Pecha-Kucha-Präludium (Medium und Kritik)
– Inwiefern verändert das Medium der Kritik die Anforderungen, die Strenge, die Analytik der Kritik. Wie wechselwirken Medium und Kritik. Wie kommentieren sie sich gegenseitig
– Gibt es besondere Anforderungen an die Lyrikkritik? Das führt zur Frage, ob Lyrik bzw inwiefern nicht nur eine eigene Gattung, sondern eigene Kunstform ist und sich überhaupt auch klar von anderen abgrenzen lässt
– Lyrikkritik setzt (im Gegensatz zu Prosakritik?) doch intensivere oder spezialisierte Arten der Lektüren voraus
– Unterschied zwischen Literaturkritik und Literaturanalyse („Wissenschaft“): das Deuten und Werten steht bei der Kritik im Vordergund und geht über literaturhistorische Einordnungen (wie zum Beispiel in der Schule) hinaus
– Lyrik als Leseerfahrung / Protokoll. Das Gelesene verarbeiten. Die Suche nach „den Häuserresten, die dem Fortschritt im Wege stehen“ (siehe Goethes Faust)
– Gibt es wirklich zu komplizierte Texte oder nur Texte, die länger erschlossen werden müssen?
– Kritik als Feld zwischen literarischem Schreiben und wissenschaftlicher Praxis, Beispiel: das „Schlachtfeld“, das „demokratische Gespräch“ etc.
Richard Powers (subjektive Leseerfahrung und Objektivität)
– Was sind Leseerfahrungen. Grundlage doch jeder Kritik. Wie verändern sich Leseerfahrungen und wie verändern die die Kriterien auch für Kritik und „Leseerwartungen“, „Erwartungshorizonte“
(Nebenbemerkung: was ist eigentlich close reading: Naheleseerfahrung?)
– Wie sind Aktualitätsanforderungen in den Redaktionen zu bewerten? Eine Art „Powerserfahrung“ geht dabei natürlich völlig verloren
– Ist es wirklich so, dass man gute Texte so unterschiedlich beurteilt? Oder ist bei guten Texten nicht so, dass sie immer wieder ihre Kraft (oder die Erinnerung an sie?) entfalten?
– Dotzauer stellte eher die Frage nach überpersönlichen Kriterien und vor allem auch Anforderungen an die Kritik: Inhalt, Form begreifen, Stellung in der Literaturgeschichte etc. Dagegen die subjektiven Leseerfahrungen der Heldin bei Powers.
Doch zeigt er ja gerade auch, wie diese vermeintlich subjektive Lektüre historisch eingebettet ist, auch literaturgeschichtlich. Natürlich auch ganz subjektiv, aber dann doch eben zurückordnungsbar in größere Läufte
– Inwiefern spielen subjektive und auch radikal zufällige Voreinstellungen (auf die man zum Teil keinen Zugriff hat) eine Rolle bei der Lektüre von Texten?
(Antwort: ja, es gibt einen Haufen von Präferenzen, aber wären die nicht auch wieder „objektiv“ aufschlüsselbar?)
– Muss ich die Anforderungen der „Redaktionen“ wirklich berücksichtigen? Nun haben wir die These der pragmatischen Zeitungsanforderungen und die Antithese der je subjektiven Leseerfahrung – Synthese?
– Das „Objektivieren“ des Subjektiven: Ist das in Powers nicht schon eingeschrieben?
– Die Objektivität ist die Einheit von Text und Lesendem: beides erschöpft sich nie, ist nie ganz abgrenzbar. Die Verfälschung liegt also nicht im Subjektiven, sondern in der vermeintlichen Objektivität von Kriterien.
(Nebenbemerkung: und wäre diese Einheit von Lesendem und Text nicht genau das, was in der Wissenschaft unterschlagen wird?)
– „Etwas meinen ist wie auf Jemanden zugehen“ (Wittgenstein). Ist also nicht auch ein Abrücken vom je eigenen subjektiven Standpunkt das Wichtige für den Kritiker? Muss er nicht eine „Sonderrolle“ einnehmen, die über die des „Nur-Lesenden“ hinausgeht. Die müsste dann aber nicht zwangsläufig sofort wissenschaftlich-verobjektivierend sein.
– Geht aber das Buch nicht auch schon auf einen zu wie ein anderer „Jemand“? Und ist das Protokoll dieses Erschließens des Anderen nicht interessanter als vorzeigbare Ergebnisse, die dieses Anderssein verobjektivieren?
– Klar, das Vermeiden von Lesekreissubjektivität als reinem Geschmacksurteil aber: Man muss die Subjektivität nicht unbedingt benennen, aber mitdenken, sonst kommt es eher zu einem Verlust an Objektivität
– Hingegen: das Vermeiden von reiner, das eigene Langeweilekriterium möglicherweise unterschlagender, verobjektivierender Kategorientafelkritik
– Ist dies ganze Hin- und Herschwanken zwischen Subjektivität und Objektivität nur konfus oder nicht eben dialektisch? Das Eine muss notwendig dem Anderen widersprechen
– Abschließend: Dialektik als anderes Wort für konfus: Wenn man in dem glücklichsten Land der Erde 18 Jahre auf eine Auto warten muss
Levin Westermann (Aichinger und das bessere/schlechtere Wort)
I … und Aichinger
– Was sind die besseren Wörter? Ist das eine ironische Wendung?
– Eine Position als Antwort zu lesen kann helfen, sie einschränkend einzubetten in ihren Kontext und ihr Einseitigkeit wieder aufzubrechen
– Wie der Kontrast mit einem vorhergehenden Text (Aichinger) der zu lesende Text (Westermann) beeinflusst wird und anders dasteht
– Poesie des Schweigens: Inwiefern sind die nicht auftauchenden Wörter, das Schweigen, nicht das, was den Text auch wesentlich ausmacht
– Ein Reden über einen anderen Autor als Reden über die eigene Position
– Was vereint Aichinger und Westermann: Mißtrauen nicht nur gegen bestimmte literarische Wörter („besseren Wörter“), sondern womöglich gegen die Sprache überhaupt
– Womit fange ich an, wenn ich ein Buch „in Angriff nehme“: wieviel Kontexte werden hinzugezogen (Videos etc.). Auch Stichwort: Wiederholungen
– Authentizitäten verschiedener Ebenen: anti-artifizielle, medial vermittelte, ursprüngliche?
– Every poem is a failure (Ben Lerner)
– Inwiefern ist anzunehmen, dass der Text „fertig“ und „fehlerfrei“ ist? Sollen Kritiker „verbessern“? Ist nicht erst einmal davon auszugehen, dass alles genau so gewollt ist?
– Den Text als solchen erst einmal als solchen anzunehmen, dann aber ganz konkret zu zeigen im Text, wie er funktioniert und wo Ungenügen auftritt, das nicht nur ein tiefergehendes „failure“ ist, sondern überhaupt erst einmal die Möglichkeiten der „failure“ ermöglicht. Inkonsequenzen, unvermitttelte Abbrüche, fahrige Widersprüche
– Der sich monatelang in den Text eingeglüht habende Autor verliert die Kitschkontaktempfindlichkeit gegenüber dem Lesenden
– Ein Autor versucht, die „verbotenen“. oder „ausgelaugten“ Wörter zu reaktivieren, aber er scheitert vielleicht grandios. er versucht, den verstümmelten, verbrannten Menschen wieder zusammenzusetzen
II authentisch…?
– Geht es um Authentizität oder nur darum, dass keiner hinschaut
– Jedes Wort hat mehr Gewicht im Gedicht, vielfache mediale Verfahren des Schnitts, der Perspektivenwechsel, es passiert viel mehr als nur die Frau an der Wand
– Authentizität als Bezug auf „reale Erlebnisse“, „Nichtsprachliches, biographisches Erleben“ und hochkomplexe Simulation von Authentizität, dei überhöht, „magisch“ ist, „Mythen“ oder „Glorifikationen“ schafft, sozusagen gesäuberte Authentizität, in der das Reale um die unangenehmen Begleiterscheinungen des Chaotischen, Zufälligen des Authentischen bereinigt wurde
– Adornitisches Aufpolstern: das Authentische im Verblendungszusammenhang
– Strukturelle Strenge des Textes konterkariert den Aufstieg, das „Reale“
– Der Text macht Diskursräume auf und der Kritiker/Kritikerin sollte sich hüten, engültig den Text zu bewerten, er stellt Fragen und spiegelt sein Thema vielfältig
– Bewegung von Autor-isierung, schon bei Petrarca die Frage danach: macht hier jemand /Frau / Petrarca TATSÄCHLICH etwas zum ersten Mal? Endlich einmal eine Autorin / rote Jacke (der Vater wird ausgespart)
– Wie oft soll man ein Gedicht lesen können (Anzahl der Verse geteilt durch Metaphern?)? Ab wann entfaltet sich ein Gedicht?
– Warum liest man ein Gedicht überhaupt wieder und wieder?
– Indiz für ein gutes Gedicht (Roman): Das Wissen um den „Inhalt“ und seine Erscheinungsform lassen nicht die Freude an seinem Ganzen erschlaffen
– Das nicht zu Ende gelesene Buch.
– Formales Kriterium des Urteils zum (Kunst)Objekt: Zustimmung in einem Gespräch über das Kunstwerk. Die Anmaßung: Ich muss davon ausgehen, dass das Urteil objektiv sein könnte (Kant), aber das müssen wir verhandeln.
Dazu der pragmatische Einwand: In welchen Kontexten haben wir die Möglichkeit, dieses Gespräch überhaupt zustande zu bringen (Antwort: In der Lyrikkritikakademie)