(Anmerkung: Bei diesem Text handelt es sich um ein Arbeitspapier für die TeilnehmerInnen, nicht um ein ausgearbeitetes, poetologisches Statement)
Bekanntlich gibt es einige mögliche Rollen oder Funktionen von Literaturkritik bzw. Lyrikkritik:
Zum Beispiel: Didaktisch motivierte Vermittlung. Werbung, Erbauung, Warnung, neutrale Information, Bildung eines Publikums usw.
Das alles hat seinen Platz, wohl auch einige Berechtigung – aber ist nicht das, was ich hier mit Ihnen erkunden, bedenken will.
Auch aufgrund der eingesandten Texte möchte ich hier Literaturkritik sozusagen ideal auffassen: als etwas, dessen Ziel Verständnis und Bewertung eines literarischen Textes ist.
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Ist ein intersubjektives und gerechtfertigtes, sagen wir: sachliches Werturteil möglich? Diese Frage ist nicht ohne weiteres zu beantworten. Warum? Weil jede Antwort eine grosse Zahl von Hintergrundannahmen beansprucht: Was für Kriterien für Objektivität bzw. Intersubjektivität lässt man gelten, wenn denn überhaupt welche? Denn es sind wohl nicht dieselben, die in den empirischen Wissenschaften gelten. (Analog: Begründungen beruhen nicht auf Empirie im wissenschaftlichen Sinn).
Ich will diese Hintergrunddebatten zur Literaturkritik, die eigentlich auch Weltbild-Debatten sind – hier nicht – oder mindestens nicht vorwegnehmend führen. Sondern unserem Nachdenken über die eingesandten Texte überlassen. Nur eines vorweg: Die Annahme, dass intersubjektiv/objektiv gerechtfertigte mehr oder weniger angemessene Bewertungen – dieses Gedicht ist gut, dieses Gedicht ist oder wäre besser, wenn… – zu Recht getroffen werden können, ist für den Begriff von Literaturkritik – also für Literaturkritik mit dem Ziel von, sagen wir, ästhetischer Erkenntnis – notwendig, oder mindestens sinnvoll.
2 Bewertung, Werteigenschaften: Bessere oder schlechtere Gedichte?
Warum halte ich überhaupt die Annahme, dass es gerechtfertigte und intersubjektive Bewertung (die Möglichkeit: ein Gedicht zu Recht schlechter/besser als ein anderes zu finden) gibt, für notwendig oder mindestens für sinnvoll?
2.1 Der wichtigste Grund: Das Erfassen des Werts eines Kunstwerks, eines Gedichts gehört zu dessen Verständnis.
Jemand, der den ästhetischen Wert eines Textes, eines Gedichtes nicht mindestens zu erkennen sucht (der sich diese Frage im Umgang mit Kunstwerken nicht stellt), begibt sich der Möglichkeit der vollständigen Erkenntnis eines Kunstwerks. (Ich glaube, das kann man an den Extremen erkennen.)
2.2 Dass das Erfassen des Werts eines Kunstwerks notwendig für dessen vollständige Erkenntnis ist, setzt oft
zweierlei voraus.
1. Die Möglichkeit gerechtfertigter intersubjektiver Werturteile
2. Die reale Existenz von Werteigenschaften.
An beidem gibt es aber bekanntlich starke Zweifel. Ich will hier nur sagen. Diese Zweifel sind mir deutlich; ich hege sie selbst oft genug. Zu möglichen Gründen dieser Zweifel weiter unten.
2.3 Allerdings ist auch für vollständige Erkenntnis eines Kunstwerks, ja für die Möglichkeit von Werterkenntnis selbstverständlich noch weiteres notwendig:
a) Beschreibung und Analyse
b) dann auch Erfassen, ja Erfahren dessen, was durch ein Kunstwerk sinnlich, emotional vermittelt usw.
c) Interpretation aufgrund von a) und b)
Diese drei Umgangsformen und die Bewertung selbst bedingen einander aber.
Natürlich ist vollständige Erkenntnis eines Kunstwerks ein Ideal, das de facto nicht erreichbar ist. (Und es mag im Begriff des Kunstwerks liegen, dass es nicht erreichbar ist.)
3 Unterschiedliche Arten des Umgangs mit Kunstwerken
Dass Werterfahrung für vollständige Erkenntnis und auch für literaturkritischen Umgang mit Kunstwerken, mit Gedichten notwendig ist, schließt nicht aus, dass andere Arten des Umgangs mit Kunstwerken auch zu Erkenntnissen führen können.
So können zum Beispiel die mentalen, sozialen, politischen, historischen Bedingungen von Produktion und Rezeption eines Gedichts usw. untersucht werden und zu Erkenntnissen in den entsprechenden wissenschaftlichen Bereichen führen. Und solche Untersuchungen können mit Beschreibung, Analyse, Interpretation und auch kritischer Bewertung von Kunstwerken einhergehen. (Und umgekehrt, aber das ist wohl seltener der Fall, können sie auch zu Beschreibung, Analyse und Interpretation und endlich auch zu gerechtfertigten Werturteilen beitragen.)
Allerdings behaupte ich: Gerade die Bedingungen für die Produktion und Rezeption von Kunstwerken, spielen heute oft eine problematische Rolle bei der Kritik literarischer Texte. Sie werden oft, zu Arten von fallacies, um hier auf ein bekanntes Wort von William Wimsatt und Monroe Beardsley (1946) zurückzugreifen.
Gerade diese problematische Rolle von Produktions- und Rezeptionsbedingungen beim Umgang mit Kunstwerken hängt eng mit dem Zweifel an der Möglichkeit gerechtfertigter intersubjektiver Werturteile zusammen und auch mit dem Zweifel an der realen Existenz von Wert-Eigenschaften.
Dass es diese Zweifel gibt und dass sie in unserer Lebensform wohl tief verankert sind, ist nicht verwunderlich: Das naturwissenschaftliche Weltbild ist ja vielfach – und oft osmotisch und also auch diffus und unartikuliert – Teil unseres alltäglichen Denkens, Fühlens und Handelns und bestimmt und bedingt unsere Realitätsannahmen in hohem Maß. Diese Zweifel zeigen sich aber auch in Literaturkritiken, wie ich vermute, oft unwillkürlich und implizit. Bei unserem Nachdenken der hier vorgelegten Literaturkritiken werde ich wahrscheinlich einige Male darauf hinweisen.
(Aber vielleicht reicht hier: Als Spielregel, als Kritik-Spielregel oder Kritik-Konvention akzeptieren. Das wäre ein sozusagen externer Standpunkt; frei nach P. Bourdieu: die feinen Unterschiede zwischen… )
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Ich rekapituliere: Dass das Erfassen des Werts eines Kunstwerks notwendig für dessen vollständige Erkenntnis ist, setzt, so schlage ich vor, oft zweierlei voraus.
a) Die Möglichkeit gerechtfertigter intersubjektiver Werturteile
b) Und womöglich auch: die reale Existenz von Werteigenschaften.
An beidem gibt es wie gesagt starke Zweifel.
Um die Rolle dieses Zweifels an der realen Existenz von Werteigenschaften besser zu verstehen, mag eine Analogie hilfreich sein.: Wenn es überhaupt einen anderen Bereich gibt, in dem Werturteile und Werteigenschaften für die Erkenntnis eine wichtige Rolle spielen könnten – bzw. bei dem analoge Diskussionen im Spiel sind –, dann im Bereich der Moral. Und wir sind ja auch gewohnt (und haben vielleicht auch einige gute Gründe dafür), moralische Werturteile nicht als objektiv/intersubjektiv rechtfertigbar und moralische Eigenschaften nicht als real existierende Gegenstände anzunehmen, sondern diese als lediglich subjektive und Projektionen oder Fiktionen.
Und übrigens: kommt der Selbstumgang, aber auch der Umgang mit anderen, und kommt das öffentliche, das soziale Leben ohne die Annahme solcher Eigenschaften, Werte bzw. Bewertungen aus? Und wäre es wünschenswert, wenn man diesen moralischen Wert-Dingen keine Realität zubilligt?
4.1 Es zählen nur die vermittelten Bedingungen?
Die Produktions- und Rezeptionsbedingungen zugeschriebene Rolle hängt eng mit dem Zweifel an der Möglichkeit gerechtfertigter intersubjektiver Werturteile bzw. zusammen wohl oft auch mit dem Zweifel an der realen Existenz von Wert-Eigenschaften.
Für die Praxis der Literatur- und Lyrikkritik, ein sozusagen heuristischer Vorschlag, der leicht zu machen ist, aber, zugegeben, schwer zu realisieren.
Relevant sind für den kritischen Umgang mit Kunstwerken nur diejenigen (Produktions-, Rezeptions-)Bedingungen, die durch ein Kunstwerk, zum Beispiel durch ein Gedicht tatsächlich vermittelt sind.
Man soll wohl zu unterscheiden versuchen, welche Bedingungen durch ein Kunstwerk, zum Beispiel durch ein Gedicht vermittelt sind; und was dagegen lediglich „unvermittelt“, also zum Beispiel biographische, historische, soziale, politische Bedingung der Produktion oder der Rezeption.
Und wenn man dann zu Recht fragt: Wie kann man entscheiden, was durch ein Kunstwerk vermittelt ist und was nicht? Dann kann man nur antworten: durch Intuition, Erfahrung, Kompetenz im Umgang mit Kunstwerken und anderen Dingen. Dass für solche Entscheidungen eben das notwendig ist, was Kant Urteilskraft nennt.
(Und man muss sich eben damit abfinden: Es gibt dafür nicht so etwas wie ein Entscheidungsverfahren. Wir sind im Bereich der humanities und nicht der natural sciences. Ja, der osmotische Einfluss des naturwissenschaftlichen Paradigmas….)
4.2 Utopischer Horizont, das utopische Ganze
Es gibt aber auch, so vermute ich, einen positiven Grund für das – wenn auch oft missverständliche – Einbeziehen von Produktions- und Rezeptionsbedingungen beim Umgang mit Kunstwerken. Ich nenne diesen Grund: den utopischen Horizont von Kunstwerken. Und unterstelle, dieses Utopische geht mit einer Art Holismus einher: Das Kunstwerk will pars pro toto sein. Ein quasi monadisches Pars, das das Ganze enthält – in den inneren Verhältnissen seiner Gestalt.
(…) Kunstwerke sind (und nicht nur nach Adorno) aufs Ganze aus, und zu diesem Ganzen gehören dann auch die Biographie von Autoren und Autorinnen, die sozialen, ökonomischen, historischen Bedingungen und ebenso diejenigen von Rezeptionen. Dieser im Kunstwerk womöglich selbst angelegte Holismus verleitet vielleicht allzu sehr diese Dimensionen mit den Texten kurzzuschließen, das heißt: den Vermittlungsbegriff allzu weit auszudehnen.
(Bei Beuys Kunstwerk als soziale Plastik. Oder Buffons Wort: Le style est l’homme même („Der Stil ist der Mensch selbst“) ist vielleicht vor dieser Utopie her zu verstehen. Warum sollte nicht auch gelten: Der Stil ist die Gesellschaft selbst?)
5. Was ich vorhabe: Zum Abschluss, bevor wir uns mit den eingereichten Texten befassen.
Unseren workshop wünsche ich mir möglichst dialogisch.
Natürlich habe ich bestimmte Ansichten ; aber ich hoffe auf Gegensätze, Widersprüche, auf Auseinandersetzung.
Nicht anders als hoffentlich Sie, will ich mir ja hier selbst über manches klarwerden. Und es gibt ja immer viel mehr Unklares als Klares.-
Und das betrifft auch meine Gedanken zu den einzelnen Texten und zur Literatur-, zur Lyrikkritik überhaupt.
Ein eingesandter Text jeder Autorin, jedes Autors hier soll Gegenstand unseres Gesprächs werden.
Das wird aber wohl nicht heißen können, dass jeder Text gleich ausführlich behandelt werden wird. Denn unabhängig von ihrer durchwegs guten Qualität – wenn mir vorwegnehmende Werturteil hier erlaubt ist – sind nicht alle gleichermaßen dazu geeignet, die wichtigen Fragen; Probleme usw. von Lyrikkritik anzusprechen, dafür gut handhabbare Beispiele zu geben.
Zudem nehme ich auch an, dass man, wenn man überhaupt etwas von unseren Gesprächen hat, dann auch ziemlich unabhängig davon, ob ein eigener oder ein Text von jemand anderem besprochen wird. Denn es soll ja um Fragen, Gedanken gehen, die für Literaturkritik im allgemeinen repräsentativ sind.
Und schließlich glaube ich, dass es oft nicht sinnvoll oder fruchtbar ist, ein Gespräch aufgrund zeitlicher Vorgaben abzubrechen.
(Ende des Vortrags)
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Die folgenden Notate trage ich nicht vor, sie könnten aber in den Gesprächen eine Rolle spielen.
5. Sich Alternativen vorstellen
Wenn man diese Annahmen
1. Zur Erkenntnis von Kunstwerken gehört auch die Erkenntnis ihres Werts (ihrer Werteigenschaften)
2. Intersubjektivität des Werturteils
akzeptiert:
dann gehört zum literaturkritischen Umgang mit Gedichten wohl auch, sich vorzustellen, wie es wäre (was für Folgen es hätte etc.), wenn dieses Gedicht in dieser oder jener Hinsicht anders wäre: wie es besser oder schlechter wäre. Sich Möglichkeiten vorzustellen, seinen Möglichkeitssinn aktivieren, sozusagen. Als Analogie: Man denke an die bewährte Konzeption von Roman Jakobson, an die Projektion der paradigmatischen auf die syntagmatische Achse: Analog: Hier wurde etwas verworfen, was in diesem Zusammenhang zu wählen wäre, und hier wurde etwas gewählt, was besser verworfen worden wäre. Oder auch: hier wurde etwas glücklicherweise gewählt und etwas anderes glücklicherweise verworfen.
Vielleicht: Eine Kritik heißt vielleicht immer auch, in nuce, wie immer unbewusst, ungewusst weitere Texte, sagen wir, anzuvisieren; Texte, die, im günstigen Fall, das, was im Gegenstand der Kritik als Möglichkeit verborgen ist, ans Licht bringt. Man könnte das hier, frei nach Benjamins Essay Die Aufgabe des Übersetzers im (utopischen) Horizont einer Intention auf die reine Sprache, das reine Gedicht verstehen.
6. Zu Autor. Autorinnen-Intentionen
zu Bild 12 des Pecha Kucha Angenommen, Döhl wollte nicht, dass sein Gedicht, das einem Apfel gleicht, auch ein Gedicht über Birnen ist. Könnte Döhls Gedicht dennoch zu Recht auch als eines über Birnen gelesen werden?
Der Hintergrund: Bedingungen des Verfassens eines Textes, verbindet sich oft wie zwangläufig mit dem Hintergrund der Intentionen von Autor-, Autorinnen.
Die Absichten, die Rolle der Autorin, des Autors.
Die Diskussion über das, was in der englischsprachigen Literaturwissenschaft: intentional fallacy (1946 Monroe Beardsly) genannt wird.
Was man annehmen kann: Der Autor intendiert etwas Vortreffliches, ein gutes Gedicht. Aber:
Ich glaube, es ist weniger missverständlich, wenn man – einigermaßen zum Beispiel nach Adorno – davon spricht, dass es Tendenzen gibt, die im Text angelegt sind und (in meiner Diktion) deshalb auch vermittelt sind, die jedoch nicht verwirklicht werden.
Die Rede von dem, was der Autor, die Autorin intendiert: Das sind eigentlich zumeist, zugegeben: naheliegende Schlüsse aus Texten. Es ist auch oft, genau genommen, übertragene Redeweise oder eine facon de parler. Nein, eher muss man sagen: Es ist oft ein einfacher Umweg. Es ist zumeist klarer, wenn man vom Text spricht. (Ich glaube, ich kann das an den Texten von Elke Engelhardt und Timo Brandt zeigen). Gut, aber Umwege können suggestiv sein und Suggestion kann manchmal ein geeignetes Mittel sein.
Eine andere Frage ist, ob man nicht annehmen muss, dass ein Text immer einen Autor, eine Autorin hat und also, wenn nicht auf Intentionen, so doch mindestens auf mentalen Zuständen beruht. Hier kann man Foucault folgen, der das die Autorfunktion nennt und als notwendige Bedingung für das Gegebensein von Literatur annimmt. Wenn man mit etwas als mit einem literarischen Text umgeht, dann ist auch vermittelt, dass der Text einen Autor, eine Autorin hat. (Manche Hintergründe sind notwendigerweise vermittelt. Sie gehören dann zum Begriff des literarischen Texts.)
7. Themen, Motive, Inhalt
Bild 11 des Pecha Kucha (Brecht Zitat: Was sind das für Zeiten, da ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist.)
In einem Gedicht ist von Äpfeln und Birnen die Rede, in einem anderen von Liebe, Tod. Ist ein Gedicht, in dem von Äpfeln und Birnen die Rede ist, meistens weniger gut als eines, in dem von Liebe und Tod die Rede ist?
Die Frage der Form/Inhalt Relationen. Man verwechselt so leicht so häufig, das gewichtige Thema mit dem Wert des Gedichts. Man schaut dann oft gleichsam durch das Gedicht hindurch auf den Gegenstand. Der ist dann die Schlange, wir Durch-Schauende sind in der Rolle des gebannten Kaninchens; gebannt und gefesselt.
Man behandelt das Gedicht dann oft wie andere Texte, man übersieht einigermaßen das Gedicht und damit die Rolle der Form. Man liest das Gedicht dann wie einen Bericht. Vielleicht hilft hier die Unterscheidung zwischen Benennung (gemäß vertrauten Gewohnheiten) und Darstellung, die sehr ungewohnt sein kann. Darstellung brauch eine Gestalt, in der Benennung nur eine Komponente ist.
Sind übrigens nicht oft Themen, Motive, Bezüge dann am stärksten, am wirksamsten (am besten?) vermittelt, wenn sie implizit sind? Oder: Soll man von Gedichten nicht verlangen, dass es ein wirkungsvolles Wechselspiel von Implizitem und Explizitem gibt? Ist dieses Wechselspiel nicht ein Moment von Gestalt?
8. Das Problem der Begründungen, allgemeiner: Das Problem der Form von Kritik.
Welche Komponenten hat eine Literatur-, eine Lyrikkritik?
1. Analyse bzw. Beschreibung der Verfahren, wie rudimentär, aphoristisch zusammenfassend, abkürzend auch immer.
Textanalyse und Stilanalyse.
2. Literaturhistorische Einordnung.
3. Synchrone und diachrone Vergleiche.
4. Bewertung und ihre Begründung.
Allgemeiner: Was verlangt eine Literaturkritik? Welche sprachlichen bzw. literarischen Mittel, welche Formen?
Welche Art von Text?
Welche Rolle spielen dabei Begründungen?
Welche Rolle spielen dabei auch poetische Mittel? Zum Beispiel Vergleiche, Metaphern? In welchem Maß darf sich durch die Form der Kritik Sympathie (Friedrich Schlegel verlangt das?) mit ihrem Gegenstand zeigen? Ist nicht auch Antipathie notwendig oder mindestens Distanz? Ein Gedicht als Kritik eines Gedichts. Ja, das ist möglich, aber das heißt: in hohem Maß implizit. Das richtige Maß von Implizitem und Explizitem.
Dabei spielen auch Subgenres bzw. unterschiedliche Gewichtungen eine Rolle…
Ein spezielles Problem dabei: Die verbindliche sprachliche Begründung bzw. Formulierung von Werturteilen.
Man sollte dieses Problem nicht (nicht ohne weiteres) mit der ontologischen Frage gleichsetzen: Weil man etwas nicht verbindlich (klar?) formulieren kann, existiert es nicht. Diese Gleichsetzung wäre sozusagen Sprachphilosophie der sechziger Jahre.
9 Verhältnis von Beschreibung, Analyse, Interpretation zur Bewertung.
Führt kein Weg von der Analyse (eine Art von Deskriptivität) zur Bewertung? Oder wie genauer ist dieses Verhältnis? Wie wirkt es sich auf die Formulierung von Literaturkritiken aus?
Beschreibung: lang, kurz, gereimt, Strophen, Grammatik, Wort- und Satzsinn usw.
Analyse: Relationen von beschreibbaren Komponenten.
Interpretation: Liebe, Tod, politische Verhältnisse aufgrund von Beschreibungen Analysen usw. (Worum geht es?)
Bewertungen: gut, schlecht, schön, hässlich..usw.
– Beschreibungen bedingen oder begründen Analysen
– Analysen bedingen oder begründen Interpretationen
– Interpretationen bedingen oder begründen Bewertungen,
– Bewertungen begründen oder bedingen Interpretationen,
– Interpretationen begründen und bedingen Analysen
– Analysen begründen oder bedingen Beschreibungen,
– Beschreibungen begründen oder bedingen Bewertungen
usw.
Alle Kombinationen dieser Begriffe sind im Spiel.
Das ist ein hermeneutischen Zirkel, der auch Bewertungen einschließt.
9 Noch einmal zu Produktions- und Rezeptionsbedingungen
Genese-Bedingungen
1. Historische und literaturhistorische Bedingungen der Genese des Gedichts
2. Soziale Bedingungen der Genese des Gedichts
3. Politische Bedingungen der Genese eines Gedichts
3. Mentale Bedingungen der Genese des Gedichts
Sozusagen spiegelbildlich dazu: Rezeptions-Bedingungen
1.Historische und literaturhistorische Bedingungen der Rezeption des Gedichts
2. Soziale Bedingungen der Rezeption des Gedichts
3. Mentale Bedingungen der Rezeption des Gedichts
4. Verhältnis von Genese und Rezeption zur Bewertung von Gedichten…
5. Verhältnis zwischen Vermitteltem und Nicht-Vermitteltem
10 Historisches
Würde das Gedicht Hölderlins, in dem von Birnen die Rede ist, heute oder morgen geschrieben, kann es dann ein ebenso gutes, ein schlechteres oder ein besseres Gedicht sein? Oder sind alle Epochen Äpfel, die die Birnen jeder anderen Epoche sind?
Das Historische: Zeitgenössisches zu beurteilen, scheint noch relativ leichter.
Noch undurchsichtiger und schwieriger wird die Sache, wenn historische oder die kulturelle Unterschiede ins Spiel kommen.
Eine Rechnung mit sehr vielen Unbekannten. Aber sollte man deshalb die Idee der gerechtfertigten Bewertung einfach verabschieden?