Auf der Suche nach dem polnischen Suffix

Die immer wieder für ihre Originalität gefeierte Autorin Ann Cotten benutzt seit Jahren in ihren Texten ein selbst ausgedachtes und so genanntes „polnisches gendering“, das sie auch in anderen Bereichen mit paternalistischem Furor durchzusetzen versucht (zum Beispiel als Herausgeberin).

Sie definiert es in ihrem neusten Buch „Anleitung der Vorfahren“ so:

 

Hieran ist erst einmal nichts richtig. Weder gibt es ein „polnisches gendering“, noch bietet sich die polnische Sprache in irgendeiner Weise dafür an, einfach alle geschlechterspezifischen Suffixe ans Ende in einem Kürmelhaufen zusammenzufegen. Muss ich darauf hinweisen, dass Rassismus darin steckt, das Polnische nicht nur für ein Privatprojekt so zu appropriieren, sondern dies auch noch in völliger Rücksichtslosigkeit gegenüber den Eigenheiten der polnischen Sprache? Ganz abgesehen davon, dass diese Verrümpelung mit „polnisch“ zu assoziieren unschöne Klischees reproduziert.

Darüber hinaus geht es bei „allen Arten“ von Gendering nicht immer nur darum, Missstände aufzuzeigen, vielen geht es durchaus um „Korrektur“. Ann Cotten anscheinend nicht, sie ist aber nicht alle (oder sie meint nur ihre Verwendung, sagt aber „alle“).

An dieser Stelle dürfte dieses Projekt sich eigentlich schon erledigt haben, aber eine Autorin ihren Ranges hält sich nicht bei zu viel Selbstreflexion und philologischer Gewissenhaftigkeit auf, wenn es um den großen Wurf geht.

Das müsste sie auch nicht unbedingt, da sie seit Jahren in Stil und Gestus die gepflegte Punkigkeit kultiviert. Ginge es nur um eine ironische Attitüde, um einen, ja, selbstironischen Verweis, der letztlich die Engstirnigkeit der Gender-Pro-und Contrakämpfer offenlegte, wäre alles noch irgendwie gewitzt. Aber wer ihr je widersprach, weiß, dass hier heiliges Verkorksungsbewusstsein am Werk ist. Was in dieser Ankündigung an Zipfelmützen- und Clownsnaseweishaftigkeit aufblitzt, ist in seiner Zwangsoriginalität bitter ernst gemeint. Hierin offenbart sich auch die zuweilen luftdichte Betriebsblindheit in sich rotierender Literaturkreise. Niemandem fällt mehr irgendwas auf, alle halten still oder glucksen gar zustimmend, von Schnapsideen und Alimentierung selig-trunken. Jedenfalls hat diesem Projekt bisher niemand deutlich widersprochen, hier und da wird es vielmehr als interessante Alternative diskutiert, erfährt in Rezensionen und Wikipediaeinträgen Nobilitierung. Dass sich auch andere AutorInnen dieser Rumpelbudenmethodik unterwerfen wundert da nicht.

Immer wieder wird darauf hingewiesen, dass Sprachveränderungen auch andere, soziale Signale senden, dass zum Beispiel Diversitätsmarker in proletarischen Milieus eher als Distinguitätsbestreben wahrgenommen werden.
Da Cottens Konzept weder polnisch noch praktikabel oder lustig ist, signalisiert ihr „Gendering“ in erster Linie einen „Schlampige-Genialität-Marker“, durch angebliches Problembewusstsein modisch camoufliert. Es wird in vollkommener Hybris als gesellschaftsfähig halluziniert. Immerhin, soviel Bewusstsein ist da, dass dieser Spracheingriff nur als autoritäre Zwangsmaßnahme wird glücken können und wenig Einfluss auf die Realität hat: „Gelöst werden müssen die Probleme außerhalb der Sprache.“

Man kann nur hoffen, dass wenigsten dort nicht auch von Ann Cotten. Sie hat zuletzt eine poetische Dozentur übernommen und da momentan ja irgendwie alles möglich scheint, kann man sich im Grunde nicht einmal mehr sicher sein, ob sie nicht demnächst in irgendeinem sprachlichen Beratungsgremium des Duden oder, schlimmer noch, einer Regierungskommission zu finden sein wird, die uns dann „polnisches gendering“ als erfrischend unkonventionellen Vorschlag offeriert.

Hendrik Jackson