der Debutband „mein körper, der da wäre“ von Johanna Hühn
über den Körper zu schreiben, ist vielleicht eins der schwierigsten Unterfangen, entzieht sich doch gerade die unmittelbare Körpererfahrung, gerade weil sie kulturell und geschichtlich codiert sein mag, den Zuschreibungen. es ist dann, als könnte man den Baum vor lauter Wald nicht sehen und umgreifen, in den Begriff bringen. insofern scheint es mutig, dass Johanna Hühn ausgerechnet in ihrem Debutband (eher: Heft) „mein körper, der da wäre“ sich dieses schwierigen Unterfangens annimmt. ihre vorsichtigen, tastenden Annäherungen an das unmittelbare Körperdasein und Körperempfinden liegen andererseits nahe: anstatt sich im Wust der Tradition und der vielen vorgezeichneten Wege zu verlieren, betreibt sie Reduktion, schaut erst einmal fragend und mit viel Ruhe, was da überhaupt ist, erprobt kleine Beschreibungen. ein Glück, dass ihr aber diese Ambivalenz der Reduktion, dass sie nämlich immer auch schon Abstraktion von den ganzen Überschreibungen ist, mindestens unbewusst bewusst ist.
schon der Titel deutet darauf hin. er stellt erst einmal das Allerselbstverständlichste, dass mein Körper da ist, in Frage. aber nicht radikal, sondern mit Bedacht. der Titel erhebt die Frage, wo („da“) wäre er denn, wenn er wäre bzw was wäre, wenn er wäre. zugleich stellt er in der Anspielung auf die nachjustierende Redewendung „die da wären?“ die Frage nach den Qualitäten. das ist bereits so fein angelegt, dass die LeserInnen hellhörig werden können. und so geht es weiter. sie versucht, zu erfragen, was es mit diesen elementaren Dingen des Körpers auf sich hat, zum Beispiel der Berührung. dabei nähern sich beschriebene Seite und beschriebener Körper einander an: „wenn ich die seitenränder bedenke, / die sich immer weiter ausdehnen bis zum austausch / einer unscharfen berührung in der mitte des blattes.“
in der Mitte des Blattes kommt alles zusammen. von hier geht sie aus, hier setzt sie an, dorthin führt sie uns, aber es muss, naturgemäß, erst einmal unscharf bleiben.
im Weiteren geht es dann eben um Körperempfindungen, die immer auch an das Lesen und Hören enggeführt werden („tauben, taubheiten“). der Körper legt sich zurecht. es ist „eine Sache der Ausdauer“. natürlich taucht die embryonale Stellung, auf, der Traum etc. und doch landen wir immer wieder beim „Begreiflichen“, bei Handballen, Handrücken etc.
da Johanna Hühns Texte sich kaum aus dem engsten Umkreis herauswagt, bleiben die Kontexte eigenartig diffus, manchmal erscheinen die Gedichte wie eine Vorübung zu weiter ausgreifenden Werken. aber gerade das macht ihre Qualität aus, es entsteht ein schwebender Raum, in dem Zeichen vieldeutig sind und nicht unmittelbar an Narrative rückgebunden werden sollen oder jedenfalls in einer Art tänzerischen Bewegung sind. das Dock 11, anbei, ein Ort für Tanz in Berlin, war Initiator eines Workshops, in dem diese Texte gefördert wurden und gibt eine ganzen Reihe heraus, inerhalb derer das Buch erscheint.
„alles mögliche könnte passieren oder / nicht davon.“ heißt es bei Johanna Hühn folgerichtig. diese Texte zeichnet eine große Offenheit. mehr noch: eine schöne, aber unbestimmte Erwartung durchzieht die Gedichte.
der ganze Band ist eine präzise austarierte „vorläufigkeit, ein versprechen“, vermag es aber immer wieder, „die zehen in den erdboden“ zu „krallen“, also nicht völlig losgelöst zu bleiben. keine finger-, eher zehenübungen, erste literarische tanzschritte, die es dabei vermögen, eine eigene Zeit, eine Langsamkeit aufzuspannen, in der auch Leser und Leserin ein neues Körperempfinden erfahren können. sehr passend dazu hat das Heft Tabea Xenia Maygar behutsam gestaltet, ebenfalls sehr reduziert.
Hendrik Jackson
Johanna Hühn, „mein körper, der da wäre“, erschienen in der Reihe: DOCK!! EXPANDED
ein Gespräch mit der Lyrikerin findet sich in der Rubrik „lose blätter“ oder hier direkt.