Gespräch mit Johanna Hühn

Hiermit beginnt eine kleine Reihe von Gesprächen mit LyrikerInnen und Menschen, die mit Lyrik intensiv zu tun haben. Vorab wird es jeweils eine kurze Einleitung geben, um das Thema, den Lyriker oder die Lyrikerin vorzustellen. Beim ersten Gespräch ist diese Vorstellung etwas länger geworden, sodass eine Minrezension daraus wurde, die hier aufgerufen werden kann. Alle Gespräche werden ausschließlich schriftlich geführt. Im Grunde handelt es sich also eher um einen Mailwechsel mit Fragen und Antworten.

 

Lyrikkritik: Liebe Johanna, du hast jüngst deinen ersten Band „mein körper, der da wäre“ publiziert in einer kleinen heftartigen Reihe des bekannten Tanz- und Performanceortes „Dock11“ in Berlin (hier der link zur Rezension). Bevor wir uns dem Band selbst zuwenden, meine Frage: Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit und kannst du uns evtl mehr sagen, wie Dock Art und Dock 11 Expanded aus dem klassischen Dock 11 hervorgegangen sind bzw was das für eine Publikationsreihe ist?

Johanna: Ich bin durch eine Ausschreibung auf die Workshopreihe im Dock 11 aufmerksam geworden, und habe mich gleich für die erste Schreibwerkstatt beworben. Die Idee war, inmitten der Pandemie, Schubladentexte hervorzuholen, gemeinsam zu besprechen, mit diesen Impulsen weiterzuarbeiten. Bei Dock 11 Expanded war der Ausgangspunkt, Tanz und künstlerisches Schreiben zu verbinden, diese Erfahrungen, Schreiben, Tanzen, mit einander zu verknüpfen – und vor allem jenseits vom wissenschaftlichen Text und dem journalistischen Text oder dem Werbetext, so wie Schreiben mit Bezug auf Tanz oft stattfindet. Und damit überhaupt während dieser in gewissem Sinn stillstehenden Zeit die interdisziplinäre Bewegung, mit der Dock 11 als Ort begonnen hat, wieder mehr ins Spiel zu bringen. So genau wusste ich das damals aber nicht. Ich habe Texte einfach eingeschickt, an denen ich arbeitete, die sehr nah zum Körper wollten. Der Workshop war für April 2021 angesetzt. Das heißt, wir haben uns tatsächlich erst virtuell getroffen haben und einen Tag lang über Texte gesprochen haben, über Zoom. Wir waren zu viert: Astrid Kaminski, Elisabeth Pape, Tracy Fuad, und ich. Und es war dann erstaunlich, wie gut die Texte der Gruppe zusammengekommen sind, Lyrik, lyrische Prosa, Essay, dramatischer Text, und ein sehr reflektiertes und dann erschüttertes und dann aufbegehrendes Schreiben über Körperlichkeit. Und schließlich haben wir uns wirklich Anfang Juli zum ersten Mal getroffen bei unserer gemeinsamen Lesung. Und es kam die Idee für die Publikation ins Spiel. Das entwickelte sich dann über den Sommer und Herbst…

LK: Ein spannendes Projekt, gerade in Zeiten der Zoomtreffen. Welche Rolle hat der Tanz dabei genau gespielt? Hattest du vorher schon mit Tanz zu tun und spiegelt sich in den Texten eine Körpererfahrung wieder, die auf eine Auseinandersetzung mit Tanz zurückgeht?

Johanna: Tatsächlich hatten die Texte unserer, der allerersten Werkstatt wenig konkret mit Tanz zu tun. Auch meine nicht. Es ging dafür viel um verkörpertes Erfahren. Inwiefern hat mein Text trotzdem mit Tanz zu tun? Für mich nimmt Tanz vielleicht die Rolle eines Versprechens ein: Wenn ich als Zuschauerin einer Performance in Kontakt mit Tanz komme, fühle ich, wie mein sitzender, schauender Körper berührt wird von der Bewegung anderer Körper. Ich nehme mich in dieser Situation oft als Laiin gegenüber meinem Körper wahr. Ich habe das Gefühl, Tanz erinnert mich an Körpererfahrungen, die mir im Alltag entfallen, versammelt Weisen des Ausdrucks, stellt diese als Möglichkeiten in den Raum. Demgegenüber habe ich andere Situationen, in denen getanzt wird, oft als bedrückend erfahren, mein Körpergefühl, meine Bewegung eingeschränkt von Blicken, von Zuschreibungen, Erwartungen. Ich hatte oft das Gefühl: Ich tanze nicht, ich tue nur so. Vielleicht weil ich ein fast utopisches Bild von Tanz als Ausdruckswissen und Praxis habe. In „mein körper, der da wäre“, findet eine Auseinandersetzung statt mit den Zuständen von Körperlichkeit, mit Beklemmung, Genuss, Ausgelassenheit, Selbstverständlichkeit, Entfremdung. Wo beginnt Tanz?

LK: Deine Antwort stellt auch die Frage nach der Grenze zwischen Tanz und Bewegung. Ich hatte den Eindruck beim Lesen deiner Gedichte, dass überhaupt um Grenzen geht: wo beginne, ich etwas zu berühren, wo werde ich berührt. Das Schöne daran, wie ich fand: diese Aufmerksamkeit auf Grenzen schafft auch zugleich ein anderes Zeitempfinden. Die Gedichte schaffen sehr behutsame, reduzierte Räume, in denen Zeit fast stillsteht.
Korrespondiert das mit der Weise, wie du die Gedichte geschrieben hast, also zum Beispiel meditativ oder in einem klar umrissenen Zeitraum?

Johanna: „mein körper, der da wäre“ ist über den Zeitraum von vielleicht anderthalb Jahren entstanden. Die Grundlage sind Notizen aus dem Frühjahr, Frühsommer, Herbst vorletzten Jahres. Die Jahreszeiten überschnitten sich in großen Teilen mit Zeiten des Lockdowns. Über das (gerade nicht) Stillstehen des Jahres 2020 ist viel geredet worden. Meine Texte bewohnen diesen Zeitraum, wobei ihr Radius ein sehr kleiner ist, ein körperlicher, nahbarer (zumindest hoffe ich das). Für die Werkstatt im April des folgenden Jahres, dann für die Lesung im Juli und schließlich die Druckfassung habe ich mehrere Anläufe genommen, den sehr beweglichen Textkörper zu gliedern, der dazu noch ständig angewachsen ist. Die ständigen Verschiebungen, die Zuwächse an Text, die Zwischentitel haben mit einem unklaren Zeitempfinden zu tun, dem Schwertun mit Reihenfolge.

LK: Ist dies körpererkundende Schreiben mit der Publikation für dich zu einem Abschluss gekommen oder wirst du daran anknüpfen und weiterarbeiten? In welchem Verhältnis steht überhaupt die Lyrik zu deinem sonstigen akademischen Tun? Oder berührt sich das (bisher) nicht? Hast du konkrete lyrische oder akademische Projekte?

Johanna: Vom Körper schreiben liegt mir weiter nah (wir haben ja weiter miteinander zu tun). „mein körper, der da wäre“, wirft körperliche Gegenwarten auf, entzieht sich, spielt mit Blicken, Winkeln. Ähnliche Bewegungen kommen in vielen meiner Texte auf, hier sind sie aber vordringlich geworden. Die Arbeit an dem Band war neu insofern, dass ich „mein körper, der da wäre“ als einen lang-atmenden, zusammenhängenden Text begreife – nicht als Sammlung von Einzelgedichten, auch nicht als Zyklus. Die Entwicklung des Sprechens beschäftigt mich, die Spannungen, das Netzhafte, die Frage, wie der Text als Raum, als Körper handeln kann. Mich interessiert, was Text auf Papier kann, aber ich möchte auch mit anderen Formaten arbeiten. Da du es ansprichst: Ich studiere zurzeit Politische Theorie. Berührungen, Einflüsse, Eingriffe gibt es jede Menge. Vor allem geht es mir im Schreiben um Wahrnehmen, es kommt also ins Spiel, wie Wahrnehmungsprozesse sozial strukturiert, also politisch sind. Bisher habe ich mit ausdrücklich politischem Schreiben eine Zurückhaltung, auch „mein körper, der da wäre“ ist kleinlaut in dieser Hinsicht. Soviel könnte ich sagen: Das lyrische Schreiben ist mir lieber als das akademische. Und Schubladentexte gibt es viele.

Das Gespräch führte Hendrik Jackson