Stofeuers launige Bemerkungen zum Erfolg beim „Volk“

Heute sandte mir der ehemalige Mitherausgeber der Lyrikkritik, Arndt Stofeuer, ein paar launige Bemerkungen via mail. Ich bat ihn, sie veröffentlichen zu dürfen. Er stimmte zu. Ich fand es zumindest bedenkenswert!
„Immer wieder stößt man im Netz, im Leben, bei Lesungen etc auf große große Freude, wenn der Lyriker, die Lyrikerin etc. einmal Erfolg über das normale Maß hinaus hat, ja, womöglich von BauarbeiterInnen oder gar jungen SchülerInnen gelesen wird. Nichts gegen große Freude, vielleicht ist es auch nur die Seltenheit dieser Erfahrung, die sie so besonders macht und ihr mehr Aufmerksamkeit oder Freude zuteil werden lässt, als dem Erfolg beim Literaturprofessor oder der Chemiestudentin.
Dennoch wittere ich dahinter eine Überzeugung, die ich mit dem Satz „Sieh da, Lyrik kann auch beim einfachen Volk ankommen“ ungenau umreißen will.
Dahinter stecken m.A. nach drei falsche Annahmen, die ziemlich konsequent ihre Materialisierung in Adjektiv, Substantiv und Verb finden.
– einfachen: dahinter steckt die Mär, die Lyrik habe die Verpflichtung, sich einfach auszudrücken. Freilich: ein einfaches gutes Gedicht zu schreiben, ist eine hohe Kunst. Aber eben nicht, weil es simpel ist, sondern weil es seine Komplexität hinter einem einfachen Zugang verbirgt. Im Gegenteil gibt es eine Verpflichtung zur Komplexität. Wer nicht bestimmt, wird bestimmt, hieß es früher. Wer sich nicht interessiert, bleibt uninteressant, könnte man ergänzen oder wie Falkner es sagte: wer sich nicht für Lyrik interessiert, interessiert sich nicht für sich selbst. usw. darüber kann man streiten, man kann es ergänzen, aber das Einfache ist nunmal nur interessant, wenn es auch komplex ist. das ist die Dialektik, die auch im Gegenzug das Komplexe betrifft. das ist alles andere als ein elitärer Zug: nämlich ein egalitärer. nicht die Komplexität des Verstehenkönnens entscheidet in der Lyrik darüber, ob ich etwas mit einem Text anfangen kann (mit einigen weigen Ausnahmen), sondern ob ich charakterlich daran interessiert und fähig bin, Ambiguität, Ambivalenz zuzulassen und nicht autoritär-technizistisch darauf aus bin, alles für den Handgebrauch runterzubrechen.
– Volk: hier lauert „naturgemäß“ etwas noch Schlimmeres, der Mythos vom Ursprünglichen, Natürlichen, das irgendwie das Bessere sei oder das zumindest Gerechtfertigtere, dem man sich, wenn man noch irgendwie gesund ist, anzuschmiegen habe. Das wäre richtig, wenn Natur alles richtig machen würde. Aber, wie es in der Argumentationslogik heißt: Genese ist nicht Geltung. Was einem, einer, fast allen immer richtig vorkam, ist deshalb noch nicht gut.
– nun zum heikelsten: – ankommen. Ja, wie ist das mit dem Ankommen? Existiert nur das, was auch wahrgenommen wird, und das, was von vielen wahrgenommen wird, umso mehr? freilich, wir alle spüren dies, das schon Müntzer benannte, die Freude, wenn Menschen eines Sinnes zusammen kommen und etwas ins Werk setzen. aber ist es damit nicht wie mit einem nicht unendlich, sondern nur begrenzt aufzuladenden Akku? und wenn der überladen wird, entleert er sich eher wieder? ok, etwas schräges Bild. aber waren die schönsten Lesungen und Exkursionen nicht die im kleinen Kreis, wo etwas zart begann und noch nicht breit getreten wurde durch die Vielen (die eben auch nur dort die Vielen sind und sein müssen, so sie sich zu ihnen zusammenschließend selbsttätig einfinden, also auch hier ist es (bedingt natürlich, „Privilegien“ etc sind zu beachten) freie Wahl).
Ist es also wirklich so wichtig, „anzukommen“. Oder nicht vielmehr etwas gemeinsam zu stiften. Und dies Stiften ist eben eine gegenseitige Bewegung und kein Warten auf Lob.“

P.S. ich hab der Authentizität wegen etwaige typische Mail-Schreibfehler nicht korrigiert (H. Jackson)