Mush!
– einige Gedanken zum Unsinn des Sinns anlässlich des Gedichtbands „Mush“ von Sonja vom Brocke –
Unter U-saure Mühe
die Rotz-Sonde
properer Vulva-Muskel
und Ruder
errechnet sich Pulpo das Kind
– eines Urhähnchens
– kleinen Frisör
– Ratte, die unter der Turmuhr wiederging
aufjagt
Zeiger knappt
16 verwunschene Zähnchen bleckt
knusprig
fauchende Paladinin!
(S.69)
Unsinn?
was denken Sie, wenn Sie solche Zeilen lesen? oder, besser gefragt: was denken Sie, was die Autorin uns damit sagen will? oder, noch besser, weil Sie ja wissen, dass es darauf nicht so ankommt, dass man besser den Text sprechen läßt, als eine Intention zu vermuten: was macht der Text mit uns? oder, weil sie das auch nicht festzulegen sich anmaßen wollen: was könnte der Text mit uns machen, was wäre eine mögliche Textauslegung?
oder haben sie einfach Spaß an diesen Kollisionen des Sinns? let it be!
brauchen wir überhaupt eine „Auslegung“? ist der Text nicht einfach der Text? na gut, aber was können wir damit anfangen? dann wieder Teufelchen: die einzelnen Textteile wollen sich einfach nicht recht zusammenfügen! oder umgekehrt: es wäre viel zu viel, was aufgerufen würde, es ließe sich viel zu viel daraus fügen? ist es einfach ein Un-Sinn, der Ratlosigkeit gebiert? eine Ratlosigkeitsratte unter irgendeiner Turmuhr, die keine Zeit zeigt, unverbunden im Raum steht und ins Nichts des Unsinns zeigt?
oh, das wäre, Hand aufs Herz – allerhand.
kein Sinnentkommen
denn, wer ein bißchen mit mit Sprache experimentiert hat, weiß: es ist, im Gegensatz zur landläufigen Meinung, gar nicht so einfach, Unsinn, zu produzieren. schon an den ersten systematischen UnsinnskonzeptionistInnen, den DadistInnen, wurde das deutlich: was damals als Ausbund der Sinnlosigkeit erschien, hat aus heutiger Sicht oft genug noch den fast putzig freshen air von süß-infantilen Miniaturen, losem Sprachwitz und parodistischer Manier, ist keineswegs also blanker Nichtsinn.
denn selbst die einfachsten Wörter werfen Anker im Sinnierenden aus, es kletten sich semantische Projekionen an Wortfetzen und Gestammel, vermeintliches Geblubber wird im Abendlicht plötzlich zu Ausdruck von Sehnsucht.
dazu ein Beispiel: ein Künstler, dessen Name mir entfallen, hatte einmal 24 Fotos eines Sonnenuntergangs ausgedruckt, in eine Reihe gebracht und mit Unterschriften versehen: jeweils ein völlig aus jedem Zusammenhang gerissener Satz, der für sich keinen großen Sinn zu ergeben schien. man konnte vermuten, dass er so die emotionale Kitschwucht der Fotografien auszutarieren gedachte. aber, oh weh, die Fotos vom Abendrot wussten die Sätze noch einzuschmelzen in ihr Kitschreservoir. aus einem einfachen „Ein Fuchs tappt die Straße entlang“ oder „Dort liegt ein Baumstumpf“ wurde ein haikupathosgesättigtes Statement, das wie selbstverständlich die Erhabenheit des Bildes noch unterstrich, ja ihr eine tremendoerzeugende Narration unterschob. der gefühligen Assoziationen waren kein Ende, Sinnzusammenhänge leuchteten unfreiwillig auf.
oder, um ein anderes Beispiel zu nennen, das wohl jeder und jede kennt: da sucht man einen „Namen“, sei es für ein Tier, eine Zeitschrift oder einen Friseursalon. aber plötzlich ist kein Name unschuldig genug, an allen hängen Zipfel vermeintlicher Witzigkeit oder überbordender Anspielungen. verdammt schwer, da aus der Reihe zu tanzen. so kommt es zu den ganzen, uns eher belästigenden Wortwitzen im öffentlichen Raum wie „Haareszeiten“ oder „hairlich“ etc, Dokumente verunglückter Versuche, aus dieser fehlenden Unschuld der Sprache Kapital zu schlagen.
Sprachavantgarden
es war stets ein Anliegen nicht nur der Sprachavantgarde (da aber explizit-konzeptuell), aus diesen verklebten semantischen und gesellschaftlichen Zusammenhängen herauszutreten. im Gegensatz zu den allgefälligen Forderungen nach mitreißender Prosa und Verhandlung gesellschaftlich akuter Themen widersetzt sich, und nun kommen wir endlich zur Autorin des vorangestellten Gedichts, das dem Band “Mush“ entstammt, auch Sonja vom Brocke den Rufen nach Geschmeidigkeit. und tut dies, darf vermutet werden, um, in der Tradition der Sprachavantgarde und/oder der „Hermetik“ (ein Begriff, den man freilich mit spitzen Fingern anfassen sollte), die Wörter wieder überhaupt denk- und sinnfähig zu machen.
das führt auch bei ihr mitunter zu Experimenten, die auf manch LeserIn provozierend wirken können. die Aversion gegen vermeintlichen Unsinn begleitete nicht nur die ersten Auftritte der Dadaisten, sondern konnte sich bis heute halten, selbst wenn die zum inzwischen auch bürgerlich verträglichen, intellektuellen Quatsch geronnenen Varianten inzwischen in den literarischen Salons mit gebührender Ernsthaftigkeit nobilitiert werden.
allzu viel Unverständlichkeit aber soll eher nicht sein, irgendetwas wird man doch schon mit anfangen müssen, der Rest kommt in die zwar nicht mehr verdammte, manchmal noch bepreiste, aber doch auf ihr Nischendasein befristete Ecke (Ausnahmen wie Celan sind dabei meist extreme Sonderfälle, in denen sich gesellschaftlich notwendige Kanalisierungsprozesse sedimentieren). so ergeht es bisher auch weitestgehend Sonja vom Brocke: intern hoch gehandelt, nach außen eine eher überschaubare Resonanz.
dabei mag man zugestehen, dass mancher, der sich den Verbeulungen und Zurichtungen der Konvention entzieht, auch unansehnliche Verrenkungen darbietet. Sonja vom Brocke spielt aber genau mit dieser vermeintlichen „Unansehnlichkeit“.
ohne Botschaft?
gehen wir ein wenig literaturgeschichtlich zurück: bei Dichtern wie dem Wiener Ferdinand Schmatz war es schon zunehmend schwierig, noch Zusammenhänge über den Gestus „erzwungener“ Unkonventionalität hinaus herzustellen. der Lektüre drohte die Willkür: Gedicht und per Zufallsgenerator erzeugtes Produkt waren für Außenstehende kaum noch unterscheidbar. Stolterfoht lobte gar die vollkommen zufällige Dichtung einer Dichtungsmaschine eines Kunstprojekts vor Jahren, die wesentlich arbiträrer arbeitete als die heutige KI: sie repräsentiere das eigentliche Ideal seines Schreibens, das er nur nie erreicht habe.
nichtsdestotrotz muss daran erinnert werden, dass auch dieser vermeintliche Non-Sense der Avantgarde auf dem Anspruch beharrte, mehr als Strategien und Listen (im doppelten Sinn) zu produzieren und stets daran festhielt, dass Literatur sich nicht nur absondern könne, sondern auch mehr als neu zusammengewürfelte Wörterbücher absondere (und F.J.Czernin, als einer der bekanntesten „Avantgardisten“, grenzte literarische Texte gerade von dem berüchtigten „Telefonbuch“ in seinen texthermeneutischen Hinterfragungen explizit ab). ja, die adornitisch angehauchte gesellschaftliche Utopie schwang eigentlich immer irgendwo im Hintergrund mit, so kompromisslos die Resultate der Sprachexperimente für die breite Masse auch oft angelegt gewesen sein mögen.
dieses Thema verhandelt auch Sonja vom Broke, wenn es in ihrer Dichtung, ausnahmsweise relativ unverblümt, heißt: „Hier ist keine Botschaft zu erwarten.“ (18) selbst wenn dies ein lyrisches „Ich“(?) sagt, kann es doch kaum gelesen werden, ohne die durchschimmernde Programmatik der Autorin mitzuverstehen. an anderer Stelle fragt ein Text (selbst?)kritisch: „Sinn erzeugen durch Staffelung?“ (15). so schafft sie es auch tatsächlich immer wieder, Verse zu bauen, die, trotz des oben skizzierten fatalen Hang des Logos zu Bündnissen und semantischer Verbrämung noch des Diversesten, der voreiligen Einordnung und vor allem Verkitschung zu widerstehen wissen.
wenn es zum Beispiel in dem anzitierten Gedicht nach der „Staffelungsfrage“ direkt weitergeht: „Wie wächst das Nussfleisch“ – weiß der Leser nicht nur auf die Frage keine Antwort, sondern auch nicht weiter. ist’s Assoziation? tieferer Sinn? Spiel mit Kontingenz? oder eben der Versuch, den Sinn bewusst abreißen zu lassen? natürlich lässt sich auch hier in einer Mischung aus kulturellen Bezügen und Privatassoziationen etwas „basteln“. aber angesichts der Botschaft von der Botschaftsfreiheit doch ein zweifelhaftes Anliegen – oder? ja? hallo, wie geht’s denn so mit den Gedichten? muss. oder eben: Mush!
wie aber ist es zu lesen?
kein Wunder, dass selbst so ein erfahrener Granitmeißler wie der close-reading-king Christian Metz an die Grenzen seiner Auslegungskunst gerät, wenn er in der FAZ gesteht: „Wobei diese Komposition mitunter so diskrepantes, vielseitiges, vielschichtiges Material anhäuft, dass sie ins Unüberschaubare kippt.“
was aber dann Metz und auch der ebenfalls versierte Nico Bleutge assoziieren und auslegen, ist zwar klug gedacht und zielt auf die Beweglichkeit dieser Dichtung und ihrer permanenten Metamorphose-Latenz; mehr als einige Bruchstücke zu Miniaturen von Sinn zusammenzufügen, vermögen sie letztlich aber auch nicht bzw müsste man ja eher sagen: wenigstens das können sie sich nicht versagen. selbst bei dem sich doch meist äußerst konziliant äußernden Bleutge schimmert fast ein wenig Verzweiflung durch, wenn er konstatiert: „Es mag sein, dass die Magie bisweilen „fest unter dem Mistkäferpanzer“ klebt.“
die Hilfeschreie oder Flüche der der Vermittlung oder dem Gehalt noch Verfallenen müssen letztlich alle, und vorzüglich die diese Dichtung (Be)Preisenden, sich klandestin gebend, weitestgehend unbeantwortet lassen. sie ziehen sich auf allgemeine Ausführungen zurück, die letztlich darauf hinauslaufen, dass hier der Sinn selbst infrage gestellt oder flüssig werde, Konventionen aufgebrochen etc.
nur: was bedeutet all das für die konkrete Lektüreerfahrung? ich lese ja keine Proklamation und auch keinen sprachphilosophischen Text. wie soll ich also nun mit diesen Gedichten umgehen?
es scheint schwierig, sich dieser ungewöhnlicher Texterfahrung einfach mal hinzugeben. auch diese Rezension ist über ausschweifig grundsätzliche Fragen noch nicht weit hinausgekommen, anstatt nun endlich einmal die Gedichte selbst anzuvisieren. und das liegt nicht daran, dass bereits in den Überschriften prinzipiell unbeantwortbare Fragen lauern wie „Wenn ich die Nieswurz bin, wer ist dann der Pflücker?“) – in solchen Fragen kulminiert nur das – ja ists denn eins? – Verfahren? (o tausend versteckte Hinweise? z.B. S60: „Man nimmt mich vermutlich / als Ganzheit wahr?“)
„Hermetik“?
die Achterbahnfahrt der Sinnzusammenhänge, plötzlich aufploppenden Bilder und zerrissenen Zusammenhänge nachzuzeichnen ist wahrlich nicht einfach zu bewältigen. wobei bewältigen selbst wieder so eine problematische Metapher ist. denn Welt ist überraschend viel in den Gedichten der Brocke enthalten. und selten „klebt er fest, plättet sich“. das ist doch eigentlich sehr ermutigend! geht es nicht auch darum?
immer wieder „klappt“ auch unerwartet die Lektüre, klappt nach: hier liegt eine kleine Grelligkeit, dort ein verrückter Schnappschuß offen zutage, den man nur auflesen (nicht auslesen) muss und der sich sogar mit Erfahrung abgleichen lässt.
und doch wird man den Eindruck nicht los, dass auch diese Dichtung aus der Opposition zum Gängigen lebt. man dürfte vielleicht dann doch mit Hölderlin kritisch anmerken: wo aber ein Gott noch auch erscheint, da ist doch andere Klarheit.
an Brocke zeigt sich eine Crux „hermetischer“ Verfahren (wenn es denn welche sind): das Gedicht soll zwar nur aus sich selbst heraus verstanden werden, legt aber permanent Fährten, die nicht nur über es hinausweisen, sondern etwas anderes zu erzählen scheinen, das sich vielleicht entschlüsseln ließe. (deshalb, um dies kurz zu illustrieren, feierte z.B. ausgerechnet bei Celan die biographische Auslesung, freilich komplex verwoben, plötzlich wieder manch Urständ, – entgegen poststrukturalistischer Axiome – und wenn auch selten fröhlich.) die Crux daran ist, dass diese Fährten ja bewusst nur Fährten waren und solche Gedichte sich einer eindeutigen Auslesung verweigern wollen. genau deshalb ist „hermetisch“ so richtig wie irreführend: die Wörter werden nicht auf einen geheimen Sinn, sondern auf sich selbst zurückgeworfen, als wäre ihnen eine eigenartige Physis zueigen, als lebten sie plötzlich, der Verweisungen ledig (oder übervoll von diesen) ein poriges Eigenleben. zugleich gebläht und leer.
so schwankt man bei Brocke permanent zwischen einem mühsamen Erschließen von möglichen zweiten und dritten Ebenen und einfachem Spaß am Verkeilten. das kann schnell ermüden. und plötzlich gibt es da ein Mitgefühl mit womöglich jenen verprellten Lesern, die das Buch bald aus der Hand legen werden.
Intonationen
zugleich scheint den Band eine Art unterschwelliger Aggression zu durchziehen. als hätte die Autorin nicht nur keine Lust auf Konvention, sondern, naheliegend, auch nicht auf Dummheit. zu viel Erklärung ist für die, die alles serviert haben wollen. aber bitte, scheint der Text dann wieder sagen zu wollen: häppchenweise, das kann ich auch. und wirft einem die Brocken vor. anders als bei manch anderen Avantgardisten, bei denen entweder ein sprachspielerisch-philosophisch oder ein heiter-ironischer Akzent den Zusammenprall der Kombinationen begleitet, ist es hier ein psychologisch-gesellschaftlicher Komplex, der dabei eher gärt, als dass er abgehandelt würde. das ließe sich vermutlich sogar an vielen kleinen Quasi-Sentenzen des Buchs festmachen, zugleich säße man dann aber wohl wieder der Voreiligkeit auf. die Vorsicht bei der Auslegung betrifft dabei auch die Intonation: so sarkastisch sie hier und da auch klingen mag, indem sie Kontextfragmente einstreut, die wie Invektiven auftreten, so offen bleibt sie gegenüber möglichen Motivationen. immerhin gibt das den Gedichten die Aura einer Notwendigkeit mit, die Experimenten oft abgeht, selbst wenn unklar bleibt, ob die Gedichte nun psychologisch, gesellschaftskritisch oder philologisch motiviert sind.
Aufforderung zur Lektüre
auch diese Rezension bleibt letztlich eine Vorrede, verbleibt in Ahnungen. ob sie je geschrieben werden wird, ja geschrieben werden kann – unklar. so neigt der Non-Rezensent, summa summarum, wie schon andere RezensentInnen auch, dazu, die Staffel an den Leser, die Leserin weiterzugeben.
geplättet und platterweise schließt er mit der Anempfehlung, das Buch selbst in die Hand zu nehmen, auf dass auch im LeserInnenhirn die „Pulpo-Mama noch knarzt“ und sie und er sich „zum Vergnügen schnupft“.
(…)
Hendrik Jackson