Gastbeitrag von Elke Engelhardt

Auf Lyrikline ist seine Stimme noch zu hören. Ruhig und unaufgeregt, liest er dort zehn seiner Gedichte vor. Da ist nichts Aufgesetztes und Angestrengtes, Thien Tran folgt einfach der Melodie dieser Gedichte, die ebenso erstaunlich wie schön sind, in denen sich die Tiefe mit der Oberfläche verbindet, und das dem Menschen eingeschriebene Scheitern mit der Schönheit seiner Niederlagen.

Ein Jahrzehnt nach dem frühen Tod des Dichters hat Ron Winkler, Weggefährte Thien Trans, eine Auswahl aus seinem Nachlass und aus bereits veröffentlichten Gedichten  behutsam zusammengestellt und unter dem schlichten Titel „Gedichte“ im Elif Verlag herausgebracht. Die Essenz von Trans Gedichten bezeichnet Winkler als „die Kunst, die Sachverhalte mit Nüchternheit erneut zu verzaubern“. Damit diese Verzauberung weiter wirken kann und die Gedichte nicht vergessen werden, weil sie zeitlos und wertvoll sind, in ihrer ausgewogenen Entfernung „vom Ungesagten […], wie vom Unsagbaren“, hat er gemeinsam mit Jo Frank nachgelassene und für einen neuen Gedichtband zusammengestellte Gedichte Trans gesichtet und, von einem ebenso klugen wie einfühlsamen Vor- und Nachwort gerahmt, zusammengestellt.

Wie häufig ich sie auch lese, diese Gedichte, ich gewinne einfach keinen Abstand zu ihnen. Eine Entfernung, die nötig wäre, um angemessen neutral oder objektiv über sie schreiben zu können. Um zwischen diesem Buch und jenen, die es noch nicht gelesen haben, zu vermitteln. Aber vielleicht ist das auch der falsche Anspruch, und ich müsste einfach nur loslassen und aufschreiben, was ich fühle. Nur Eindrücke statt einer Analyse. Nur Bruchstücke an Stelle eines Gesamtbildes.

 

[…] diese ineinander- und auseinander-

​​      strebenden Emotionspartikel, bunte Kügelchen

​durch einen Bindfaden verbunden

​der vorher durch einen Benzinfilm

​gezogen wurde

 

​​im Optimalfall sondern Bindfäden

​Blütenarmomen aus, dass diese Kügelchen anfangen

​zu vibrieren, sobald auch das Begehren wahr ist

​​     und der Optimalfall ist jetzt: Blüten-

​aromen und bunte Kügelchen, die an einem Bindfaden

​​     hinabgleiten. Personen, deren Gegenstände

​brüchig geworden sind, deren Gegen-

​stände durchscheinen.

 

Ich würde gerne bis zum Optimalfall vordringen, und wenn mir das nicht gelingt, liegt es jedenfalls nicht an den Gedichten.

Trans öffentlich nachvollziehbarer Werdegang begann mit den „fieldings“, seinem Versuch, Haikus neu zu denken, die traditionelle Form anzupassen an die Welt, in der er lebte. Herausgekommen sind sehr genaue, messerscharfe Beobachtungen der menschlichen Natur. Szenen, Momente oder auch nur Bruchteile einer Sekunde:

10

​​für den Bruchteil

​​     einer Sekunde: T-Shirts

​air-conditioned/ Nord-

​​     licht, diatonisch.

 

Die Gedichte zoomen an die Gegenstände, die sie in den Blick nehmen, heran und wieder von ihnen weg, justieren Bilder und Moment, bis etwas sichtbar wird, dass sich ohne Geduld und poetischen Zugriff entzöge.
Trans Zugriff besteht darin, immer wieder zu versuchen, dem Unfertigen, in zahlreichen Variationen auf die Spur zu kommen. Das Verschwommene und Undeutliche, sich ständig Entziehende, scharf zu stellen, in den Blick zu bekommen. Für jeden Versuch hat er ein paar glasklare Sätze gefunden, die wie Messer in die Wunde zwischen Verstand und Gefühl zielen und jedes Mal treffen.

Thien Tran sucht nach Zusammenhängen und Verbindungen, oder er zeigt auf, wie das eigentlich Untrennbare immer wieder willkürlich separiert wird.

 

​[…] die Empfangsgeräte neu justieren, sie auf Hochglanz

polieren, sich in die Materie begeben.

 

Genau das tun diese Gedichte, denen man in diesem Band teilweise bei ihrer Entwicklung und Wandlung zusehen kann.

Häufig geht es um das fragile Gleichgewicht des „Standortfaktors »ich«“, oder um Geschwindigkeiten:

 

[…] Herstellung oder Wiederherstellung

​von Sinnelemente und Sinnketten

​deren Bestandteile konjunktivisch miteinander

​oszillieren. oder einfacher formuliert

​​     oder anders: Teilmengen

​mit der seltenen Fähigkeit überaus lebendig

​oder eigenständig zu sein

​gestern war der langsamste Tag

​meines Lebens.

 

Während ich nach Worten suche, die erklären könnten, was mich an diesen Gedichten so besonders und nachhaltig berührt, bewundere ich das sehr gekonnte Spiel mit Metaphern und Versuchsanordnungen, die gleichwohl ein sehr ernstes Spiel sind, wie überhaupt alle Gedichte eine existentielle Schwermut ausströmen, keine Verzweiflung, aber eine tiefe Verwurzelung in der Melancholie:

 

​GEGEN DEN TOD

 

​zwei Ansatzmöglichkeiten

​maximal:

 

1.​    wenn es einen Anfang gab
dann muss es auch ein Ende geben
[Kausalproblem]

2.​     wenn es keinen Anfang gab
dann kann es auch kein Ende geben
[Vorstellungsproblem]

 

wir müssen dies in beide Richtungen
zu Ende denken

 

(so leid es mir tut) es sind zwei Linien
die in ein und derselben Hinsicht
sich überschneiden
und nicht überschneiden

 

es ist wie ein Gehirnkrampf

 

wie ein schwarzes Loch in einem sonst
logischen System
wie ein Blackout am Morgen

 

als ob Raum und Zeit nun für immer
verloren wären, ununterscheidbar aufgelöst

 

trinkbar wie ein grüner Tee.

 

Was diese Gedichte noch auszeichnet, ist der nicht endende Versuch, immer wieder an die Grenzen des Denkbaren zu gehen. Für Thien Tran war die Poesie ein Labor, eine Wissenschaft von den Grenzen des Denkens. Und Gedichte eine Strategie. Eine Strategie für die schmerzliche Suche nach Wahrheit und Echtheit, die irgendwo unter den stumpfen  und glänzenden Oberflächen verborgen liegt. Oberflächen, die spiegeln, absorbieren, abstoßen, die sich niemals schmerzlos durchdringen lassen.

In jedem der Gedichte ist die Spannung zwischen Erkenntnis und Leere spürbar, die Gefangenschaft in den Paradoxien des Lebens und Denkens, die Ausweglosigkeit der Schönheit, oder das Ungleichgewicht zwischen Schönheit und Vergeblichkeit, zwischen den Standorten und der Geschwindigkeit, mit der sie vorbei ziehen.

Bilder, die sich scheinbar gleichen, tauchen immer wieder auf, ebenso Motive und Sätze, die in unterschiedlichen Variationen ausprobiert werden, als fiele immer wieder ein anderes Licht auf sie, so dass jedes Mal das Gleiche und doch etwas anderes sichtbar wird. Der Versuch einer „langsam […] grammatikalische[n] Durchdringung des öffentlichen Raums.“

 

der Mensch wäre ohne das Gedicht
nicht denkbar.

 

schreibt Thien Tran. Es ist diese Überzeugung, die in jedem seiner Gedichte spürbar ist. Der gelungenen Umsetzung dieser Überzeugung in Poesie verdanken wir, dass das Gedicht über den sterblichen Körper Thien Trans hinaus nicht nur denk- sondern erlebbar bleibt.

Elke Engelhardt