Meine jüdische und migrantische Perspektive auf das Anliegen von Max Czollek

Der literarische März hat gerade wieder stattgefunden. Wessen Gedichte mich darin am meisten enttäuscht haben – sind die Gedichte Max Czolleks. Diese Gedichte hängen meiner Meinung nach untrennbar mit seiner Kritik am Wettbewerb zusammen. Czollek nennt zunächst in der Kritik mehrere richtige Punkte. Zurecht kritisiert er, dass dieses Jahr wenige migrantische Positionen vertreten gewesen seien, führt dann als Beispiele aber auch den Basler Lyrikpreis 23 (dabei ging der an Anna Hetzer: eine queerfeministsche Position, die im anderen Teil des Beitrags von ihm als solche gelobt wird), den Dresdner Lyrikpreis (der an Pavel Novotny aus Tschechien ging, ich verlor zurecht im Finale des Preises gegen Novotnys emotionale und gesellschaftskritische Texte), den Müncher Lyrikpreis 23 (23 nicht vergeben, zuletzt 22 an mich, der ich mich in den Texten mit meiner jüdischen Familiengeschichte auseinandersetze) an. Anna Hetzer wurde ebenso vor 2 Jahren beim Literarischen März bepreist, vor 4 Jahren Alexandru Bulucz (u.a. Texte zur Zerrissenheit zwischen zwei Heimaten Rumänien/Deutschland) und ich, eine der Lesenden Ronya Othmann. Max Czollek führt die nunmehr geringeren Bewerber*innenzahlen ins Feld, um seine Kritik allgemeingültig zu machen, missachtet aber das grundsätzlich sinkende Interesse an Literarischen Institutionen, das durchaus komplexere Zusammenhänge aufweist, missachtet vor allem aber die aktuell wirklich steigende und mitunter hohe Repräsentanz migrantischer/queerer/außenstehender Perspektiven im Literaturbetrieb und in der Lyrik. Ich wüsste nicht einmal mit welchen Namen anfangen, um diese These zu belegen, es sind viele. Und das wird auch Max Czollek wissen

Viel wichtiger allerdings – wie lief der diesjährige literarische März ab? Was waren Czolleks Gedichte? Hierzu muss ich sagen, als ich diese Gedichte hörte und mitlas, fühlte ich mich auf doppelte Art und Weise beleidigt. Einmal als Dichter und einmal als Jude. Hier stand jemand auf der Bühne, der eindeutig das „Thema Judentum“ für sich gewählt hatte. ‚Gewählt hatte‘ bedeutete diesmal vor allem ‚nutzte‘. Die Gedichte handelten von Golem und Jericho und vermittelten vom Wissensgehalt den Eindruck, der Autor hätte einmal eine kostenlose Kneiptentour in Prag zu Rabbi Löw mitgemacht und dort dies und das aufgeschnappt. Selbst diese Informationen waren (was der Jury nicht negativ auffiel) fehlerhaft. Wie die Jury aber bemerkte, strotzten die Gedichte vor Rechtschreibfehlern. Sicherlich, eine deutsche Hochkulturhaltung, könnte man sagen – wenn ich allerdings Gedichte zum Holocaust schriebe, würde ich verdammt noch mal den Respekt davor haben, nachzusehen, wie die Wörter richtig geschrieben sind und die nötige Feinheit und Aufmerksamkeit gegenüber dem Gesagten aufbringen. Was für mich also viel schlimmer als die pseudomoderne und darin anachronistische Poetry-Slam-Vortragsweise (diese Geste in Bezug auf den Holocaust!) gewesen ist, waren Zeilen, die von Tonnen Asche sprachen, die in den Fluss gekippt wurden, alles in gleich unbedachter, überheblicher Sprechweise wie der Rest, genutzt als plumpe Selbstdarstellung. Noch nie in meinem Leben habe ich den Holocaust als dermaßen für Textzwecke missbraucht empfunden wie hier. Schluderig hingeschrieben, ohne Spracharbeit, ohne Respekt. Ganz sicher repräsentierten Czolleks Gedichte hier keine migrantische Minderheitenperspektive. Es waren eher unbedachte Selbstdarstellungen zweifelhafter Qualität. Und wenn er dafür einen Preis haben wollte, sollte er wirklich einen Schritt zurücktreten und sich und seine Texte bei diesem Wettbewerb von außen betrachten. Natürlich hat er keinen Preis direkt eingefordert. Wie soll sich die Kritik an fehlender Berücksichtigung migrantischer Themen allerdings anders verstehen, wenn er doch vor Ort war und sich irgendwo als ihr vermeintlicher Repräsentant versteht? Dass es andere Gründe als Missachtung gegeben haben könnte (zum Beispiel dass die Jury ihm milde gegenüber gestimmt war und diskursiv geschont hat), zieht er nicht in Betracht.

Alles in allem ein Text, der zwar richtige Punkte anspricht, sie aber verschiebt und für eigene Zwecke missbrauchen will, wissend, dass es bereitwillig vom Lyrikbetrieb aufgegriffen wird. Allein an der Bereitwilligkeit derjenigen, die seinen Beitrag geteilt haben ohne vor Ort gewesen zu sein, könnte Czollek ablesen, welch positive Grundeinstellung ihm gegenüber dieser Betrieb aufweist. Diese auszunutzen, kommt mir fast perfide vor.

Yevgeniy Breyger