Abende, Reisen
Abende und Reisen, an diesen beiden kann ich als Mutter schwerer teilhaben als davor. Obwohl ich Abende verehre, Reisen vergöttere. Aber ich habe Betreuung für mein Kind meist nur vormittags, bis 15 Uhr etwa, danach wird jede Arbeit schwierig. Das ist nicht nur bei mir so. Alles Interessante in der Literatur findet aber abends statt, zur Bettgehzeit, zur Weintrinkzeit, noch dazu oft in anderen Abenden, fernen Städten – das erschwert die Arbeit im Feld der Literatur als Sorgeberechtigte. Ich sage trotzdem jeden Termin sofort zu, der mir vom Thema und Format her gefällt. Erst dann überlege ich, wie ich das eigentlich machen soll, wer mir hilft – ich denke immer, im Notfall nehme ich das Kind eben mit, auch wenn es niemandem gefallen wird. Weil es vollkommen selbstverständlich ist, dass das Kind nicht mitgenommen wird, wenn es um Literatur geht, dass weder am Abend noch auf Reisen für Betreuung gesorgt ist. Es gibt Beschäftigungen, bei denen ein Kind still daneben sitzen kann und malen, je nachdem, in welchem Alter es ist. Eine Lesung ist so eine Beschäftigung nicht. Ein Kind hat, in den Augen der Veranstalter:innen und des Publikums, nichts bei einer Lesung verloren. Ich mag nicht, wenn Fotos gemacht werden von Kindern – das Bildrecht liegt bei ihnen.
Leider ist es eine chronische Erkrankung der Literaturszene, dass alles unterfinanziert ist, dass sich jeder Abend, jede Veröffentlichung vom Geld her so gerade eben ausgeht, und trotzdem machen wir alle mit: Aus Leidenschaft. Aus Liebe zum Wort. Oder wie? Eine Atomphysikerin liebt auch die Atome, eine Astrophysikerin das Weltall. Trotzdem würden sie, denke ich, nicht unbezahlt oder unterbezahlt arbeiten, sie wissen nämlich, dass ihre Arbeit Leistung ist und gewürdigt werden soll. Bei uns scheint es, als müssten wir uns unendlich bedanken oder für immer entschuldigen: „ja, entschuldige, ich schreibe, oh danke, ach ja, tut mir leid“. Ich finde, es wird zu wenig um mehr Finanzierung gekämpft und das sage ich als Veranstalterin, die sich dabei an die eigene Nase packen muss und daran kräftig herumreißen. Es müsste klarer in jede Kalkulation für ein Festival oder eine Lesung eingehen, wie viel eine Betreuung für ein Kind am Abend zum Beispiel kosten würde, und man bräuchte einen extra Raum für die Kinder.
Das ideale Festival, das perfekte Stipendium wäre eines, bei der sich mein Kind und ich gleichermaßen eingeladen fühlten.
Nora Zapf, geboren 1985 in Paderborn, ist Lyrikerin, Wissenschaftlerin und Übersetzerin. Derzeit schreibt sie ihre Habilitation über Unterweltreisen in der lateinamerikanischen Prosa und unterrichtet an der LMU München. Letzte Übersetzung: „Sor Juana Inés de la Cruz: Erster Traum“, Wien: 2023, letzter Gedichtband: „Dioden, wie es Nacht (vierhändig“), Köln 2021. Bayerischer Kunstförderpreis 2019.