Szenerie also: Psychatrie. Grundnahrungsmittel: Orangen.
Organe, Orangenhaufen, Orangenhaut,
ein aus der Zeit gefallener Körper.
Eine in die Zeit gefallene Poetiqqqqq.
Teils Englisch als vollkommen alternativlose Sprache, denn Anna O., diese psychoanalytisch zusammenfabulierte Kunstfigur, vergaß zeitweise jede andere.
Vollkommen alternativlose Sprache als Ausgangspunkt einer Welterschließung in Poetiqqqq.
Sonst ist nicht viel, vollkommene Weltlosigkeit.
Vollkommene Entkoppelung, was einen freien Zugang zu den Gedanken ermöglicht. Die Gedanken sind orange. Oder?
Einfach irgendetwas behaupten in die vollkommen lose Welt hinein, die aus den Angeln gehoben, die gesichtsblind ist.
Ausweglosigkeit, die sich in einem Mangel an Richtungenäußert, in die gesprochen werden kann. Was fragmenthaft wird, fragmenthaft wirkt. Was kein Wunder ist als Feministin im 19. Jahrhundert. Was kein Wunder ist in einer Psychiatrie im 19. Jahrhundert.
Was das Schöne an Poetiqqqq ist. Einfach irgendetwas behaupten können. Fillettieren können.
Und alles und nichts wiederholt sich ständig in dieser Buchstabensuppe, in diesem stream of conciousness, in diesem Alltag. Behauptungen und Behauptungen und Behauptungen (anna-koluthisch). Die eine eigene Rhythmik ergeben (Kaugeräusche).
Die Wiederholungen sind ein sprachliches Abtasten der Orangenschalen, die die Ränder dieser Welt sein könnten. Die Orangenschalen definieren ein Außen, in dem die Autorin sich befindet (docupoetry).
Und von dem ausgehend sie sich langsam in das Innere der Orangenschale arbeitet.
Immer in die entgegengesetzte Richtung der Psychoanalyse.
Nichts wiederholt sich, wenn Anna O. die Externalisierungen neu zusammensetzt, nachdem sie sie durchgekaut hat,
Faden für Faden, aus dem Nichts heraus,
und bis heute gibt es keine Zeit und keinen Ort, aber es gibt
zumindest eine unmittelbare Umgebung, über die gesprochen werden kann, den Auslauf einer Zunge. So schreibt sich Anna O. fort, in den widerstrebenden, wiederkehrenden Zungenausläufen. Ihre Zunge läuft aus dem kargen Zimmer heraus.
Das Orange, die Orangen als präzises, gründliches Kreisen um eine Farblichkeit. Das Festhalten an den Kernen. Die Haltlosigkeit. Das zähe Ziehen der Zähne am Material. Das Lutschen. Das Zutschen. Orangen oder. Orange oder.
Oder: Das schwarze Loch, die vollkommene Weltlosigkeit, das Verstummen in jeder Sprache.
Im Annalog existieren zwei parallele Räume. Die Räume können rückwärts oder vorwärts gelesen werden:
Der eine Raum sind die Orangen.
Der andere Raum ist die Psychiatrie.
Wir alle changieren zwischen den Räumen.
Poetiqqqqq ist dabei Mittel zum Zweck.
Die Richtung, in die gedacht wird, ist vorwärts. Aber dieses vorwärts zielt auf Räume ab, die ausgehängt sind mit dicken Vorhängen. Und Enden, von denen aus Anna wieder rückwärts gelesen wird.
Anna als Person, die vorwärts oder rückwärts gelesen werden kann. Anna im stream of conciousness, in der Buchstabensuppe, im Orangenkoma. Oder?
Die Welten drängen sich auf, wie so oft im Schreiben.
Wenn die Welt im eigenen Schreiben so nah heranrückt, dass man sich ihr nicht mehr entziehen kann (docupoetry). Als Grenzsicht. Als Brechreiz. Oder? Oder?
Lyrik als Krankheit. Als Mangel. Der mit sprachlicher Überfülle gestopft wird. Der an der Grenze zum Hungerstreik operiert, was Lücken bedeutet.
Gleichzeitig: Poetiqqqqq als Gegenmittel zum unvermeidlichen Hungerstreik. Der Text entzerrt und verdichtet sich. Verwehrt sich und bietet sich an. Changiert, filletiert und
der Fixpunkt liegt gleichzeitig vor und hinter uns, in dem exakten Moment, dem Grenzzustand, in dem wir als Lesende die Orangenschale durchwandern, in dem wir Kompliz*innen werden, in dem wir die Richtung entscheiden, in die wir den Text lesen. Poetiqqqqq als Versuch eines Ausbruchs aus dem Zimmer der Psychiatrie. Poetiqqqqq als talking cure.
Rosa Lobejäger
Anmerkung:
Der „Annalog von den Orangen“ ist 2013 in „meine schönste lengevitch“ von Uljana Wolf erschienen. Er bezieht sich dokumentarisch auf die österreichische Frauenrechtlerin Bertha Pappenheim, die in Sigmund Freuds Studien über Hysterie als Musterpatientin „Anna O.“ auftaucht; sprachspielerisch auf die Phasen der Aphasie, in denen Pappenheim während ihrer Behandlung in der psychiatrischen Klinik nur Englisch sprechen konnte. Zwischenzeitlich verweigerte sie die Nahrungsaufnahme, ernährte sich nur von Obst. Von Orangen?
Mehr zu Bertha Pappenheim im kurzen, von Uljana Wolf verfassten Vorwort zum „Annalog von den Orangen“ in „meine schönste lengevitch“.