Etwas, das (an)dauert

Zum Tod des Verlegers, Künstlers und Gutleut-Gründers Michael Wagener

Angesichts seines viel zu frühen Todes erinnere ich mich ad hoc zurück und sehe uns in der dämmrigen Kaiserstraße im Frankfurter Bahnhofsviertel sitzen, der Dämmerung eines warmen Frühlingsabends, wir trinken und werfen uns Worte wie Bälle zu, schneller, sehr früher Konsens, seit wir uns kannten (wie übern Weg gelaufen), bestand über die Musik von Wire, Fad Gadget, My Bloody Valentine, über eine mögliche Kunst als kartografischer Weltfortschreibung, über die Rolle der Liebesbeziehungen, in denen wir gerade steckten, das Gedicht als schönstem Ausdruck vom Hängenbleiben in der Überschau, schönen Lücken, schönen Unterbrechungen; er erfand die Kartografie der Vögel, was wohlbedachte Verwirbelung bedeutete, eine womöglich abenteuerlich adäquat erscheinende Form für seinen auch als Nature Writing zu lesenden grundsätzlichen Ansatz; und eine Landschaft, die dauert, haben wir in der Kaiserstraße erfunden, seine Idee einer Hängung, drapiert als Stuhl, ein mit Welt tapeziertes Objekt, gab es da schon, was mir (aufgekratzt, weil er mich teilhaben ließ) mehr gab als jeder helldunkle Aphorismus, denn ich fragte mich, ob nicht jede lyrische Zeile auch ihr Gegenteil sein kann, aber nur hier, im Licht der Betrachtung im gutleut15, dem Raum (schräg gegenüber der Gutleutkirche, dem Nachtquartier für die Gestrandeten des Viertels), in dem das wahre Schöne ausstrahlt, an das ich als Lyriker, meine ich, nie recht heranreichte, weil seine Kunst so viel klarer umrissen schien und weiterhin scheint. Eine der schönsten Lesungen mit ihm hatte ich im kunsthaus Erfurt, als wir zwischen den Bildern und Objekten, als Teil von ihnen (analog zum Shoegaze, wo der Gesang nie lauter ist als die ihn umtosenden Gitarrenwände), fremde und eigene Texte lasen, ich eigene aus dauerlandschaft – the lyrics, er unter anderem seine Einleitung zum Taschenatlas, dem Startschuss zum lebenslangen Mercatorprojekt von 2007, ein zwei Stunden zuvor beim Hefeweizen streng komponierter Abend, mit großer Ruhe und einem Geschick seinerseits für gute Konzeptlesungen, angelegt in diesem Fall als Dauerlesung, die bis spät in die Nacht ging, mitsamt Unterbrechungen aus Ambientstücken, verschiedenen O-Tönen oder an die Wand geworfenen Lichteinsprengseln vom Beamer. Das konnte er, und er konnte Buchgestaltung, das gutleut-Programm ist nicht zuletzt deswegen vollkommen unvergleichlich und unikal. Seine Handschrift bleibt der kommenden Backlist erhalten. Ich verdanke ihm einiges, denn er traute mir in unserem freundschaftlichen Jahrzehnt einiges zu – das werde ich mir jetzt, wo ich höre, er sei gestorben, trotz der zuletzt gelockerten Fäden, ein Leben lang merken.

 

Marcus Roloff