Notizen, Zitate, Fragen zur Verriss-Session
Der Verriss in der Geschichte
die schönsten Zitate aus dem Konvolut:
- Nach der ausführlichen Darlegung der Gründe, wornach Rezensent sein Urteil über die Bürgersehen Gedichte bestimmte, erwartete er, durch etwas Gedachteres als durch Autorität, durch Exklamationen, Wortklaubereien, vorsätzliche Mißdeutung, pathetische Apostrophen und lustige Tiraden widerlegt zu werden; auch schien ihm Herrn Bürgers Sache in der Tat nicht so schlimm, um nicht eine beßre Verteidigung zu verdienen.
- daß an der selbsteignen Person des Dichters nur insofern etwas liegen kann, als sie die Gattung vorstellig macht
- Ehe ein gebildeter Leser an Liedern Gefallen fände, worin noch der ganze trübe Strudel einer ungebändigten Leidenschaft braust und wallt und mit dem Affekt des begeisterten Dichters auch alle seine eigentümlichen Geistesflecken sich abspiegeln, würde er lieber die Autorität eines Horaz verwerfen, wenn es dem unsterblichen Dichter wirklich hätte einfallen können, durch seinen wahren und goldnen Spruch: Weine erst selbst, wenn du weinen machen willst! (alle F. Schiller)
- Jede Kritik, die es verdient, eine Kritik genannt zu werden, ist auch eine Polemik. Sie bezieht sich immer auf einen konkreten Gegenstand – und nie auf diesen Gegenstand allein. Indem der Kritiker ein Buch charakterisiert, indem er es befürwortet oder zurückweist, spricht er sich nicht nur für oder gegen einen Autor aus, sondern zugleich für oder gegen eine Schreibweise und Attitüde, eine Richtung oder Tendenz, eine Literatur. Er sieht also das Buch, das er behandelt, immer in einem bestimmten Zusammenhang. Er wertet es als Symptom.
- Denn wer in Deutschland ironisch schreibt und das Understatement liebt, muß damit rechnen, daß er – die journalistische Praxis beweist es immer wieder – die fatalsten Mißverständnisse begünstigt.
- Ich will nicht verheimlichen, was ich mir während der Lektüre dieser Verrisse in der Regel d’achte – daß hier von sachlicher und fundierter Kritik überhaupt nicht die Rede sein könne, daß es sich vielmehr um oberflächliche, ungerechte und bösartige Attacken handle, die meine Absichten gänzlich verkennen und auf perfide Weise entstellen und zu diesem Zweck Bagatellen hochspielen und auch noch unentwegt Zitate aus dem Zusammenhang reißen. Kurz und gut: Ich reagierte ebenso wie jeder andere Autor. Wie nämlich die Autoren, die über die Unarten und Sünden der Kritik klagen, sich, sobald sie selber Bücher rezensieren, die glei- chen Unarten und Sünden zuschulden kommen lassen, so sind auch die Kritiker, sobald ihre eigenen Bücher rezensiert werden, mit der Empfindlichkeit und Verwundbarkeit geschlagen, die mehr oder weniger für alle Autoren charakteristisch sind. (alle Reich-Ranicki)
- Der Kritiker sei gezwungen, „einen bestimmten Ton anzuschlagen, und alles in allem kann der nur gebieterisch klingen. Der Kritiker mag zweifeln und auf vielfache Weise leiden (… ) letzten Endes kann er immer wieder nur auf eine Schreibweise rekurrieren, die Thesen und Postulate enthält (…) Im Dogmatismus der Schreibweise spricht sich ein Engagement aus, nicht eine Gewißheit oder Selbstgefälligkeit (…)« (R. Barthes)
Frage nach der Ausdifferenzierung von „Verriss“, ein kleines Diagramm:
Schmähschrift| Pamphlet | Polemik | Kritik
Zorn | Parteilichkeit | Ärger | Ungenügen
Beleidigung | Apodiktik | Rhetorik | Argument
verstreute Notizen zur Diskussion:
– Gibt es überhaupt noch Instanzen, die „objektive“ Werturteile als solche auch durchsetzen können? Ist Denis Scheck wirklich der Reich-Ranicki unserer Zeit?
– Verriss als Begriff ist Ausdruck einer älteren Auffassung solcher Durchsetzbarkeit objektiver Kriterien (Einwurf: aber soll doch zum Widerstreit reizen)
– Kultur der Achtsamkeit: Lyrikkritik wg. enger Bekanntschaften, niederem sozialen Status und Aufmerksamkeit wird meist nicht auch noch für Verrisse genutzt, wäre zu schade und schädigend?
– zugleich würde Subjektivität als oberstes Kriterium Kritik überflüssig machen
– Geltungsanspruch von Kritik: strebt nicht das Argument selbst hoheitlich zur Regentschaft des „Zwingenden“, egal ob wir es „überzeugend“ oder „objektiv“ nennen?
– Aufmerksamkeitsökonomie: wichtig ist, DASS es Kritik gibt
– inwiefern ist Kritik am Autors als Verfasser der Texte schon ad hominem? lassen sich Texte unter Ausschluss der Autorperson kritisieren?
– welches Programm steht hinter einer Kritik?
– löst Schiller seine Kritik an Bürger vorbildlich durch das Auffahren eines ganzen Programms, an denen Kriterien ablesbar werden (sieh auch Parallele Czernin) ?
– in die Welt der Ideen abheben
– detextualisieren als Verrissmittel Nr.1
– Argumente a priori aus der Sittlichkeit
– Poesie kann nur durch Poesie (Pecha Kuchas?)) kritisiert werden?
– so viel schwieriger ist es, einen Verriss zu schreiben, als eine Lobesyhymne
– Verriss als Metaebenenkatalysator
Abriß der Geschichte: Lesen und tadeln lernen…(Die vernünftige Tadlerin!), dann von den Regelpoetiken zu den Kriterien, die aus dem Werk selbst hervorgehen, die großen Auseinandersetzungen (Kraus/Kerr etc), Kritik als Kampf, dazu auch:
http://www.kraus.wienbibliothek.at/content/karl-kraus-ca-alfred-kerr
https://www.textlog.de/36290.html (Kraus zu Kerr)