Christine Langer – Körperalphabet

Christine Langer, Kulturjournalistin, Kritikerin und Chefredakteurin der Literaturzeitschrift „Konzepte“, legt mit ihrem jüngsten Gedichtband sowohl Natur- als auch Liebesgedichte vor. Vor allem aber sind es Gedichte über die Natur der Liebe.

Durchgehend kurz und aufeinander bezogen, bilden die Gedichte aus „Körperalphabet“ einen Reigen. Einen Streifzug durch die Natur. Die Natur der Landschaft und die Natur des Körpers, zusammengehalten von der Natur der Liebe. Ein sinnlicher Spaziergang über und durch den Körper. Wie das Wetter und die Jahreszeiten wechseln die Stimmungen. Sorgfältig komponiert entsteht so eine profunde Leichtigkeit, die den Band trägt.

Langer verwebt in ihren Gedichten immer wieder Blicke und Berührung, die Natur mit dem Körper. Es sind langsame Gedichte von Augenblicken, die genau beobachtet sind, denen die Dichterin in ihren Strophen nachspürt. Das ist fast meditativ. Zärtlich und beruhigend laden die Gedichte ihre Leser ein, in Kleinigkeiten zu verweilen, sich der Schönheit einer Berührung hinzugeben. Ohne dabei die Flüchtigkeit und Vergänglichkeit des Lebens zu verschweigen. Auf diese Weise verschiebt sich der Blick; Langer „rückt den Augenblick/ Ins Bild seines Kinds“.

Dabei findet die Dichterin zum Teil überraschende, immer aber überzeugende Bilder. Ob sie nun das „aufgerissene Maul/ Einer Wunde“ beschreibt, oder die Spannung im Körper einer Katze vor dem Sprung, die Gewalten der Natur, Wind, Laub und Pollen bilden das Alphabet mit dem diese Gedichte sich den Kleinigkeiten hingeben. Den Jahreszeiten nachspüren, weil sie die Jahreszeiten die Spur legen lässt, der der Körper folgt.

Der Atemzug im Kissen, der dem Fallen erster Blätter gleicht, entspricht nicht nur dem Wechsel der Jahreszeiten, sondern ist gleichzeitig ein melancholischer Hinweis auf das Alter, die Begrenztheit des Lebens, die Unausweichlichkeit des Todes. Das ist trotz allem Einverständnis beunruhigend. Und so ist es nur konsequent, wenn das nächste Gedicht „Ruhigstellung“ heißt, und einen zumindest vorläufigen Trost bereitstellt.

Immer wieder weht Wind durch die Gedichte, trifft auf die magische Kraft der Sprache. Die Dichotomie zwischen Schweben, Glück und Leichtigkeit auf der einen Seite, und dem erdenden Element, der Gravitation durch das Wissen um die Vergänglichkeit, gewinnt im Verlauf des Bandes mehr und mehr Präsenz.

Der aufschlagende Apfel

Sank in Zeitlupe vom Baum
Ich erinnere mich an seine Form
Und wie er sich drehte während des Fallens

Unversehrt in der Luft
Lieh ich mir sein Rouge
Und imitierte mit roten Lippe
Sein Baumeln vor dem
Fall in den Dreck

Langers Gedichte vollziehen sanfte Schritte vom Bewussten ins Unbewusste, vom Ich zum Du, vom Menschenkörper zur Natur. Sie machen keine Sprünge, sondern vollziehen behutsame, liebevoll, zumindest zärtliche Hinwendungen. Sanft wie fallender Schnee. Bewegungen, die stets dem Rhythmus einer Melodie folgen, zu der man tanzen oder träumen kann. Oder um mit Christine Langer selbst zu sprechen: „getragen von einem klangblauen Klang“.

Dann verwandelt sich das Mondlicht in Haar, die Großstadt wird zum Körper, an dem die Narben aus „Grünflächen […] aufgerauhter Gedankengewebe“ bestehen. Der Haut, einer „aufgefächerte Rose“, wachsen „immergrüne Zweige“, die Zeit schlägt Wurzeln in einem zärtlichen Augenblick. Das melancholische Bild eines verblassenden Weizenfelds für den körperlichen „Entzug von Nähe“ steigert sich zu körperlich schmerzhaften Bildern für den Abschied.

Ein rollender Zug überholt
Den langatmigen Schrei der Gleise

Metallfunken durchtrennen
Einen Händedruck

[…]“

Dem:

Verlangen nach Beständigkeit

Schnee über Schnee überschreibt sich
Dehnt sich aus du vergißt deinen Namen
Stellst dich schlafend doch hellwach siehst du
Dein Grab unterem Schnee

wird eine „eine Bewegung in der Bewegung“ entgegen gesetzt. So drehen die Gedichte die Leserin von Seite zu Seite mit einem letzten Tanz heraus „Aus der Endlichkeit“. Und lassen stattdessen „den Zeitball springen“.

Elke Engelhardt

Christine Langer – Körperalphabet, Klöpfer und Meyer Verlag, Tübingen 2018, 118 Seiten, 20 Euro