Falkner, Gerhard. Schorfheide – von Patty Nash

Die brandenburgische Schorfheide ist Gerhard Falkners Leinwand in Schorfheide: Gedichte en Plein Air. Das heißt nicht nur, dass im Freien gedichtet (statt gemalt) wird, sondern dass das lyrische Material die Topografie der Schorfheide realisiert.

Die Leser*in steht “die Stadt im Kopf und die Natur vor Augen”, und bewegt sich, soweit möglich, in reimenden, verspielten und bewachsenen Räumen, die sich meist bukolisch (aber auch städtisch) figurieren: “Im Wiesengrund,” “Unter den Huteichen,” “Durchs kühle Grün der Birkenwälder,” “In den Bäumen,” “Am bleichen Himmel”, und auf “Gras” so “grün wie SPRITE”. In diesen 80 Gedichten wird dem Impuls verfolgt, “ohne Netzabdeckung” das Naturgedicht zeitgenössisch zu reanimieren. Die Gedichte sind energisch, beharren auf Genauigkeit und schrecken nicht davon ab, Begriffe wie “Seele”, “Sehnsucht”, oder “Hoffnung” freizügig zu verwenden.

Falls es jemanden überrascht, 2019 noch so vermeintlich traditionelle Naturgedichte zu lesen, so hat Falkner eine Erwiderung parat: in seinem Essay “Bekannterschaften” betont er die akute Notwendigkeit dieses Formats. Begegnungen mit der Natur (innerhalb der Naturpoesie) seien besonders wichtig, weil Natur “quasi die Bühne für das, was wir als Welt betrachten” ist. Die Natur ist umso wichtiger, weil sie langsam ins “Nicht-Gesehen-Werden” verwiesen wird, da “inzwischen die meisten Menschen, vor allem die jüngeren, nicht mehr zwischen einer Hecke und einem Drahtzaun unterscheiden”. Dabei vernachlässigt Falkner die Tatsache, dass die Hecke ebenso menschengemacht ist wie der Drahtzaun.

Die lyrischen Ichs werden oft mit Einzigartigkeit konfrontiert und sehnen sich nach erkennbaren Strukturen: “Welt, ich bitte dich / nach ein mimetisches Minimum”. Tatsächlich ist mir kaum eine rhetorische Geste mehr aufgefallen als das Gleichnis:

Der Wald ist die erste Zeile

der Himmel seine Überschrift

die Stämme stehen gedrängt wie Lettern

mit Majuskeln aus bronzenen Blättern

Die Heide ist eine Konstruktion des Gedichts, und das Gedicht Konstruktion der Sprache. Die Gedichte in Schorfheide sind am interessantesten, wenn sie mittels der Naturbegegnung ihre eigene Beziehung zur Sprache darstellen. Dem lyrischen Ich “geht es ähnlich wie den Worten”, welches bedeutet, dass sie eine geschlossene Fläche bilden: “sie liegen offen wie Steine, es wächst / einfach kein Gras drüber”. Menschen gehören ja zur Natur, auch wenn wir sie zerstören.

Die Gedichte, die in Schorfheide gelingen, sträuben sich gegen den Funktionsauftrag der Sprache. Das heißt: sie lassen sich nicht befestigen, sie tasten und erproben ihre Gegend musikalisch, witzig und körperlich. Sie entscheiden sich für Formen und wenden sich spontan von diesen Formen ab. Sie werden von Wahrnehmung abgelenkt, obwohl sie versuchen, sich mit Konzentration aufzuhalten. Ein Beispiel:

Mutwille des Lüftchens. Bläst ein Blatt an

Die Heide stockt. Umsonst singt der Sommer

hier draußen, schwärmt das Moor

tuschelt das Schilf. Das Nirgends taumelt

wie ein Kahn

ein Niemandskahn

Die Wahrnehmung steht von Anfang an fest: “Mutwille des Luftchens”. Aber dann treibt es schon voran: “Bläst ein Blatt an” wirkt galoppierend und trochäisch. Dieser Rhythmus wird allerdings beim Zeilenbruch abgebrochen: “Die Heide stockt.” Satzzeichen werden weggelassen. Die Zeilen sind nicht nur einzelne Bilder- oder Bestandteile, sondern Strömungen, die sich ergänzen und widersprechen (“wie ein Kahn / ein Niemandskahn”).

Andere Gedichte vermitteln allerdings didaktisch den Begriff “Natur” eher als Projektionsfläche (zum Beispiel als Gegensatz zu all dem, was “süß, vergeblich, und digital” ist). Ein Gegenbeispiel:

Bienenschwärme von Blumen

wie Gold in grünes Gift getunkt

die Wolken kraften

um punkten zu können

wie schwebende weiße Medizinbälle

über dem Magnetfeld

der Seen

so groß ist dieses namenlose Ding

das durch unaussprechliches Glück

sich um mein Wort dafür bringt

Pling!

In diesem Band spielt Falkner oft mit postmodernem Wissen, Zitat und Ironie. Aber diese argumentativen, bemühten Impulse (“Pling!”, “die Wolken kraften / um punkten zu können”) schwächen die Texte allgemein weil sie versuchen, die zeitgenössische postmoderne Wahrnehmung zu ironisieren. Es scheint mir manchmal, als würde Falkner selber seine aufeinander stolpernden Wahrnehmungen nicht zulassen wollen, indem er seine Gedichte auf einen vorbestimmten Punkt zu bringen versucht.

In einem englischsprachigen Gedicht gegen Ende des Buches schreibt Falkner, dass ein Gedicht Folgendes sei:“the / expression of feelings and ideas is / given intensity by particular attention / to diction, rhythm and imagery”. Das heißt: ein Gedicht ist eine schon bestehende Idee, die mit künstlerischer Sprache verfeinert wird. Allerdings widerspricht er sich dann in seinem Essay, wo er behauptet: die “Dichtung übernimmt noch immer den Versuch, der Sprache das Sprechen beizubringen, und nicht auf ihr die Abhänge und Rutschbahnen reiner literarischer Berichterstattung hinunterzurodeln”. Denn Dichtung ist nicht lediglich verschönerte Sprache, sondern Sprache, “die aufmerksam macht”. In den besten Gedichten in Schorfheide sind wir dem ausgesetzt.

Falkner, Gerhard. Schorfheide: Gedichte en Plein Air. Piper Verlag, 2019.