beginnen wir mit dem Frank Sinatra der Lyrikszene, dem stets freundlichen, seine Aura gerne teilenden Dinçer Güçyeter und seinem Verlag Elif. an ihm und seinem führt kein Weg mehr vorbei und auch nicht an der im Elifverlag erschienen Werkauswahl des Dichters Oleg Jurjew, der vielen vertraut ist und dessen Gedichtausgabe überfällig war: Verse vom himmlischen Drucksatz. ein weiterer spannender Band aus dem Verlag ist Die nackte Welt von Irina Mashinski, eine sogenannte „Chronik mit Versen“. Das Inhaltsangabe ist so knapp wie vielversprechend: „Muster 2. Mythos 3. Niemandsland 4. Grenzen.
ein Geniestreich ist die Erfindung des ausklappbaren Doppelbuchs für die (recht freie) Übersetzung-Aneignung von Petrarca durch die jüngst erst für andere Gedichte mit dem Leonce-und-Lena-Preis ausgezeichnete Sandra Burkhardt bei kookbooks: Fragmente einer echten Ikone. wie bei vielen Geniestreichs fragt man sich nur, warum das bisher niemand gemacht hat (oder, weil zu vermuten ist, dass es das doch irgendwo so gibt, warum es sich nicht durchgesetzt hat). jedenfalls liegt das Buch auf vier Seiten vor einem, die Originale können leicht und schnell verglichen werden ohne dass man sich totblättert. wunderbar und außerdem schön gestaltet. von den neuen Kookbooksbüchern auch noch zu erwähnen der Band von Andreas Koziol Menschenkunde, der in einem Maße abgeklärt und handwerklich sicher daherkommt, dass man nur noch ob seiner relativen Unbekanntheit staunt. vielleicht kommen einem die (etwas ambivalenten) Worte Mandelstams in den Sinn, der über Pasternak schrieb: Pasternaks majestätische russische Poesie ist bereits altmodisch, sie ist geschmacklos, weil sie unsterblich ist. überraschend auch: Autobahnverordnungslyrik bei Monika Rinck (Höllenfahrt und Entenstaat) und ein Self-Nude-Beach-Foto in kiki beach von Verena Stauffer (beide kookbooks).
wo wir bei Doppelseiten sind, möchte ich noch ein älteres Buch des seit 2021 erneuerten MÄRZ-Verlags erwähnen: Ann Quinn – Passagen. die Autorin lässt den Roman zum Teil in zwei Spalten laufen, neben den Notizen gibt es noch Beobachtungen oder Verweise, die den Hauptstrang wie Gegenstände umstehen und somit ein realeres Wirklichkeitsbild erzeugen, als lineare Prosa. überhaupt ist das ein sehr gutes Buch, in dem auch die verstreutesten Notizen nicht den Anschein des Überflüssigen haben (während manch streng vollendetes und thematisch enggeführtes Werk wie Lametta wirken kann!).
den Poetenladen bereichert der Band Verschlissenes Idyll von Marit Heuß. ich konnte es bisher nur flüchtig lesen, aber beim ersten Blick schon treten die Gedichte aus einer aufmerksamen Wahrnehmung angenehm sanft hervor und – präzis arrangiert.
eine kleine Entdeckung ist der Autor Christian Bobin, erschienen bei sisifo. sein Selbstporträt am Heizkörper besticht durch Schlichtheit und einprägsame Sentenzen. der Autor ist in Deutschland noch unbekannt. dieses Buch ist aus dem Verlust heraus entstanden und sucht durch kleine Beobachtungen und Einschätzungen wieder Halt im Leben zu gewinnen. aus der ersten Seite: „ich habe mich Schriftsteller werden lassen, um über die reine Zeit verfügen zu können, ohne eine ernsthafte Beschäftigung.“
und noch etwas Bemerkenswertes: der Aphaia Verlag hat einmal die Essays und Aufsätze des Lyrikers und Essayisten Jürgen Bročan zu einem Band zusammengefasst: Augenblicke der Anwesenheit. sehr gut!
to be continued! dieses Jahr besteht große Hoffnung, dass all diese Bücher und mehr entweder auf lyrikkritik oder zaesur-poesiekritik.de besprochen werden können.
Hendrik Jackson