Konstantin Ames

„Ein paar Grobheiten“

Die mir widerfuhren, und deretwegen ich solche farbigen Worte wie „Abgefucktheit“ verwende oder das Bild der auf die Terrazza kotenden Möwe

 

 

Venedig, der Fleck, die Lücke

 

In meinem Abschlussbericht an die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) zu meinem Aufenthalt im Dt. Studienzentrum in Venedig (DSZV) habe ich die gute Atmosphäre zwischen den Wissenschaftlern einerseits, den Künstlerstipendiaten andererseits gelobt. Es hätte eine perfekte Zeit werden können. Es gab aber, selbst bei bestem Wetter auf der schönsten Terrasse Venedigs, diesen miesen kleinen Fleck, der auch nach meiner Zeit dort nie verschwand. Im Bericht erwähne ich meine nachhaltige Verstimmung nur in einem Satz, ich nenne eine bestimmte Hausregel „grotesk kinderfeindlich“.

Mein Sohn Y. war im Frühjahr 2015 drei Jahre alt. Als die Zusage für dieses renommierte Stipendium kam, konnte nur er sich noch mehr darüber freuen als ich: Eine Stadt im Wasser. Kurz vor Antritt wurde mir vom damaligen Direktor des Instituts jedoch mitgeteilt, dass die Unterbringung von Frau und Kind im DSZV unter keinen Umständen möglich sei; offiziell aus Platzgründen. Und natürlich könnten meine Frau und mein Kind beide anreisen, wurde mir versichert, wären aber im Hotel ums Eck unterzubringen. Entweder hätte ich Kind und Frau, damals noch Studentin, die Zugfahrt oder eben das Hotel zahlen können, mehr gab der Monatssatz von EUR 0,00 nicht her, von denen obendrein die Miete in Kreuzberg bezahlt wurde. Im Übrigen war das Bett groß genug für zwei oder drei Nächte mit Frau und Kleinkind. Ich war baff, wollte das Stipendium nicht antreten. Ein befreundeter Dichter, der das gleich Dogma in der Villa Massimo antraf, riet mir zu reisen, die Leute vor Ort umzustimmen; ihm wäre das in Rom kollektiv-solidarisch gelungen. Im DSZV konnte das nicht funktionieren: Kein anderer Stipendiat war Elternteil, darum alle mit der Ausgrenzung einverstanden! Die inoffiziellen Gründe, die ich (gehüllt in ein fesche Alltagspragmatik; man sei Studienzentrum) mündlich erfuhr, waren Ereignisse kurz zuvor. Ein Künstlerstipendiaten-Paar nahm es mit der Aufsichtspflicht fürs Kind angeblich nicht so genau: Eine kostbare Tapete im Palazzo Barbarigo della Terrazza ward angekokelt; außerdem wollte das gelangweilte Kind auch mit den Forschenden spielen. Böse. Die Entweder-Oder-Hausregel wurde von der ansonsten politisch wachsten Stipendiatin ersonnen. Sie entschuldigte sich kurz vor ihrer Abreise bei mir dafür, den Kern dieser Maßnahme (Misopädie) verkannt zu haben. Niemand aus dem Umkreis der BKM und niemand vom DSZV hat das bisher getan. „Venedig“ erwähne ich im Umkreis von Y. nicht mehr, sonst ist da sofort diese Lücke zwischen uns. Immer wenn ich eine Möwe sehe, wünsche ich mir, sie möge den Weg nach Venedig finden, man kann diese riesige Terrasse nicht verfehlen …

 

 

 

Geist der Großregion

Oder wie ich zweimal fast ein Stipendium beim Printemps Poétique Transfrontalier antrat und beinahe Antwort erhielt

 

 

Übers Saarland kursieren in der restlichen Bundesrepublik viele subjektive Theorien. Es ist seit Thomas Bernhard müßig-kitschig geworden, hassliebige Kommentare über die eigene Herkunftsregion abzusondern. Und meine Begegnungen mit den wenigen ausgesucht freundlichen, hilfsbereiten und, ja, gastfreundlichen Saarländerinnen und Saarländern müsste ich darüber glatt verdrängen. Das schlüge gewiss auf die Gesundheit, daher hier der Disclaimer: Die geschilderten Ereignisse im Zusammenhang mit einer mokanten und dann verkappt misopädischen Behandlung als Mensch mit Elterneigenschaft könnte überall auftreten. Im Zusammenhang mit dem saarländischen Literaturbetrieb erlebte ich bezüglich zweier Stipendien das bisher größte Maß an Unprofessionalität in Verbindung mit persönlicher – pardon my french – Abgefucktheit.

 

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Anfang März 2018 hatte ich mich als sog. ´Landeskind´ um einen Stipendienplatz im Rahmen des grenzüberschreitenden Kulturaustauschs unter dem klangvollen Namen „Printemps Poétique Transfrontalier“ (PPT) beworben. Da ich von meiner Herkunftsregion künstlerisch nicht gerade überfördert worden bin (und bis heute kein von diesem Bundesland vergebenes Stipendium erhielt), freute ich mich gehörig über die Zusage. Ich freute mich allerdings (im Sommer 2018) noch viel mehr über die Nachricht, zum zweiten Mal Vater zu werden; und wollte die Geburt meines zweiten Kindes auf gar keinen Fall verpassen. Der errechnete Geburtstermin war Ende März, Anfang April 2019. Genau in dieser Zeit hätte ich Residenzpflicht im Rahmen des PPT gehabt, also neun Zugstunden entfernt. Die Orte der PPT-Residencies (Düdelingen bzw. Dudelange in Luxemburg oder Meisenthal im Elsass) waren so abseitig gelegen, dass ein Wochenende zuhause in Berlin nicht möglich war.

 

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Ich sagte deshalb meine Teilnahme am PPT im November 2018 ab. Die Reaktionen waren etwas seltsam, eines der Jurymitglieder schrieb mir in einer E-Mail: „Einfach weiter so! […] Glückwunsch an die Mit- & Haupterzeugerin“ — Im Dezember 2019 meldete ich mich nochmal bei derselben Person in einer anderen Sache, da war bereits von „Missetaten“ die Rede, gemeint war damit das Nichtantreten des Stipendiums bzw. die Bewerbung darum, man (ich) hätte schließlich wissen können, dass … So als hätte ich vom Ausschlagen der Gelegenheit irgendeine Art Vorteil gehabt oder als könnte ich den Geburtstermin verschieben …  Ich sah weder Problem noch Handlungsbedarf, denn es gab eine kleine Liste mit geeignet erscheinenden Kandidaten. Es rückte eine Kollegin nach. Und ich bewarb mich erneut für dasselbe Stipendium im Frühjahr 2020 …

 

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Die Jury sprach mir erneut einen Platz beim PPT zu. Das war im Sommer 2019. Mit der Zeit entwickelte sich die Beziehung zu O., meinem zweiten Kind, ganz anders als zu Kind Nummer eins. Mein ältester Sohn und ich haben eine auf Vertrauen basierende, aber sehr typische Vater-Sohn-Beziehung. Ich erziehe meinen Ältesten streng. Seine Mutter ist deutlich liberaler. Und natürlich ist das auch gut so. – Mein zweites Kind hingegen war von Anfang nicht von mir wegzudenken, und (nur ein wenig) scherzhaft habe ich O. als „Papakind“ bezeichnet. In einer prägenden Phase seiner Entwicklung auch nur eine Woche von O. getrennt zu sein, das schien mir für beide Seiten nicht machbar; und undenkbar war es für einen vollen Monat! Das Stipendien-Refugium wäre ein abgelegenes Reha-Zentrum im Schloss Colpach, an der Grenze zwischen Luxemburg und der Wallonie („wie steht es mit ihren Sprachkenntnissen im Französischen?“) gewesen. Wer wünscht sich einen solchen Zauberberg, an dem Kleinkinder wie selbstverständlich unerwünscht sind, nicht als temporäres Refugium?

 

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Es wurde Februar 2020. Die Gerüchte über einen hochansteckenden Atemwegsinfekt, der sich von China aus rasant verbreitete, und viele Todesopfer forderte, war zu dieser Zeit fast immer Abendnachrichtenthema. Kurz davor war ich mit hohem Fieber, Husten usw. eine Woche außer Gefecht gesetzt. Vielleicht war es eine derbe Influenza, möglicherweise aber auch schon die Wildvariante von Covid19. Wie auch immer: Verreisen schien mir eine ganz dumme Idee. Und einen Monat von meinem Sohn getrennt sein als saudumm. Ich glaube, wer sich selbst nicht über die für Eltern typischen Ängste in der damaligen Unübersichtlichkeit selbst hinweggetäuscht hat, wird meine erneute Absage nachvollziehen können.

 

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Ich schrieb am 14. Februar 2020, gute vierzehn Tage vor Beginn des Stipendiums, an zwei saarländische Juroren und einen Organisator von luxemburgischer Seite eine offenherzige E-Mail:

 

Sehr geehrter Herr N., lieber H., lieber K.,

 

ich muss die Residenz in Colpach und die Lesetour im Rahmen des PPT absagen. Der Hauptgrund hat Namen und Alter: Oliver, 10 Monate. Vor ein paar Tagen kam er aus den vorzeitig beendeten Ferien, an denen ich aufgrund meiner Forschungsarbeit nicht teilnehmen konnte. Oliver war wohl während der gesamten Zeit mies drauf. Ich selbst hab ihn auch arg vermisst. Er ist ein Papakind. Einen Monat ohne den Kleinen: das ist nicht mal vorstellbar.

Ich wusste im Vorfeld nicht, dass es so kommt. Ich bedaure sehr die Unannehmlichkeiten, die ich mit dieser kurzfristigen Absage bereite. Es geht nicht anders. Ich setze Prioritäten: Ich bin Dichter und Familienvater, kein dickfellig-tougher Kulturansager; daher: Kind vor Karriere. […]

 

Beste Grüße aus Berlin nach ESCH und ins schöne Saarbrücken

 

Konstantin (Ames)

 

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Auf diese E-Mail kam bis heute keinerlei Reaktion. Es fand sich abermals eine Nachrückerin. Wortschöpfungen müssen nicht immer klangvoll oder gediegen sein. Das Ghosting scheint derzeit einen Gutteil des Geists der Großregion auszumachen. Solches Handeln ist unprofessionell, gerade für erfahrene Akteure des Literaturbetriebs, es ist menschlich unanständig, abgefuckt.

 

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Alle saarländischen PPT-Juroren waren Männer, kinderlos und Angehörige der sog. Babyboomer-Generation. Das trifft übrigens nicht nur auf das PPT-Stipendium, sondern auf fast alle Vergabegremien im Saarland hin; dahinter auch weit mehr als eine romantische-schrullige Künstlermacke. Den renommiertesten Preis des Bundeslandes, den Gustav-Regler-Preis des Saarländischen Rundfunks, der seit Ende der 1999 triennal vergeben wird, erhielten – mit einer einzigen Ausnahme im Jahr 2023 – nur Männer! Es gibt im Saarland einen starken Hang zu toxisch-maskulinen Geflechten, die durch kaum stattfinde Wechsel in der Besetzung der Auswahlgremien stabilisiert werden.

 

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Einer kulturell fortschrittlichen Bildungs- und Kulturpolitik, die seit der Wahl von Anke Rehlinger zur saarländischen Ministerpräsidentin wieder möglich ist, stände es gut zu Gesicht, die offene Kinder- und Familienaversion der graumelierten Hagestolze im Bereich der Künstlerförderung zu beenden. Im Sinne der Glaubwürdigkeit und Zukunftsfestigkeit von Förderentscheidungen ist es unverzichtbar, auf Parität zu achten, dazu gehört auch, mehr Autoren (w/m/div) mit Elterneigenschaft in die Entscheidungsgremien zu berufen!

 

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Epilog: Der PPT ist traurigerweise Vergangenheit, es ist das beinah zwangsläufige Schicksal einer Privatinitiative. Zu nachhaltiger Kulturarbeit gehört wohl auch staatliches Engagement. Vorschläge zu einer deutsch-französischen Literaturinitiative liegen der Staatskanzlei seit Mai 2022 vor. Zwischen Macht und Geist liegt aber der ministerielle Dienstweg, der schweigsam ist, was im Élysée-Jahr besonders befremdet.

 

 

*Ein Ausschnitt aus diesem Text erscheint demnächst auch in der Grazer Literaturzeitschrift „manuskripte“

 

Konstantin Ames, Jg. 1979, gebürtig aus der Industriestadt Völklingen, lebt als Essayist, Kritiker, Dichter und Vater zweier Kinder in Berlin. Bisher wurden sechs Bücher und eine Übersetzung vorgelegt. Die schöne Arbeit wurde z.T. mit Aufenthalts- und Künstlerstipendien gefördert, die mich zwischen 2012 und 2015 nach Edenkoben, Wewelsfleth und Venedig führten. Die bisher erhaltenen Literaturpreise gebe ich aus politischen Gründen nicht mehr an. Meine betriebskritischen Statements haben zwei Lyrikdebatten ausgelöst.