Onlinelesungen und die Frage nach Professionalität

Martina Hefters bei signaturen erschienenen Überlegungen zu Onlinelesungen und ihre Erfahrungsberichte als Autorin haben, da diese zuerst für LK vorgesehen waren, zu einem kurzen Chatwechsel zwischen der Autorin und mir geführt.

Es stellte sich bei der Diskussion heraus, dass Martin Hefters Erwartungen zumindest zum Teil auf Vorstellungen von Performances zurückgehen, die eher an Traditionen des Tanzes und der Kunst anknüpfen. Aus dieser Perspektive ist es vollkommen verständlich, dass sie Onlinelesungen, die sich zu inszenieren versuchen, schnell als missglückt empfindet. Ich würde aber einwenden, dass der Rückgriff auf die Bücherwand/Wasserglaslesung keine echte Option ist. Und ich denke auch nicht, dass die „normalerweise“ funktionieren, sie funktionieren genau dann, wenn der Autor oder die Autorin gut zu lesen vermag, d.h. wenn er seine Stimme so modulieren kann, dass man das auch als eine Art stimmlicher Inszenierung auffassen kann.

Zunächst einmal ist die Autorenlesung ein eigenes Genre, selbst die Performancelesungen würde ich eher als „szenische Lesungen“ betrachten wollen. Das geht von Dada bis Thomas Kling (als „Sprachinstallateur“) oder, um andere Kulturen zu nennen, denke man zum Beispiel an die traditionell sehr feierliche, fast priesterhafte Art russischen Rezitierens.
D.h. hier müssten, denke ich, andere Kriterien greifen als die, die vermutlich für Martina Hefter eine Rolle spielen. So ist es ja durchaus üblich, dass im Theater (Videoübertragungen, Musikeinlagen etc), in der Literatur (man denke an Sebalds Fotografien in seinen Büchern) Elemente anderer Künste integriert werden, die oft dann in ihrer Inszenierung nicht den „Standarts“ entsprechen. Immer wieder habe ich von Fotografen, Musikern, Designern kritisch grummelnde Bemerkungen gehört, wenn ihre „Künste“ auf recht unbeschwerte Weise benutzt wurden. Hierbei gibt es ein weites Feld von einer laxen Einstellung („ich benutz das mal, weil es so toll klingt/aussieht“) bis hin zu professionellen Zusammenarbeiten („Crossover“), in denen die Künste gleichberechtigt nebeneinanderstehen. Wenn nun die Dichterin allein arbeitet bzw. eben den Begriff der AutorInnenlesung erweitern will, ohne ganz in eine Performance zu geraten, führt sie die letzte Option zu weit weg, die erste aber sollte sowieso obsolet sein.

Es ist eine Frage des Einlassens und des Risikos. Des Bewusstseins, dass hier anders mit manchem Medium (Sound, Video, Bild, Kulisse) umgegangen wird, als es die unsichtbaren Spielregeln ihrer avanciertesten Vertreter vorschreiben.
Es gibt zu dieser Problematik ein interessantes Statement des doch so für seine „professionellen“ Neuerungen berühmten Filmregisseurs Sergej Eisenstein: Nur die Amateure retten uns! Es gibt eine déformation professionelle, die den einfachen, ungenierten Zugang zu ihrem eigenen Medium verliert, ja verlieren muss. Deshalb werte ich szenische Autorenlesungen als Chance, in einem anderen Medium, unter anderen Vorzeichen, womöglich eine Unbefangenheit wiedergewinnen zu können. Auch wenn dieser vermeintlich „unschuldige“ Anfang natürlich auch schon längst wieder, ich erwähnte dies, überschrieben wurde und seine eigene Tradition hat.

Interessant in diesem Zusammenhang scheint mir, dass Martina Hefter selbst in ihren Arbeiten immer wieder mit Unterbrechungen der Professionalität arbeitet, und selbst schreibt: „Es ging gar nicht mehr um Literatur. Es ging um Aktion und Reaktion, um das Ausbalancieren von Spontanität und Überlegtheit, alles vor laufender Kamera. Es war ein Spiel. Ich hatte Spaß am Unklaren meiner Rolle, und dass ich selbst gar nicht genau wusste, war ich jetzt privat, war ich öffentlich?“

Sie erlebt sich neu im neuen Medium und kann es doch bei anderen kaum ertragen. Daran zeigt sich sehr schön, was für ein Balanceakt das ist. Was für mich besonders aufregend sein kann, muss es nicht unbedingt für andere sein. Und doch gab es einige Onlinelesungen, die viel gewagt haben – und interessanterweise fanden gerade die den meisten Zuspruch und eben nicht die „klassischen“ Lesungen. Unabhängig von der Frage der Qualität, von der Frage nach geglückt oder nicht, denke ich, dass dieses Risiko eben doch das ist, was die Zuschauer eher, und ich will meinen zurecht, anzieht. Denn es stellt eben die Fragen nach den Genres, nach Emphase, nach Erfahrung neu. Mir haben die Fotografien eines Sebald immer gefallen. Wären sie eine eigene Foto-Ausstellung wert gewesen? Ich weiß es nicht, ich halte die Frage für nicht besonders weiterführend.

Es ist dieser Moment der Verunsicherung, den auch Onlinelesungen ermöglichen können – und plötzlich steht wieder alles auf dem Spiel. Dass man darauf mit Abwehr reagieren kann, wenn einen das Ergebnis nicht überzeugt, verstehe ich. Dass es da zu Unbeholfenheiten kommen kann, ist sicher. Im Übrigen haben aber gerade die „Nur“-Lesungen die Privatheit der Räume nicht mitreflektiert, was Martina Hefter doch fordert, und waren deshalb für mich meist auf unproduktivere Weise irritierend. Insofern wäre die Rückkehr zum berüchtigten „Wasserglas“, ob nun vor einer Literaturhausplakatwand oder im (un)aufgeräumten Zimmer, die Literatur betreffend, dann wohl doch eher der berüchtigte Tod bringende Mittelweg. Manche Videos haben mit etwas Interieur, etwas Schnitt und Gegenschnitt, etwas mutigerer Leseperformance und Ausleuchtung, intelligenterem Wechsel der Dialoge und präparierten Einspielungen durchaus gezeigt, dass Onlinelesungen ein Potential haben können und nicht mit dem Maßstab gewachsener Offlinekulturen bewertet werden sollten. Natürlich gehört dazu auch die Möglichkeit von Reduktion, wobei laisser faire oder Nichtperformanz genauso geübte Lässigkeit oder die hohe Kunst der Nichtkunst voraussetzen…

Neue Terrains zwingen zu dem, was eigentlich „Standart“ sein sollte, nämlich dem nicht-standartisierten Hinterfragen der Standarts (Fragen nach dem Stand der Kunst (Art)).

Hendrik Jackson

hier zu Martina Hefters Aufsatz