Von den Worthäusern – Andreas Altmanns „Von beiden Seiten der Tür“

Bereits im letzten Jahr erschien Andreas Altmanns Von beiden Seiten der Tür, auf dessen Cover einem blauweiße Scherben und olivgrüne spitze Blätter in einer zersplitterten Komposition kunstvoll entgegenwirbeln. Das mag auch das Kompositionsverfahren Altmanns visualisieren. Die Gedichte Altmanns fließen stetig-ruhig und dennoch lebhaft in einem Strom von Wörtern, Bildern, konkreten Gedanken und Beobachtungen, der Naturerfahrung und dem Alltag dahin.

senken der wiesen liegen unter dünnen wasser
schichten. der himmel ist grau angelaufen und hängt
seine durchsichtigen stoffe in die baumkronen.
sie streichen sich ihre finger aus dem gesicht,
das den mund geschlossen hält. ich sehe worte,
die sich gebildet haben. (…)

(aus: blume im haar)

Bei Altmann verschmelzen Natur und Mensch zu einer Einheit, dabei wird die Landschaft und das Wetter, werden Pflanzen und Bäume zu einem Handlungsträger. Gewissermaßen steht der Mensch, steht das lyrische Ich als ein beobachtendes Wesen inmitten von vielfältigen Prozessen, denen es immer wieder von Neuem unterworfen wird, von denen es manchmal überrascht wird und die organisch ineinander übergehen, ablaufen und sich ergeben, wie ein Schauspiel auf einer Bühne, dem das Ich staunend beiwohnt.

für stunden hält der sommer die zeit an. in ihr fällt schon
schnee. an ausgetrockneten pfützenrändern hat sich heller
blütenstaub gesammelt. aufkommender wind treibt tränen
durch meine netzhaut. ich stell mich im regen unter.

(aus: verwittertes kleid)

Es bleibt ihm dabei nur die Rolle, das, was es sieht, in einer lyrischen, eben nicht alltäglichen und damit der Besonderheit der Abläufe angemessenen Sprache zu beschreiben und festzuhalten. Dies tut Altmann mit der Bravour. Etwas Neues für die Gedichtbände Altmanns ist das erläuternde Vorwort, in dem der Dichter selbst schildert, wie er durch den befreundeten Künstler und Kunsterziehungslehrer Günther Hofmann und dessen Atelier zu den Häusern der schlafenden Gedichte inspiriert wurde, wie Altmann sie nennt.

Die Häuser der schlafenden Dichtung, das sind fantastische Fabelhäuser aus Holz, die ein Dach, Fenster und Arm- und Beinstücke aus Metall tragen. Sie sehen aus wie kleine Menschen, lebendige Wesen, die ein Stück Leben oder einen fabelhaften Geist in sich tragen, die ihnen ein Demiurg eingeflösst hat. Auch die Gedichte Altmanns machen den Eindruck lebendiger Schöpfungen: kunstvoll verfertigt, beseelt und in einen rhythmischen Fluss gebracht zeigen sie uns Bilder voller Welthaftigkeit und greifbarer Beobachtungen, die sich zu einem organischen Ganzen zusammenschließen.

Bisweilen tauchen einzelne Bilder in verschiedenen Gedichten auf, vor allem zu Ende des Bandes und werden so variiert, z.B. das Motiv des Schnees, der Mutter und das in dem Band omnipräsente Motiv des Hauses, das die Bilder der Fabelhäuser immer wieder aufgreift. Die Dichtung Altmanns zeichnet sich durch eine elementare Entdeckerfreude und zugleich eine Offenheit aus, die neue Wege geht und doch auch Altbewährtes beibehält.

der mund meiner mutter hat die lippen verloren.
nur wenige worte kamen über sie. sie hatte kleine
augen, die zu viel gesehen hatten, nach dem krieg
auf der flucht, und davor. die räume dahinter
waren voll offener wände, an denen die zimmer froren
und die fensterscheiben eingeschlagen waren.

(aus: mutterhaus)

Enjambements bringen bei Altmann oft eine gewisse Lebendigkeit in die Verse, manche Sätze gehen über zwei Halbverse und setzen dann wie im Anakoluth neu an oder schieben Satzteile nach. Die Satzzeichen werden sparsam eingesetzt, doch sind genau richtig positioniert und proportioniert. Nur manchmal mag das beobachtende Ich zu sehr in einer Rolle als passivem Auffangbecken aufgehen. Meisterhaft hingegen verbindet Altmann Innen- und Außenleben und behandelt auch Themen wie das Sterben oder die Beziehung zu den Eltern in Gedichtform.

der wald ist voller häuser, die an den bäumen
weite wegen gehen. sie steigen durch die senken,
lichten sich und laufen in den farben ihrer schatten ein.
sie hülln die dunkelheit in schweigen und singen
lieder, wenn sie an den mulden stehen.

(aus: waldhaus)

Im Zentrum von Andreas Altmanns Gedichten steht die Wahrnehmung, stehen die Sinne und die Beobachtungsgabe, mit der das lyrische Ich durch die Welt geht. Es sind die Welt (syn-)ästhetisch bündelnde Gebilde, die den Anspruch erheben, den Leser und die Leserin nicht nur intellektuell, sondern auch emotional und sinnlich anzusprechen. Wir gehen mit dem lyrischen Ich durch die Landschaft und erleben dabei von Tieren über Pflanzen bis hin zum Wetter alles, was die Natur und das Leben in der dichterischen Beobachtung bereithält.

Florian Birnmeyer