Zurückradiert

Humor hat es in der „höheren“ Literatur in Deutschland schwer. Vermutlich hat sich aus aller deutschen Humorliteratur nur Christian Dietrich Grabbes Komödie Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung aus dem Jahr 1827 in ein kleines Reclam-Nischendasein durch die Zeiten retten können. Ohne tiefere Bedeutung geht meist nicht viel in deutschen Landen.

Gerade diese tiefere Bedeutungsebene scheint zunächst aber Robert Striplings „Verpassten Hauptwerken“ abzugehen, in denen man Zitate nie erschienener, weil erfundener Werke findet, meist im absichtsvoll verunglückten Jargon von Fachsprachen. Auf den ersten Blick führt es vor, dass es von der philosophischen Weisheit zum Mumpitz nur ein kleiner Schritt ist. So wird man dieses Buch vielleicht für einen Ulk halten, einen studentischen Witz, und so wird es auch bisher rezipiert: mal gutmütig, mal augenzwinkernd. Stripling, 1989 in Berlin geboren und heute in Frankfurt am Main zu Hause, scheint dem durch alle möglichen parodistischen PR-Begleitmanöver selbst Vorschub zu leisten: So erfand er nicht nur die Kritik einer „Adelheid van de Pimmelmann“ zu dem Buch, sondern auch irrwitzige Klageschreiben obskur klingender Anwälte wegen der Verletzung von Urheberrechten.

Dabei geht es ihm um die Umkehrung der Stoßrichtung: Vom Ulk zur tiefen philosophischen Einsicht ist es oft nur ein kleiner Schritt. Nicht der heilige Ernst ist die Basis, die durch Ironie kaum angekratzt würde, sondern Absurdität ist der Boden, aus dem sich von Zeit zu Zeit die gewichtig dreinschauenden Häupter der Hauptwerke erheben. Und diese holt Stripling auf den Boden des Lächerlichen durch Schrumpfung zurück.

Da es die Hauptwerke zu den Zitaten gar nicht gibt, sagen diese meist wenigen Sätze alles: Ein ganzer Reigen von Menschen, die der Menschheit nichts Wesentliches zu sagen haben, marschiert auf – aber im Kostüm derjenigen, die uns unentwegt mit Weisheiten beglücken. Ein Karneval der Ulk- und Unkulturen. Je länger man Stripling liest, desto klassisch-tragischer mutet einen die Komik an. Der doppelte Boden des Verfahrens zeigt sich in vielen der Sinnsprüche und kulminiert in diesem Hauptwerk: „Doch ob Ohne ohne Ohne geht? Ist das Weglassen seinem Wesen nach weniger? Oder gibt es ein Weglassen, dass durch sein Eintreten erst ein Mit wird, dem das Hinzugeben näher erscheint als ein Ohne?“ (Wolf Rahmsburg-Dortmunder, Befreiungstheologe und Sumoringer, in: Oben ohne – Gottesbilder und Sumo; Gelsenkirchen, 1978)

Dass hier ein Herr „Rahmsburger-Dortmunder“ aus Gelsenkirchen kommt, ist bezeichnend: Aus der Perspektive der verpassten Hauptwerke ist die Opposition zwischen Hochkultur und Quatsch nicht weniger künstlich als die Feindschaft zwischen Dortmunder und Schalker Fans.

Im Gegensatz z. B. zu den drei erfundenen Dichtern aus Jan Wagners Eulenhasserbuch, deren Gedichte immer auf eine Meisterschaft zurückverweisen, an denen die erfundenen Dichter virtuell scheiterten, um dann durch die Pastichisierung Wagners geadelt und in den Olymp gehoben zu werden, dekonstruieren Striplings Hauptwerke die Präpotenz jedes vermeintlich seriösen Anspruchs auf Bedeutsamkeit. So radieren die Verpassten Hauptwerke, um mit einem ihrer Protagonisten („Paul Maathe“) zu sprechen, letztlich all die „Lücken“, Abgründe und Fallhöhen auch in die nach außen so glatt und undurchlässig gemachten Kanonwerke perfide zurück.

Hendrik Jackson

Robert Stripling (Hg) – Verpasste Hauptwerke, mikrotext-Verlag, Berlin 2018

diese Rezension erschien in einer kürzeren Fassung zuerst am 14.3.2019 im tagesspiegel – deswegen herzlichen Dank auch an den tagesspiegel