Über „Die Errettung des Schönen“ von Byung-Chul Han
Byung-Chul Hans Zeitdiagnostiken werden schon seit längerem in den Feuilletons besprochen. Han wurde auch schon mal als Philosoph bezeichnet, weil er in seinen Schriften viele Philosophen anführt und Philosophie lehrt. In dem Buch „Die Errettung des Schönen“ aber zeigt sich, dass er vor allem Essayist ist, mehr noch: Diese Sammlung von kurzen Essays, die um Begriffe wie das Schöne, das Nicht-Konsumierbare, die Langsamkeit und die Tiefe kreisen, ist am ehesten eine Kampfschrift, auch wenn der Kämpfer im Seidenmantel auftritt. Han sammelt und findet schöne, manchmal auch sehr gängige Stellen bei Philosophen und Schriftstellern und vermag diese passend zu applizieren und zu einer Zeitdiagnostik zusammen zu puzzlen. Wirklich gründliche eigene philosophische Begriffsarbeit leistet er nicht, er konzentriert sich auf Abgrenzungsversuche bzw. Gegenüberstellungen von Begrifflichkeiten. Er wendet sich (zumindest dem Unterton nach, auch wenn er direkte Anklagen vermeidet) gegen das „Digitalschöne“, das Schmerzfreie, vor allem aber gegen das „Glatte“, das allzu Offenbare, das Pornographische. Aus dieser Kritik schält sich allmählich eine Stellungnahme für das Verhüllte heraus, für das Nichtglatte und eher verstörende Schöne, das Erhabene in Verbindung mit dem Schönen, auch für Riss und Schmerz, Erschütterung, die wiederum dem Gefallen und dem Konsumierbaren gegenüber gestellt werden.
Damit wären die Eckpunkte umrissen. So trefflich Han dabei auch formuliert und zu zitieren weiß, so undifferenziert oder pauschal bleiben einige der Analysen. Dem Stile der französischen Postmoderne treu, wendet er zwar deren Mittel der Zuspitzung und gleichsetzenden Schematisierung (in der Art „Das Materielle ist das Reale“ etc.) an, aber in einer gewissen Hüpfrigkeit, der die Substanz abgeht. Wo z.B. ein Deleuze einfach Schritte auslässt, dabei aber konsistent und begründbar bleibt, springt Han, ohne genauer hinzuschauen, von großem Begriff zu großem Begriff. Das Schematische, das innerhalb komplexer Begriffsfelder seinen Reiz haben kann, verfällt zum Pauschalen. So wird mit dem Begriff des Pornographischen recht frei operiert, Han unterschlägt aber die Vielfalt und auch das subversive Potential der Pornographie.
In seiner Aversion gegen das Glatte verzichtet er selbst darauf, ambivalente Mischformen, in denen sich Oberfläche und Tiefe streiten, wie Parodie, Ironie und Pastiche zu thematisieren.
Manche Sätze Hans sind in ihrer Zuspitzung dennoch sehr treffend, schaffen immerhin eine grobe Diagnose bekannter Alltagsphänomene. So konstatiert er, dass der Mensch in der digitalen Welt zu autistischer Erfahrungslosigkeit neigt, dass die Menschen kein Liebesrisiko mehr einzugehen vermögen. Die wesentlichen Impulse gehen in dem Buch aber von Zitaten aus. Sehr schön zum Beispiel, wie er Rilke aufspürt und der Verletzung nachgeht, die jedes Sehen im Grunde schon ist: „Ich weiß nicht woran es liegt, es geht alles tiefer in mich ein und bleibt nicht an der Stelle stehen, wo es sonst immer zu Ende war.“ Han spricht im positiven Unterton dann von „Negativität der Verletzung“: „Ohne Verletzung gibt es weder Dichtung noch Kunst“. So richtig das sein mag, bleibt Hans Schlussfolgerung dann doch recht banal und das schöne Rilkezitat läuft in Feuilletonismus aus.
So könnte man an vielen Stellen nachfragen. Was sollen wir mit einem unerörterten Begriff der Oberfläche anfangen? Wie könnte Tiefe denn aussehen? Das bleibt unbesprochen. So ähnelt sein vehementes Plädoyer für Tiefe, Erschütterung, Schmerz und Verhüllung seltsam dem glatt durchtrainierten sixpack eines in Ästhetik geübten Mind-builders. Auf der linken Seite des sixpacks finden wir Benjamin, Adorno und Barthes, auf der rechten Hegel, Heidegger und Schmitt. Wie sonst bei konservativen Denkern (der Han wohl auch ist) werden zwar Analysetools des „kritischen“ Denkens übernommen, die Antworten fallen aber rückwärtsgewandt-sentimental aus. Alles wird im Modus des Verfalls gelesen. Dabei fällt auch bei Han, wie so oft, was argumentativ nicht zwingend ist, psychologisch auf den Urheber zurück: vielleicht bekämpft Han das Glatte mit dieser Vehemenz, weil er selbst bereits in ihm gefangen ist. Und in der Tat, schaut man genauer hin, treffen seine wesentlichen Vorwürfe an die Moderne auf seine eigenen Essays zu. Seine Pauschalisierungen beschleunigen das Denken und verunmöglichen ein genaueres Schauen. Sie vereinfachen und unterschlagen Komplexität, sind also im Hanschen Sinnekonsumierbar. Die Gleichsetzungen wiederum so verschiedener Begriffe wie pornographisch undanästhetisch, transzendenzlos, signifikanzlos und valenzlos kitten die Trennlinie zwischen den Begriffen, ihre Differenz, glätten also. Das Bedenklichste aber: Han konstatiert ununterbrochen, ohne zu begründen. Man könnte das wohlwollend „phänomenologisch“ nennen, aber das hieße die Implikationen philosophischer Phänomenologie zu vernachlässigen. Denn Han ist nicht einmal seinsmäßig an der Genese oder an Gründen interessiert, ihm geht es um die griffige Abgrenzung allein. Er ist mithin oberflächlich in seinem eigenen Sinn. Er kritisiert, ohne den Gegner wirklich zu durchdringen. Im besten Fall wertet er fremde Analysen aus und macht sie konsumierbar.
Nur durch Abgrenzung aber gelangt man auch nicht zu einer eigenständigen Position. Die Kritik an der Oberfläche, zumal so eine oberflächliche (im Sinne des Unbegründeten), schafft noch keine Tiefe. Es mag sein, dass eine tiefe kontemplative (und eher nicht-sprachliche) Erfahrung Hans Telos ist (oder Hintergrund seiner Kritik), aber das können wir nur ahnen.
Deutlich sichtbar wird das unter anderem am Kapitel über das Desaster. Auch hier versucht er mit klassisch kritischen Analysetools oder Zitaten das „Desaster“ (vom Wortstamm her gedeutet als „Unstern“ gegenüber dem bestirnten Himmel Kants) gegen die „autoerotische Innerlichkeit“ ins Feld zu führen und bemängelt die zufriedene Selbstbezüglichkeit des autonomen kantischen Subjekts. Doch seine Apologie des „Desasters“ wird dem Begriff „Desaster“ nicht wirklich gerecht: „Die Ästhetik des Desasters opponiert gegen die Ästhetik des Wohlgefallens, bei der das Subjekt sich selbst genießt. Sie ist eine Ästhetik des Ereignisses. Desaströs kann auch ein unscheinbares Ereignis sein, ein weißer Staub, den ein Regentropfen aufwirbelt, ein stiller Schneefall in der Morgendämmerung, ein Duft vom Felsen in der Sommerhitze, ein Ereignis der Leere, das das Ich entleert, entinnerlicht, entsubjektiviert und dadurch beglückt.“
Das klingt doch dann eher nach Buddhismus für Manager mit einen Schuss Heidegger. Trotz der gut bürgerlichen Verbrämung des Pittoresken zum „Desaster“ – so wie man eben gern in der frisch sanierten Wohnung eine wilde Steinmauer stehen lässt – kann Han nicht darüber hinweg täuschen, dass im Kern seiner Fundamentalkritik ein recht behaglicher Kult der authentischen Erfahrung steht. Dagegen wäre nicht einmal viel zu sagen, wenn die Etikettierung stimmte. So schwarz-weiß er zuweilen auch die Lage zeichnet, so sehr sträubt er sich doch dagegen, einfach eine „Weisheitsposition“ irgendwo zwischen Spiritualismus und Heidegger einzunehmen. Darauf läuft es aber hinaus, wenn man die Fremdzitate einmal herausschüttelt aus seinem Plädoyer. Zwar oft knackig formuliert („An die Stelle der Erlösung tritt der absolute Erlös“ S. 86) bietet „Die Errettung des Schönen“ philosophisch nichts Neues, kann sich selbst der inkriminierten Oberflächlichkeit kaum entwinden, enthält aber immerhin eine schön angeordnete und griffig begleitete Kompilation modernitäts- und gesellschaftskritischer Zeugnisse.
Byung-Chul Han: Die Errettung des Schönen. Frankfurt a.M. (Fischer Wissenschaft) 2015. 112 S. 19,99 Euro.