Poeta doctus Heaney

Poeta doctus
von Sara Hauser

Beleuchten Sie einen irischen Dichter, ausgezeichnet, höchstbepreist: Seamus Heaney. Kann man 2020 noch Gedichte alter weißer Männer rezensieren ohne Abwehrreflex? Vielleicht irische, vielleicht die eines Dichters aus einer katholischen Bauernfamilie? Vielleicht Gedichte mit einer Art Unbekanntheitsbonus, trotz Nobelpreis des Autors? Den eigenen Abwehrreflex überwinden durch Ephase für Heamus ́ genaues Sehen und sprachliches Betasten; durch Begeisterung für das poetische Fassen, mit dem Heaney den Aal anpackt, den „Schleim und Silberglanz“, des Tiers, welcher Konterpunkt bildet zu hochtrabenderem Spracmaterial (glorified bodies). In vielen Texten des Bandes reizt eine Kombination aus Pathos, Literturgeschichtseinsprenkseln und dem ganz konkret Situierten. Etwa wie mit kindlichem Blick der furchterregende Daumennagel einer alten Verwandten beleuchtet wird. Der Nagel rahmt Heamus titelgebendes Gedicht Elektrisches Licht, das mit der lyrischen Beisetzung der Nagelträgerin endet:

Den schmutzädrigen Riß und Flintstein ihres Nagels
so plektronhart, grindglitzrig, daß er sicher
noch zwischen Rosenkranz und Wirbeln ruht im Derry-Grund.

Heaney macht sich auf, die sprachliche Taschenlampe in der Hand, steigt hinab in die Tasche eines Artzes, die, mit dem Arzt selbst, Fluchtpunkt wird, Brutkasten: „Wir alle kamen in Dr. Kerlins Tasche.“ Dr. Kerlin, ein Mann mit dem Kamelhaarmantel, der durch Seamus Dreizeiler schreitet. Der Gelehrte tritt ein in die katholisch-bäuerliche nordirische Kindheit. Hantiert mit dem für ihn vorbereiteten Wasser, das wie folgt beschreiben wird:

nicht blubbernd, heiß, nicht lauwarm, sondern weich
Schaumsatt für ihn vom Regenfaß geschöpft

Und teilchenweise schäumen da auf

die kleinen zitzenfrabnen Babyteile,
unter der Decke von der Leinwand baumelnd –
ein zeh, ein Fuß und Bein, ein Arm und Pimmel,

ein bisschen wie die Knospe in seinem Knopfloch.

Der „lysolumwehte“ Arzt begleitet mit seinem Werrkzeug und der Tasche die bäuerliche Familienvegrößerung fachmännisch. Dr. Kerlin, der Lebenseinleiter, der die Babys bringt, und seine Tasche, sind so prägend, dass beides, Verse später dem lyrischen Ich während einer Prozession 1956, im Weihrauchnebel aufsteigen: Begleitet von „tupfenbrüstigen Frauen“ mit „schlappen Würstechenarmen“. Auch hier (wie den Babys) segmentierte die Körperteile, comichaft überzeichnet.

Es macht Spaß die Verschränkungschichten zu entdecken. Immer wieder scheinen vergangene kulturgeschichtliche Bezüge und Erinnerungen auf, ganz leichtfüßig, bruchlos. Der Arzt wird als Inkubator bezeichnet, die Inkukation eingeflochten als „rituelle(r) Tempelschlaf“. Weich sind die Übergänge, ist der der Brückenbau vom ländlichen Damals zum kulturgeschichtlichen Damals. Es sind diese kunstvollen Verschränkungen, die Seamus Band lesenswert machen, die Lust machen lesend nachzuspüren, wie Inventarverbindungen hergestellt werden, mit einem sehr konkretem, wachen, streifenden Blick. Dieser ist so handgreiflich genau unterwegs nutzt die Spannung im Zeilen- und Strophenumbruch wiederholt beeindruckend:

Magermilch und Eis, geschrubbtes Porzellan, das Weiß
Frostiger Kacheln, Stahlhaken, verschromte Instrumente