Die Frau hat schön und stumm zu sein – Mani Matters arabische Ballade wirft Fragen auf

Vor 50 Jahren ist Mani Matter gestorben. In «Dr Sidi Abdel Assar vo El Hama» singt er von der Krux der Käuflichkeit in der arabischen Kultur. Darf man das noch hören? Oder soll man das zu Zeiten der Fussball-WM in Kater erst recht?

Zum Abrunden noch etwas «Exotisches». So kündigte Mani Matter seine Zugabe auf dem Livealbum «Ir Ysebahn» an. «Eine Art arabische Ballade» sei es, aber natürlich «kein ernster Beitrag zur arabischen Frage». Was er in den folgenden anderthalb Minuten darbot, ist noch 50 Jahre nach seinem frühen Tod eines seiner beliebtesten Chansons.

«Dr Sidi Abdel Assar vo El Hama», das Lied des Verliebten, der sich die Angebetete nicht leisten kann, ist raffiniert gemacht. Die Geschichte wird in wenigen Worten anschaulich. In effektvoller Reimstellung tauchen die gängigen Schlagworte rund ums Thema Arabien auf: Moschee, Allah, Kamel, Sahara und so weiter.

Allein der Humor, der in den zweisilbigen Reimen steckt, hätte gereicht, um das dankbare Publikum im Basler Fauteuil-Theater unter die Tische zu schicken: «Bi Allah! / Es fröit mi, dass my Tochter dir het gfalla. / Doch wärt isch si, my Seel, / Zwöihundertzwänzg Kamel, / Und drunder chan i dir sen uf ke Fall la!»

Geschickt evoziert Matter auch die Atmosphäre der arabischen Welt, oder was man dafür halten könnte. Nicht nur durch die Verwendung der Harmonisch-Moll-Skala mit ihrem auffälligen Hiatus, sondern indem er ein Arabien-Klischee ums andere bemüht: das Feilschen um Schafe und Kamele, die klare Mondnacht in der Wüste und das dramatisch schöne Augenpaar, das wohl hinter dem Schleier hervorfunkelnd vorzustellen ist.

Eine westliche Perspektive, die sich im Gestus der Überlegenheit ein stereotypes Bild der Kultur des Ostens zurechtlegt, nennt man orientalistisch. Damit sind nicht nur abwertende Haltungen gemeint, die fremde Kulturen als unaufgeklärt und rückständig sehen. Orientalismus tritt auch in einer verherrlichenden Form auf, die etwa von mystischer Wahrheitsfindung schwärmt oder von exotischer Erotik fantasiert.

Dass die Frau schön und stumm zu sein hat und dass alles käuflich ist, gehört zum nicht thematisierten Kontext dieser «arabischen Ballade». Er scheint heute wieder aktuell, da sich Katar die schönste Nebensache der Welt gekauft und in die Wüste geholt hat, während es um die sexuelle Selbstbestimmung im Land nicht zum Besten steht.

Doch, wie so oft bei Mani Matter, ist die Schlusspointe nicht bloss lustig, sondern zieht retrospektiv einen doppelten Boden in die Geschichte ein. «Hätt i doch früecher afa spara», sagt sich der traurige Abdel Assar. Die Moral der Zahlungskraft wird ausgerechnet von ihrem eigenen Opfer unterstrichen, das den Fehler bei sich selbst sucht.

So bekommt die exotische Parabel eine Pointe, die schweizerischer nicht sein könnte. Von hier aus könnte man sich Fragen über die hiesige Gesellschaft stellen. Etwa, wie es hier um die Chancengerechtigkeit oder um die Frauenrechte steht. 1972 war die Frau dem Mann im Schweizer Eherecht noch längst nicht gleichgestellt, ein Missstand, gegen den sich Matter engagierte.

Die heutige Sensibilität in Sachen Orientalismus konnte Matter damals nicht besitzen. Doch so oft wie die Zeitlosigkeit unseres Nationaltroubadours beschworen wird, muss die Frage erlaubt sein: Ist der «Sidi» noch tragbar? Das Lied bedient sich billiger Klischees und macht Lachen auf Kosten von karikaturesken Figuren. Sein Humor ist für Matters eigene Verhältnisse eher grob. Und es ist schlecht gealtert im Licht der fortschreitenden Selbstkritik der westlichen Intelligenz. Doch wäre Matter hier, er würde nach Kräften helfen, diese voranzutreiben. Darum und aufgrund vielfältiger Verdienste um die helvetische Volksseele möge Sidis Aufenthaltsbewilligung noch einmal verlängert werden.

Florian Bissig

Text vom 1. Dezember 2022 aus der Aargauer Zeitung, mit Dank an CH Media