Kurze Einführung
Albane Prouvosts (*1961) 2015 bei P.O.L. erschienener Gedichtband meurs ressuscite ist ein bislang unübersetztes Langgedicht von 63 Seiten, welches mit sprachlicher Raffinesse gesellschaftspolitisch relevanten Themen wie Klimakrise und Familiendynamik begegnet und bei aller Kritik an menschlichen Verhaltensweisen eine humorvoll leichte Ausdrucksweise findet. Die Auseinandersetzung mit persönlicher und politischer Umwelt verknüpft die Darstellung einer dysfunktionalen Familie mit schmelzenden Gletschern. Prouvost findet berührende Bilder für das Dasein in einer vernetzten Welt im Anthropozän, in der das Schicksal von Menschen und Bäumen nicht mehr voneinander zu trennen ist. Der von uns für die Übersetzung gewählte Titel “sterben unsterben” ist gleichzeitig Befehl, Wunsch, Beschreibung, Einladung und Ansprache: die nebeneinander stehenden Verben im Infinitiv können auch imperativ gelesen werden, sie sprechen von einer kontinuierlichen Bewegung, die die sich verändernde Ordnung von Mensch und Natur einfängt, die in Prouvosts Gedichten aus Obstbäumen besteht.
Prouvost ist bekannt für ihren unverwechselbaren Schreibstil, den sie in verschiedenen Gedichtbänden im französischsprachigen Raum (Frankreich, Schweiz) entwickelt hat. Sie findet eine rhythmisch permutierende Sprache, vergleichbar mit serieller Musik. In geschickten Wiederholungsstrukturen zeichnet sie die Symbolik vom Lebenszyklus, in dem menschliche Erfahrung mit der Natur in Verbindung stehen und interpretiert dieses Sterben und Auferstehen aus nicht-christlicher sondern anthropogener öko-kritischer Perspektive. Der teilweise surreal märchenhaft anmutende Ton wird dabei verwendet, um über Familientraumata und konkret lebensweltliche Krisen zu schreiben. Diese Herangehensweise führt zu parataktischen Sätzen, die wie kreisende Gedanken einen tiefen Kern haben, der von Suggestionen überdeckt wird. Dabei ist es kein rationaler, sondern ein unbewusster Zugang, der über die bildhaft metaphorische Sprache schmerzhaften Gefühlen poetischen Ausdruck verleiht. meurs recussite, ihr zweiter Band, könnte als Vorgeschichte zu ihrer dritten Gedichtsammlung renard poirier (La Dogana, 2022) betrachtet werden. Die Autorin ist in der französischsprachigen Lyrikszene bekannt und hat unter anderem die Zeitschrift für zeitgenössische Lyrik Mouche inspiriert, deren nächste Ausgabe auf ein Zitat aus Meurs recussite aufbaut. (Stand Februar 2025)
Clara Cosima Wolff /Miaïna Razakamanantsoa
Albane Prouvost – meurs ressuscite (PDF)
Clara Cosima Wolff /Miaïna Razakamanantsoa – sterben unsterben (Teilübersetzung des Langgedichts)
Clara Cosima Wolff – Reaktion/Analyse auf meurs ressuscite