajewas Gedicht über die Zeitungsleser in eins über den Smartfonuser zu transponieren, drängte sich geradezu auf, 

Naturgemäß gibt es unter den Traditionalisten Einwände gegen solche Arten der Modernisierung. Wenn ich solche Übertragung hier exemplarisch an Zwetajewa vornehme, hat das aber eine besondere Bewandtnis. Ich selbst habe vor etlichen Jahren, als meine erste umfassendere Übersetzungsarbeit überhaupt, in einem Akt aus Größenwahn wie auch akribischer Demut in jahrelanger, perfektionistischer Arbeit das „Poem vom Ende“ und den „Neujahrsbrief“ Zwetaejwas möglichst „genau“ und treu, wie es so schön heißt und mir selbst auch so erschien, in die deutsche Sprache zu übertragen versucht. Reim, Rhythmus, Melodie, Aussage – alles sollte stimmen, ja von den 10-12 „Kategorien“ einer Übersetzung (die ich einmal zu bestimmen versuchte und unter denen z.B. solche wie Vokalität, Syntax, Sub- und Kontext noch zuvorderst anzuführen wären), wollte ich so viel wie möglich, annähernd alle mit ins Spiel bringen, eine umfassende Äquivalenz finden, was natürlich ein schieres Ding der Unmöglichkeit war. Ich hatte damals Idealismus und Zeit. Jemandem, der vom Übersetzen zu leben hat, ist so eine Kraftanstrengung gar nicht zuzumuten, jedenfalls nicht in Zeiten eines verschärften Kapitalismus. Dass so ein Anspruch selten geworden ist, darauf deutet die Rezeptionsgeschichte dieser Übersetzung zumindest hin. Gerade russischsprachige Kritikerinnen waren regelrecht körperlich schockiert durch den zwetajewaschen Tonfall im Deutschen – ein Beleg vor allem, dass Zwetajewas Sprache Leib, Leben und Poesie „vernäht“, und dass man als Übersetzer den Text vielleicht auch mit sich tragen, ihn „unter die Haut“ gehen lassen müsste. Dies ist in den seltensten Fällen einer professionellen Übersetzerin, einem Übersetzer möglich. Weder finanzielle noch zeitliche Kapazitäten erlauben dies meist.

In einem gewissen Sinn bleibt eine solche, Äquivalenz auf möglichst vielen Ebenen anstrebende Art des Übertragungsversuches vielleicht das Ziel zumindest jeder ersten und zweiten Übersetzung. Aber es ist nicht nur nicht immer möglich, es ist auch, je nach Autor, Autorin nicht immer erwünscht oder sinnvoll, nicht immer zündend. Bei „schlechten“ AutorInnen mag die Abweichung inspirieren, bei vielfach Übersetzten den Blick auf Übersehenes lenken: Man denke allein an die tausendfachen Shakespeareübersetzungen. Es kann dann viel zielführender sein, zielablenkender einige „Äquivalenzen“ anderen vorzuziehen oder besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Zwetajewa ist zwar zeitlich und sprachlich noch nahe genug, als dass sie unbedingt modernisiert werden müsste, aber in diesem Fall bot sich eine kleine kontextuelle Verschiebung an. 

Das Problem der historischen Übersetzungen ist nicht ihr zum Teil antiquiertes Auftreten, die Wohlheit der Distanz, die sie verbreiten und die das Ganze zur Kostümiade werden lassen: wie durch Milchglas schauen wir einem fernen Spiel zu und jedes Detail fügt sich ins Patina-Panorama – und bevor wir das bunte Karussel milde lächelnd wieder in den Raritätenladen zurückstellen, haben wir es auch ganz verstanden. Das Problem solchen Verstehens ist vielmehr sein impliziter Anspruch, das „wahre“ Bild zu sein, vollkommen ignorierend, was einen Autor zu allererst antreibt: kein historisches Schauspiel zu bieten, sondern aus Herz und Verstand zu seinen Zeitgenossen, vielleicht auch zu zukünftigen Lesern zu sprechen, aber im Modus dessen, was oft der „Akut“ genannt wurde in Poesietheorien. Dieser aber lebt immer auch davon, dass er sich selbst noch nicht aus einordnender Distanz begreift, vielmehr sich selbst voraus ist.

Es sind bei Zwetajewa, ja bei jeder Autorin viele Übersetzungen möglich und je mehr es gibt, im Idealfall synoptisch orchestriert, desto besser. Denn an den einen Punkt der Unlösbarkeit kommen nicht nur Übersetzungen von Mundartdichtung und Fachsprachen immer: je spezieller die Sprache regional, zeitlich oder persönlich gebunden ist, desto schwieriger lässt sie sich sich in der Universalie Sprache wie Geld eintauschen. Für manche Worte gibt es keine Kurse und keinen Gegenwert. Eigentlich, darauf weisen die Fanatiker der Wörtlichkeit ja immer wieder hin, für gar kein Wort. Aber das ist nur so wahr, wie es auch falsch ist: Wo etwas verloren gehen kann, kann fast immer auch etwas gewonnen werden. Schweren Herzens also muss ich als Übersetzer irgendwann einen, meinen Weg einschlagen. 

Und wenn die ÜbersetzerIn selbst AutorIn ist, liegt dieser Weg, wieder sowohl zum Wohl als auch zum Wehe der Übersetzung, klarer vor Augen: dichterische Aneignung von Material einerseits und Anverwandlung des Ichs an das zu übersetzende Werk andererseits, sonst Domäne der ÜbersetzerInnen, werden ununterscheidbar.  

Und es könnte sich erweisen, dass ausnahmseise ein Mittelweg nicht der Tod – sondern eine Chance ist. Nämlich dann, wenn Treue nicht als Wörtlichkeit, sondern in verschwenderischer Enteignung des Eigenen (im Fremden) approbiert wird. Und wenn Nachdichtung nicht als Freischein verstanden wird, sondern als Form eines gewissenhaften, ausgewählten Äquivalenzstrebens.

Hendrik Jackson