Gespräch mit Monika Rinck

Monika Rinck ist eine der bekanntesten deutschsprachigen, zeitgenössischen LyrikerInnen. Weniger bekannt ist, dass sie viel in Kollektiven gearbeitet hat (Lemma, Filmrauschpalast, Ping-Pong d’amour, Rotten-Kinck-Schow etc) und auch sehr viel übersetzt, außerdem einen grandiosen Sinn für alberne Inszenierungen hat, andererseits den schwermütigen Gottfried Benn über weite Strecken auswendig weiß. Damit ist eigentlich schon zu viel gesagt, fragen wir sie besser selbst.

 

Lyrikkritik: Liebe Monika Rinck, man könnte vielleicht sagen, dass du (und natürlich einige andere) in den letzten 20 Jahren den „Quatsch“ in der Literatur, besonders der Lyrik, „anschlussfähig“ (sagt man ja, oder?) gemacht hast. Damit meine ich etwas jenseits der Pointe und des Kabaretts. Etwas, das eher mit „Idiotie“ zu tun, einem Thema zu dem du ja auch zusammen mit Lukas Matthaei einiges gemacht hast.
Obwohl es natürlich Vorläufer dieses „Quatsches“ in der Literatur gibt (Gombrowicz, Šalamun, Schlingensief etc), Quatsch auch sicherlich etwas Zeitloses hat, hängt diese breitere Akzeptanz von Formen, die aus der Rolle der Repräsentation fallen, vielleicht doch damit zusammen, dass unsere Gesellschaft sich immer mehr einen egalitären Anschein zu geben bemüht ist (ist dem so?)?
Daran schließt eine zweite Frage an: Du äußertest auch vor kurzem einmal, du seist an Quatsch nicht mehr interessiert. Was ist da passiert und woher kommt diese Quatsch-Müdigkeit?

Monika Rinck: Ja und nein. Vielleicht zunächst zum zweiten Teil der Frage: Tritt er denn überhaupt noch ein, der Schock der Differenz? Dass ich mithilfe des Abwegigen eine Irritation erzielen kann, eine komische, vielleicht auch robuste (aua) Irritation – eine gute körperliche Reaktion, durchgeschüttelt, behämmert, geschubst, ausgeschüttet – und dann wieder klarer sehe, und außerdem erheitert bin. Wenn die Negativität überhandnimmt, wird sie zum Ramsch, oder? Die Dignity of Verpeiltheit ist vorbei, scheint mir. Was ist denn noch die Kontrastdimension von Quatsch? Nachdem inzwischen alles gesagt werden kann, mit irgendeiner abgefuckten Rationalität, die nur noch um sich selbst kreist. Zynismus und himmelsschreiende Verdrehtheit, völlig normal, geht durch, sagt: macht nichts, und verschlimmert. Oder ich muss mit dem Bohrer einfach noch tiefer hinein, aber da bin ich noch nicht.

Und weiter: Vor wenigen Tagen dachte ich zum ersten Mal, das war’s mit dem Radio. Ich war ja fast 20 Jahre bei einem Nachrichtensender beschäftigt, halbtags, war in gewisser Weise nachrichtensüchtig seither, und konnte nie verstehen, wenn Leute sagten, sie schotteten sich ab vor den Nachrichten der Gegenwart, ich hielt es für eine Verpflichtung zu wissen, was gerade passiert – – – – und vor ein paar Tagen haute ich dem Gerät auf dem Fensterbrett in der Küche eine runter, weil ich’s nicht mehr aushielt. Wetterbericht: Waldbrände, erhöhte Ozonwerte, bitte lassen Sie ihr Auto stehen, Nachrichten: Finanzminister Lindner fordert Erhöhung der Pendlerpauschale und so weiter und so fort. Sprache als Deko, als Zement, als der Sand, der dazuführt, dass sich überhaupt nichts ändert, didd ohnmächtige und endlose Gequatsche! Eine Verwendung, die mir die Sprache als Material aus der Hand nimmt und mir stattdessen irgendeine depperte systemstabiliserende Wiederholung an die Hand gibt. Etwas, mit dem man wirklich nichts mehr anfangen kann. Und nicht damit aufhört. Während alles andere kippt. Sichtbar kippt. Die Verbindung zwischen Sprache und Wirklichkeit: endgültig gekappt. Bozuk. Es ist ja alles bekannt.

Zum ersten Teil: Eine Ente (der Welt), die im Frühjahr 2020 zu mir gekommen ist, half mir das Material der Gegenwart zu befragen. Watschel, watschel. Kam sie mit einer erhöhten Zugänglichkeit? Könnte sein. Ich nahm die Entengedichte erst gar nicht ernst, sie waren nur etwas, das mich während des ersten Lockdowns bei Laune halten sollte, dachte ich. Dann sind sie doch in der Mütze erschienen. Nun trage ich sie manchmal bei Lesungen vor (auch aus dem Grund, dass ich derzeit kam etwas anderes habe). Und ich merke: die Entengedichte kommen mit einem guten Schritt, sie sind real, auch komisch, haben einen Ernst, ohne zu seriös zu sein. Über Quatsch in der Literatur (guter Quatsch, schlechter Quatsch) könnte ich noch sehr viel mehr schreiben, aber das soll ja ein Dialog sein. Daher: erst mal bis hierher.
(PS: hab natürlich gestern das Radio gleich wieder angemacht… geht irgendwie nicht anders…)

LK: Nun ist die Verlockung groß, noch mehr über Quatsch zu hören. Zumal ich nochmal nachfragen möchte: Kontrast, Dignity of Verpeiltheit: Also gab es früher eine Seriösität, die man aushebeln konnte – und inzwischen geschieht die Dekonstruktion der Autoritäten von selbst, vor aller Welt? Verstehe ich das richtig – und ist das objektiv so oder ist das eher ein Blick, den Lebenserfahrung gibt?

MR: O, das ist schwer so generell zu sagen. Ich kann den Blick ja nicht von mir abziehen und ich habe diesbezüglich auch keine unbeteiligte Kontrollgruppe. Ich meine Hannah Arendt hat über die Verwischung des Unterschiedes zwischen Tatsachenwahrheit und Meinung geschrieben, dass es gar nicht in erster Linie darum gehe (wenn ich mich richtig an den Zusammenhang erinnere), Lügen in die Welt zu setzen, sondern die Unterscheidung zwischen Lüge und Wahrheit zu nivellieren. Dass es gleichgültig wird, ob etwas (theoretisch, philosophisch, historisch etc) korrekt ist. Vielleicht gilt das auch für die Unterscheidung zwischen Quatsch und seinem Gegenteil. Haarsträubende Verschwörungstheorien, irre Zusammenziehungen von Akteuren, Opfer-Täter-Umkehr, absurde Argumentationen – so dass ich zuweilen nur kopfschüttelnd sagen kann: your humour is beyond me. Oder wäre gerade das der Moment für Gelächter? Die Vernunft fühlt sich herausgefordert. Es ist ernst, aber ich kann nicht alles widerlegen. Oder: Kann ich alles widerlegen?

Hinzukommen die schlechten Nachrichten. Und dass vielleicht einfach nicht mehr so viel Zeit ist für Quatsch, oder oft sind die Leute, mit denen ich im freien Spiel der Erkenntniskräfte viel Energie zur Verwirklichung alberner Ideen aufbringen konnte, in einer anderen Stadt als ich. Es braucht eine bestimmte ausgeleierte Muße, meine ich, und eine gegenseitige Anstiftung. Wenn ganz viele Dinge anstehen, die mit einer Frist und einem Zweck gekennzeichnet sind, ist es schwierig, sich dem zuzuwenden, was sehr gut einfach nur Quatsch sein könnte.

Es ist ein warmer Tag in Wien, ich habe alle Fenster geöffnet, an den Innenhof schließt ein Kinderspielplatz an. Und ich höre eine männliche Stimme immer wieder rufen: Kommt jetzt! Kommt jetzt bitte. Wir fahren jetzt nach Kärnten. Die Kinder lachen. Das wiederholt sich mehrfach. Dann ruft die Stimme: Wenn ihr jetzt nicht kommt, fahren wir alleine nach Kärnten. Die Kinder lachen lauter. Dann: Wir fahren jetzt (!!!) alleine nach Kärnten. Die Kinder brechen in sehr lautes, fast durchgeknalltes Gelächter aus. Sie wissen offenbar, dass sie sich keine Sorgen machen müssen.

LK: Deine Antworten übersteigen auf schöne Weise den Horizont meiner Frage (Gott sei Dank). Da bliebe mir eigentlich am ehesten, mit Quatsch zu reagieren. Oder mit einem willkürlichen Sprung: Was ist eigentlich aus „Ping-Pong-d’Amour“ geworden (zur Erklärung: das war ein langjähriges Filmprojekt mit einem festen, gleichberechtigten Team von Leuten, wenn ich es richtig verstehe)? Du hast es ja auch schon angesprochen: Es gab Zeiten, in denen war der gemeinsame Arbeitsprozess mit anderen sehr wichtig. Du hast das als Thema des Kollektivs immer wieder in deinen Texten. Das ist ja eigentlich etwas ungewöhnlich für Lyrik, wo doch jeder eher vor sich hinarbeitet. Vom „Filmrauschpalast“, wo du viel veranstaltet hast, über das „Ping-Pong“ bis hin zur „Rotten-Kinck-Schow“. Wie schaust du heute auf diese tumultigen Zeiten?

MR: Die fiktionale Doku-Soap im Stil der Nouvelle Vague: Le Pingpong d’Amour ist (soweit ich weiß) nach wie vor in einem halbfertigen Zustand in der Schwebe, also: konserviert in Unfertigkeit, nachdem die ganze Staffel mehrfach an unterschiedlichen Orten gezeigt worden ist. Ich freue mich schon darauf, die Serie mit dem Abstand von 30 oder 40 Jahren zu sehen. Vielleicht wartet der Film einfach darauf, endlich historisches Material zu sein, um dann ziemlich genau Auskunft zu geben, über eine ganz bestimmte Zeit.

Ja, ich hab immer sehr viel und intensiv in und mit Gruppen gemacht und war dann nach einer gewissen Zeit auch wieder dankbar, über manche Sachen vergleichsweise alleine entscheiden zu können, im individuellen Schreibprozess. So ein bisschen wie in der Herzkammer: erst Diastole, dann Systole, also erst die Füllungsphase dann die Austreibungsphase, und immer so weiter. Nur scheint mir manchmal, dass ich inzwischen nicht mehr so viel Kraft habe, für diese laufenden Wechsel, doch wenn ich etwas vermisse, dann sind es meist die glücklichen Gruppenphasen und weniger die autonomen Schreibphasen. Gerade klopfen die Nachbarn gegen die Wand, wahrscheinlich mit Hämmerchen, es ist sehr deutlich und ich frage mich natürlich gleich, ob sie mitlesen und kommentieren, sogar protestieren, weil das alles nicht stimmt. Da ist diese Bereitschaft zum Bezug und zur Durchlässigkeit, gegen die ich gar nichts tun kann. Sie stellt sich einfach ein.

Ein anderes Problem ist, dass, trotz aller Erschwernisse, die meisten Leute, mit denen ich gerne zusammenarbeite, dauernd an verschiedenen Orten sind, ich ja auch. Zum Beispiel weiß ich gar nicht, wo du gerade bist. Wo bist du denn? Ich bin in Moabit.

LK: Ich bin tatsächlich wieder in Berlin. Aber natürlich ist nichts mehr wie früher. Alle sind vereinzelt, reisen umher, es gibt kaum mehr das, was ich den „pulsierenden, verbindenden Hintergrund“ nennen würde. Aber ich werde das dumpfe Gefühl nicht los, dass das der naheliegendste Ausweg aus einer grundsätzlichen Krise der kook-Generation war.

Kurzer Exkurs, was ich damit meine: Nach den Avantgarden mit ihrem Sprachverständnis, das alle Erfahrung der ästhetischen Progression unterordnete, rückte der kook-Aufbruch, auch im wesentlichen alles, was um „Lyrik von jetzt“ herum geschah, wieder die Frage nach der (Lebens-)Erfahrung des Einzelnen, inmitten von Politik und sprachlicher Vermittlung, in den Fokus. Zugleich griff sie nicht, wie die Poesie der Großprojekte zuvor (Kling, Schrott, Egger, Grünbein etc), auf die Relevanz weltumspannender Recherche oder Themen zurück. Das Lapidare, Abseitige, Quatschige, aber auch Poetische, Emphatische und Euphorische hielt wieder Einzug, aber auch verschiedene Jargons, Fachsprachen, „Welt“ – freilich reflektiert. Ich glaube, das ging nur, wie ja auch Metz darlegte, in einem Klima des Aufbruchs und der (lokalen und geistigen) Dichte an Gleichempfindenden und -interessierten. Das verdeckt Utopische dieser Denkungsart nährte sich vom heimlichen Zusammenhalt in der Hoffnung. Es war logisch, dass dies irgendwann ausbrennen musste. Nur Konzeptkunst oder auch ein radikal werkimmanentes Schreiben geht tendenziell gegen unendlich. Großprojekte wiederum mögen immerhin für ein Leben reichen. Nicht so die situative, von Anlässen inspirierte „Poesie als Lebensform“. Hat die Vereinzelung durch Lehraufträge und Wegzüge, durch Zerstreuung und Preise die Generation vor einer Krise bewahrt, bzw. auf den Einzelnen zurückgeworfen? Aber was ist nun?

MR: Schön, dass du wieder da bist! Wahrscheinlich ist es ja nie wirklich wie früher gewesen, aber dennoch: ich will das gar nicht von der Hand weisen. Kurz dachte ich: Erfolg als Strafe, aber das nehme ich sofort wieder zurück, augenblicklich. Ich lese eine gewisse Melancholie in deiner Frage, oder? Ich weiß auch nicht, ob sich diese Jahre, all diese Leute und Arbeiten auf einen Begriff bringen lassen. Hochreflektierte Welt, extravagante Passagen am Rand, fröhliche quasi pyrotechnische Nischen, die in anderen Nischen zuhause waren. Aber so unzugänglich war ja gar nicht alles. Ja, die Relevanz des ganz großen Themas sah ich nicht unbedingt als Aufgabe der Lyrik, zumal die Tiefe der Recherche manchmal auch zu einer Verstellung, also ins Versteck führte. (Verstellt in dem Sinne, in dem man einen Schrank vor ein Loch in der Tapete stellt.) Und ich mich fragte: Wie tritt das ganze verarbeitete Material wieder hervor, oder entgegen, wie zeigt es sich im Gedicht? Oder wird es versteckt in der großen Geste der Relevanz, und ist es dann noch (offen) lesbar? Andererseits gibt es auch tolle Beispiele, wie Merwins Buch über Hawai oder manche Langgedichte von Ann Carson, oder, ganz neu: Mae Schwinghammers Buch „Covids Metamorphosen“.

Es war natürlich sehr schön, umgeben zu sein von Leuten, die einem halfen, das sinnvoll zu finden, was man im Begriff war zu tun. Am Institut für Sprachkunst in Wien versuchen wir eben diese gemeinsame gute Atmosphäre herzustellen. Dafür ist so ein Institut schließlich auch da. Wie ist es jetzt? Ich weiß gar nicht genau. Ist das die Rache der Professionalisierung, die dazu führt, dass man das, was man früher frei und vor allem freiwillig getan hat, jetzt nur noch im Auftrag macht? Wobei es natürlich gut ist, beauftragt zu werden, es ist gut, dass es ein Interesse gibt, aber mir scheint, dass das eine ganz andere innere Ökonomie in Gang setzt als das Schreiben ohne Ziel und ohne Auftrag, jedenfalls bei mir. Mal schauen, wie es weitergeht. Ich versuche zumindest, mich wieder verstärkt dem Nichtbeauftragten zu widmen, von dem ich noch nicht weiß, was es wird. Nachdem sich die ganze Nacht über kein Blatt gerührt hat und nur eine warme Luft mitten im offenen Fenster stand, die weder wärmer noch kälter war als die Luft darin, wird es nun mit einem Mal windig.

LK: Die Luft weht, wo sie will! Ich möchte in diesem Sinn eine Umkehrfrage stellen: Worüber würdest du gerne sprechen? Gibt es etwas, das du nur in einem Gespräch äußern kannst, das dir wichtig ist, aber in der Lyrik oder Prosa keinen Platz fände? Oder noch anders: Welche Frage würdest du der ENTE stellen, wenn sie heute abend vor dir erschiene?

MR: Owe. Eine Umkehrfrage. Worüber würde ich gerne sprechen? Ich beschreibe gerne Düfte. Und den Geschmack von guten Weinen. Aber das meintest du jetzt wahrscheinlich gar nicht. Konzentrierte Gespräche über die Übersetzung von einzelnen Versen sind sehr schön, auf der Mikroebene. Oder ganz bestimmte erotische Phänomene im Vertrauen zu besprechen, ist auch schön. Vieles, wovon ich zuweilen eine starke Meinung habe, gehört eher ins Gespräch, weil ich schon ahne, dass starke Meinungen ein vorübergehendes Phänomen sind, und ich zudem oft zur Übertreibung neige, um die Leute zu erheitern. Und die Ente würde ich selbstverständlich fragen: Was kann ich Ihnen anbieten? Tee, Wein, Fisch, Alge, Wurm?

LK: Die Ente ist für mich ein Symbol der Kontingenz, die erscheint, aber in ihrer Watscheligkeit des Zufalls zugleich so anrührt und so seltsam eigenartig dasteht, dass man sie für Schicksal hält. Mit anderen Worten stellt sich da die Frage nach dem, was in die Literatur kommt und was nicht. Wie hauche ich den Buchstaben die Suggestion von Notwendigkeit ein? Auch das sprachexperimentelle Gedicht leidet unter Fragwürdigkeit der Zufälligkeit der Auswahl. Kann biographischer Bezug diese Beliebigkeit aufheben, wenn es sich dabei doch nur um eine andere, existentielle Art von Zufall handelt?

Aber es ist dem Leben abgeschaut (oder gar nachgebildet)! Nun, einen selbst mag das überzeugen, aber nach außen scheint das doch eine Art von Exhibitionismus, gar Exotismus des Erlebens. Sprichst du deshalb über manches nur „im Vertrauen“ (wie du schriebst)? Wo endet dieses „im Vertrauen“, wo fängt es an öffentlich zu werden? Die „Honigprotokolle“ oder auch „Ah, das love-Ding“ gingen ja irgendwo schon weit in der Exponierung des Intimen, oder? Zugleich gibt es bei dir immer die Transkription ins Abstrakte. Als möglicher dialektischer Schmelztigel bietet sich die Allegorie an, die schon seit deinen frühen Texten für dein Schreiben eine große Rolle spielt. Etwa weil sie diejenige noch sinnlich auftretende Form ist, die zugleich Typologisierung verkörpert und von daher genau ein Schlaglicht auf die Beziehung von Allgemeinem zu Subjektivem wirft? Hammerfrage!

MR: Oha, inzwischen ist der 14. November und schon am 18. September hattest du mir diese Frage gestellt und ich hab immer noch nicht geantwortet. Ich kann jetzt nicht behaupten, dass ich seither darüber nachdenke, eher, dass ich immer noch nicht weiß, wie ich sie beantworten soll. Zielt sie nicht vor allem auf Funktionsweisen des Meta-Textes, der poetologischen Selbstreflexion? Tomaz Šalamun zum Beispiel hat vergleichsweise wenig, ja, fast keinen Metatext produziert, es gibt nur seine Gedichte. Seinen Übersetzer*innen hat er auf ihre Nachfragen oft gesagt: Das ist halt so, das ist alles Vordergrund, es gibt nichts dahinter. Auf meine Frage nach dem Sinn eines vertrackten Verses sagt er: Schreib einfach, was auf Deutsch gut klingt. Wie soll ich sagen: Irgendetwas muss ja vorkommen, selbst wenn es Enten sind, die Ente (oder das Ende) der Welt. Auf der einen Seite steht das Lob der Offenheit, auf der anderen der Vorwurf der Beliebigkeit. Ich kann mir aber auch eine leere und fade Offenheit, eine tiefgreifende berührende Geschlossenheit und eine heilsame Beliebigkeit vorstellen, aber damit hätte ich noch nichts gesagt. Das Leben ist kein Argument. Aber was ist ein Argument, wenn selbst das Leben kein Argument ist? Und was kann ich mit der Allegorie anfangen? Die Allegorie erscheint mir eher die Spätform eines Denkprozesses zu sein. Hat sie mehr mit Anfangen oder mehr mit Finalisieren zu tun? OMG, we are having a Barockproblem. „Allegorien sind im Reiche der Gedanken was Ruinen im Reiche der Dinge.“ Oder nein. Vielleicht doch noch ein anderer Satz aus Benjamins Trauerspielbuch: „Die zertrümmerte Sprache hat in ihren Stücken aufgehört, bloßer Mitteilung zu dienen und stellt als neugeborener Gegenstand seine Würde neben die der Götter, Flüsse, [Enten], Tugenden und ähnlicher, ins Allegorische hinüberschillernder Naturgestalten.“ Ins Allegorische hinüberschillern! Die zertrümmerte Sprache als neugeborener Gegenstand! Und dann dieses seltsame Ensemble. Ja, so könnte ich das stehen lassen.

LK: Mit diesen offenen Aussagen, die Fragen gleichkommen, beenden wir fieser- oder glücklicherweise das Gespräch. Vielen Dank, Monika Rinck!

Das Gespräch führte Hendrik Jackson