pfeffrig pfeffrig!

ein lyrisches Mahl, zubereitet von dem Sohn Christian Filips‘

Eine überraschende Publikation erreicht mich aus dem Hause Engeler/roughbooks. Überraschend nicht deshalb, weil es sich bei Halldór Laxness Halldórsson um einen TV-Entertainer handelt und Rapper, dazu isländischen, auch nicht weil er der Sohn des Nobelpreisträgers ähnlichen (!) Namens ist, sondern weil es sich bei seinen Gedichten um roughbooks-untypische Gedichte handelt, die, müsste ich ein grobes Schlagwort finden, unter „fettem Realismus“ firmieren könnten. Vielleicht besser: hypertrophem Realismus, mit surrealen Rauchbomben, kleinen halluzinösen Sprengsätzen versehen. Kein geringerer als Christinándur Filipsson hat diese wuchtigen Gedankenauswürfe unter dem Titel „ich bin ein Bauer und mein Feld brennt“ ins Deutsche übertragen. Filipsson ist der uneheliche Sohn des bei einem Autounfall jüngst verstorbenen Übersetzers und Dramaturgen Christian Filips. Dieser zeugte jenen vor neunzehn Monaten in einer heißen isländischen Nacht unter dem Einfluß der Geysire und vulkanischen Gase mithilfe eines isländischen Tenors in seinem sprachlichen Mutterschoß. Und siehe da: er scheint ein ebenso großes Talent für Sprachvolten zu haben wie sein Vater, dazu trägt er noch Bart und ist etwas stämmiger, erinnert also auch äußerlich mehr an einen Bär und eignet sich deshalb vorzüglich für die Übertragung dieser Gedichte. Dabei verleiht er ihnen etwas grazil Arabeskes und bringt den noch größeren Bär Laxness Halldórsson wiederum fast elfenhaft zum Tanzen. Und das, obwohl er vor Kaschemmenkraftausdrücken nicht zurückscheut. Ja, es ist, als kämen mit Filipsson und Halldórsson die Schöne und das Biest in einer Skaldensaga zusammen.

Nun ist es ja so, dass jedweder Realismus ein wenig unter Verdacht steht. Selbst wenn er sich mit ironischen Kaprizen, ausbeulenden Vergleichen oder eben delirierenden Schwenken anfüttert, bleiben diese Kapriolen doch unter dem Verdacht der Effekte, die ein Feuerwerk um Banalitäten abzünden. Bei manchem Slam durfte man so etwas beobachten und sicherlich ist es kein Zufall, dass der Autor einem rappenden und entertainenden Milieu entstammt.

Texte dieser slammenden Art drehen sich oft um Erlebtes, leben von der Pointe, Auslassung oder Übertreibung – manch Autor möchte damit seine Verbundenheit zum Biographischen auf amüsante oder unkonventionelle Weise zum Ausdruck bringen, kurzum: Realität nicht ihrer eigenen Nacktheit überlassen. Und genau das macht solche Bemühungen in den Augen der akademisch geschulten Kunstrichter verdächtig.

Man mag so etwas besser von Fall zu Fall beurteilen. In diesem Kasus, wo der Surrealismus eher aus zu viel Prankenkraft resultiert („Gestern 55 Dokus reingezogen“), möchte ich den Kritikern zu bedenken geben, dass solch Groteskerien („Meine Faust ist eine gestrandete Kiefer“) inmitten realer Szenerien ja auch eine Wehmut oder einen Zweifel inkludieren: Könnte es nicht alles ganz anders sein? War es wirklich so? Ist das nicht alles absurd? Und, eine Spur verzweifelter noch: Wird das nicht alles bald schon ganz anders sein, nämlich null und nichtig?

Wo kommt diese Dichtung sonst her? Finden wir nicht weiterreichende Einflüsse? Von fern erinnert sie hinter ihrer Attitüde auch an gewisse osteuropäische Traditionen. Oft finden wir in den neuen Poesien der kleineren östlichen Nachbarstaaten melancholische Verquickungen von Realität und Schmerz, Unglück und Versponnenheit, zuletzt, um ein Beispiel zu nennen, so brillant bei dem Band „Schwarzes Land“ des Kroaten Pogačar. Dichter wie der slowenische Šalamun hatten zuvor bereits eine Schwebe aus Ironie, Beckettscher Leere, absichtlich kandidelten Einfällen und sprachlich-spielerischer Lebensliebe zu einer Meisterschaft geführt, die schnell stilbildend wurde. Was einmal nachzuzeichnen wäre.

Hier freilich haben wir es simpler mit einem Bauern zu tun, dessen „Feld brennt“, einem Mynheer Peeperkorn der Lyrik, einem in den Obelixbrunnen gefallenen Falkner. Und doch gibt es viele überraschende Wendungen, die nicht unmittelbar zu entschlüsseln sind, die in eine schöne absurde Stille münden. Dann nimmt man von einem solchen Bärbeiß den zerschrunzten Realismus gern entgegen, zumal Filipsson sich einige Manierismen erlaubt, welche dem Buch eine frische Aufgewecktheit verleihen, die ihm vermutlich gerade noch fehlte (wie es ihm z.B. gelingt, das berühmte N-Wort mit gespielter Naivität wissenschaftlich zu erläutern, sagt viel über seine freche Leichtigkeit).

Bei allen Stilanleihen der Gedichte Halldorssons hat man am Ende doch den Eindruck, einem urigen Roadmovie beizuwohnen, einer Einfallsroute, die mal hierhin, mal dorthin über diese kleine Insel namens Island führt und durch verschiedenen Stationen einer Biographie. Auch von daher konsequent, dass Filipsson den Trip ab und an bis in des Übersetzers Exil Berlin führt. Vermutlich sind es auch diese Anker im Lebensbezug, die das Buch, zusammen mit seinem deftigen Spelunkenzwischenrufen, so kurzweilig machen. 

Hendrik Jackson