Gerhard Falkners Schorfheide – von Michael Wolf

Beim Sprechen über den Wald, zumal den sentimental und mythologisch aufgeladenen Deutschen Wald, schleicht sich die Poesie sogar in den Code der Politiker. Wird der Steuerzahler nur „entlastet“, muss der Wald „gerettet“ werden. Und anders als der Kassenpatient „stirbt“ die Eiche nicht nur auf dem Papier. Von „Waldverlust“ sprach denn auch vor einigen Wochen Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner und kündigte zur Abwehr alttestamentarischer Plagen (Dürre, Stürme, Schädlinge) einen „Baum-Gipfel“ an.

Fast klingt das wie die politische Umsetzung einer poetischen Forderung, die Gerhard Falkner in seinem neuen Gedichtband „Schorfheide“ formuliert. Auch er will zurück zur Natur, beklagt, die Lyrik komme nicht mehr an sie heran. „Der poetische, über viele Jahrhunderte durchgängig stabile und hochwirksame naturpoetische Grundwortschatz“ sei in einem Maße geschwunden, „dass er keine selbstorganisierende poetische Komplexität mehr zu schaffen vermag“, heißt es in einem Geleitwort. Falkners Pendant zu Klöckners „Mehrere-Millionen-Bäume-Programm“ ist die Aufforstung des naturlyrischen Vokabulars durch linguistische Termini und dem, was er unter „postmodernem Wissen“ versteht: „Die Metonymien zu Melzow tauchen aus dem Wasser / und schöpfen ihren übertragenen Sinn / aus der Instabilität der Natur und ihren Emergenzen / Nur so gelingt die naturräumliche Bebilderung / mit Worten“.

Schuldig bleibt Falkner die Frage, warum naturlyrische Klassiker heute nicht mehr verfangen sollten. Anstatt sich von seinen literaturhistorischen Gefährten zu distanzieren, umarmt er sie dann auch besonders kräftig: „ich schlage die Hände über dem Kopf / zusammen, weil sich so viel Droste in mir angesammelt / dass ich mit dem eigenen Gesicht fast nicht an ihr / vorbeikomme, am Moos nicht, am Moor nicht, nicht am Schilf“. Für sich selbst hat er die in der Literatur – auch in postheroischen Zeiten noch – verbreitete Rolle eines Helden vorgesehen, der einer prekären, stummen Instanz eine Stimme verleiht. Nur ist zunächst nicht klar, wer da überhaupt gerettet werden muss, wem fehlt die Stimme – der Natur oder dem Menschen?

Gedichte en plein air“ lautet der Untertitel. Wir wandern durch die titelgebende Schorfheide und andere Landschaften. Die Gedichte sind Skizzen einer neuen Bildsprache, zugleich aber auch Poetik, essayistische Reflexion über Möglichkeiten und Unmöglichkeiten lyrischer Beschreibung. „Der Rohrkolben starrt hochmütig herab auf die Binsen / und ihre mickrigen Spirren, auch der Igelkolben brünstigt / mit den Stachelknollen gegen alles nur läppisch Geschwellte“. Der Dichtermaler ringt mit der Sprache, wohl wissend, dass er seinen Modellen nie gerecht werden kann. Die Wanderung verläuft im Kreis, stellt ihre eigene Verirrung aus. Um ganz sicher verstanden zu werden, bemüht Falkner Karl Jaspers‘ „Subjekt-Objekt-Konflikt“, dem zufolge immer ein Riss zwischen Subjekt und Objekt klafft. Jedes Gedicht, und das ist wirklich eine Binse, ist also schon eine Überformung seines Gegenstands. Welche Fichte schert sich um Verse? Die eine, die richtige Natur bekommt der Dichter natürlich nicht in den Blick, weiß doch selbst Julia Klöckner, dass der Wald „Kultur- und Naturraum“ gleichfalls ist: „Die Grammatologie der Entwässerungsgräben / kartiert das Unsagbare“.

Dem existenziellen Gestus des Bandes tut das keinen Abbruch. Nicht eigentlich mit Naturlyrik haben wir es also zu tun, sondern mit Naturlektüre. Es geht um Wahrnehmung – und damit um alles, was der Dichter der Welt abtrotzen kann. Der Erhalt der (Um)Welt ist kein allein ökologisches, politisches Problem sondern auch des Vokabulars. In bedeutendster Mission ist der Dichter unterwegs, nur warum lässt er sich so leicht ablenken? Führte er eben noch technische, und medienwissenschaftliche Begriffe durch die Brandenburger Steppe („Alles ist süß, vergeblich und digital“), versenkt er sie bald darauf im Toteis der Technophobie: „indes ich treibe dahin / ohne Ziel, ohne Plan / und ohne Netzabdeckung“. Kein Held mehr, nur noch Gretas Oper stapft da grummelnd durch die Zeilen „fern der unseligen Geschäftigkeit von City- und Mall-Getriebe“. Auf die nächste Pointe schielend, gerät die Suche nach einer neuen Sprache leichtfertig aus dem Blick.

Nur noch abwegiger wird es, wenn Falkner versucht, in der Natur oder in seinem tapferen lyrischen Ich eine Eigentlichkeit aufzuspüren, um von Irrlichtern zum „dunklen Daseinsgrund“ gezogen in seichter Spiritualität zu versumpfen: „um mich entsprang das schönste Gebüsch / und hüllte mich in ein toxisches Dunkel / durchperlt von epistemischem Gefunkel / das sich unbeirrt von Glauben und Wissen / schließlich aus der Verhüllung gerissen / und mir das Geheimnis des Orts offenbarte“. Wo auch immer diese Lichtung liegen mag, man darf annehmen, dass dort Heideggers Feldweg auf Hape Kerkelings Jakobsweg stößt.

(Michael Wolf)