Mit Muttertask nimmt Uljana Wolf eine poetische Feldstudie vor, in der sie die weibliche Identitätsbildung durch die Jahrhunderte hinweg bis hinein in unsere Gegenwart betrachtet.
Das Mutterdasein als task zieht sich wie ein poetischer Ariadnefaden durch die Gedichte, die die die Existenzbedingungen weiblich gelesener Körper sprachlich erforschen: knochennaht, altes heim, wie heißt die zärtlichkeit, die sich vergisst: / mutatas? muttertask? die ist immerhin unverzippbar. Mit diesen Versen endet das Gedicht knochennaht, das mit zwei weiteren Gedichten den Einstieg in den Band bildet. In vier Abteilungen (MUTTERTASK, MOTHER MASK, MUTATAS, MATRJOSCHKAS) werden die unterschiedlichen Aspekte der sozialen Reproduktionsarbeit beleuchtet. Uljana Wolf lässt keinen Zweifel daran, dass sie in ihrem Band diese von der Gesellschaft definierte Rolle poetisch und historisch betrachten wird: feinknochig, die schulterblätter / schädel, vertrebae: hier hausen / interniert, iphinoe, die töchter / otherworlds. So heißt es im letzten der drei ersten Gedichte, camp corinth, medeated, das mit drei Seiten auch das Längste Gedicht im Band ist. Dieses thematisiert sowohl einen Hungerstreik Asylsuchender in einem Korinther Lager 2014 als auch die Medea Interpretation von Christa Wolf. Die Verbbildung medeated benennt weibliches Empowerment durch gedankliche Klarheit. Mit dieser und weiteren Wortbildung postuliert die Dichterin Wolf den ihr eigenen poetischen Blick auf die soziale und historische Dimension einer Existenz als Frau.
Wortgewalt und Ironie sind die lyrische Antwort auf die gesellschaftliche Codierung der Mutterschaft und somit poetischer Widerstand. Athene spricht ist der Titel des ersten Gedichts und öffnet die poetische Büchse der Pandora der Autorin: haha, jove cracking a joke. oder zeus, zote reiß. Jupiter, Zeus. Athene, Medea, die römisch-germanische Mythologie steht Pate für das die Gegenwart prägende kulturelle Gedächtnis, die / verschlungene brut … die im geisterschrank, ich aber sahs, weiter brüten.
Wolfs Gedichte formen, Zeile für Zeile, einen liturgischen Gesang, mit der Grundstimme eines historischen Chors von Frauenschicksalen. Ein Chor, der die Generationen durch die Verse hindurch verbindet, von der Mutter zur Tochter und der Tochter zur Mutter.
Der für den Band namensgebende Abteilung MUTTERTASK steht ein Zitat von Maureen Owen aus ihren Zombie Notes voran. Damit nimmt Uljana Wolf, in ihrer lyrischen Betrachtung der Mutterschaft, Bezug zu der von Owens beschriebene Absurdität der Moderne. Der Hinweis auf die deutsche Herkunft (etüde in tedesco) verrät, dass die Autorin bei aller sprachlichen Diversität, mit der sie in ihren Texte so erfolgreich spielt, den eigenen Ursprung als Prägung immer auch mit im Blick hat. Dieses Prägende wird im Folgenden hinterfragt, ohne es aber überwinden zu können: … mach endlich auf / die morgentöre…
Die Faszination der Gedichte entsteht durch die Feinheit der Wortspiele, wie im obigen Beispiel die töre statt der herkömmlichen röte, hinter diesen versteckt sich jedoch jeweils ein konkreter Gedanke in Bezug auf den Umgang mit Weiblichkeit und Körper: du probst jetzt fadenspiele mit der brut… heißt es in dem die erste Abteilung abschließenden Gedicht muttertask, timing, schlamm.
Nicht nur die Worte und Zeilen sind in diesem Gedicht miteinander wie Fäden verknüpft, sondern auch die darin beschriebenen körperlichen Zustände: bam, bam, bam, bam, bis wimmliges feld dein / körper wurde fest aus mimikry und raupenkot … Der Schweiß der Sorgearbeit trieft praktisch zwischen den Zeilen hervor und hält die Fäden zusammen: …nur du weißt, wie sie sich verbinden zu figuren.
Die zweite Abteilung MOTHER MASK ist geprägt von dem Narrativ, dass sich Jean McCormick selbst erfand, indem sie in einer CBS- Radiosendung 1941 die Briefe von Calamity-Jane, ihrer angeblichen Mutter, vorlas. Uljana Wolf verfolgt damit die Umkehrung der Muttertask als Tochterschaffen. Auch hier sind wieder kunstvolle Verknüpfungen im Spiel, wenn etwa beschrieben wird, wie sich die Tochter die Mutter und so gleichzeitig die Autorin ihre Jane erschuf.
Wie schwerelos navigiert Wolf in ihren Gedichten zwischen Sprachen und historischen, sowie kulturellen Bezügen. Ein Höhepunkt findet sich in der vierten Abteilung, MUTATAS. Hier folgt die Autorin mit einer studie für höchere töchter prägenden Vorbildern wie Emmy Hennings, Hannah Höch oder Max Ernst bis hin zu ihrer Auflösung in der Sprache: all unsere fragen, und sprachen / aus zweifel und schaum
Um Wolfs MUTTERTASK zu lesen gibt es zwei Arten, entweder mit viel Zeit und mehreren Wörterbüchern und Lexiken zur Hand, oder aber in einem Rutsch, allein die Sprache genießend, damit diese beim Lesen voll wirken kann. So oder so, diesen Lyrikband sollte man sich nicht entgehen lassen.
Mit MATRJOSCHKAS als poetischem Choral findet die wortgewandte Betrachtung zur Mutterschaft ihren Abschluss. Dabei schlägt Uljana Wolf einen Bogen zum Anfang des Bandes und damit zur task: …wirst sehn du / dass jede mutter ihrer eigenen mutter war. Die Sprache der Lyrikerin ist opulent. Sie ist voller Bilder, Anspielungen, Hinweise und Vermerke, die, wie die russischen Steckfiguren um Mutterschaft, Fruchtbarkeit, Weiblichkeit kreisen. Aus dem task des Mutterseins wird somit auch ein poetischer task: grammardamen, wortsammelnde, fortsammelnde, heißt es im letzten Gedicht die infantin spricht. Wolfs Wortgewaltiges Werk ist bereits beim ersten Lesen bewegend, es folgt unseren zeitgenössischen gesellschaftlichen Bewegungen zur Auseinandersetzung der Geschlechterund Identitäten nicht nur im sozialen Kontext, sondern auch in der literarischen Spracheselbst: grammardamen… banngewaltig sprachspannern garause machen! Indem man Uljana Wolfs Gedichte, ihre Matrjoschkas Zeile für Zeile betrachtet, sie aus dem Text herausnimmt und wieder zusammensetzt, lassen sich immer wieder neue Deutungsdimension beobachten. Denn die Poesie jeder einzelner Zeile ist in seiner filigranen Komposition, nicht nur ein Pars pro toto für das ganze Gedicht, sondern überhaupt für unsere Gegenwart.
Barbara Peveling