Zu Gerhard Falkner: Schorfheide. Gedichte en plein air (Probekritik)

Zu seinem Gedichtband Schorfheide hat Gerhard Falkner selbst ein Nachwort verfasst und es im entschiedenen Gestus „Schlusswort“ genannt. Darin versucht er, sein Vorhaben mit einer theoretischen Erklärung zu legitimieren. In seinen Streifzügen durch die Schorfheide und angrenzende Landschaften sei es darum gegangen, die Natur als Zeichensystem aufzufassen, das nach poetischen Informationen abgeklopft werden kann. Ort und Gedicht sollen dieselbe sprachliche Umgebung teilen, mit dem Ziel, alte und ermüdete poetische Mittel wie Metaphern und Neologismen in ihren „postmodernen Updates“ zu verwenden und bei den „literarisch Aufgeschlossenen“ ein „Aufhorchen“ zu erreichen.

Es fällt schwer, dieses „Schlusswort“ nicht wie den Vertragstext einer Zusatzversicherung zu lesen, attestiert Falkner doch jedem, der mit seinen Gedichten nichts anfangen kann, eine mangelnde literarische Aufgeschlossenheit. Von einem Bedürfnis nach Sicherheit zeugt auch, dass die meisten seiner Gedichte noch einmal einzeln mit dem Wort „Schorfheide“ überschrieben sind, als liefe man sonst Gefahr, ihren Schauplatz zu vergessen. „Der Wald ist die erste Zeile/der Himmel seine Überschrift“, heißt es gleich zu Anfang. Die Verschränkung von Sprache und Ort wird also durch Rückgriff auf jene ermüdeten Mittel realisiert, die Falkner eigentlich „updaten“ wollte. Der sich in den Gedichten der Landschaft nähert, zerbricht nach und nach unter der Schwere der Aufgabe des „Abklopfens“ – beziehungsweise unter seinem diskursversponnenen geistigen Innenleben. Das Subjekt, das in der Schorfheide umherschlendert, verweist und zitiert: unter anderem Horaz, Novalis, van Gogh, Kafka und Wittgenstein. Jede Möglichkeit, die Umgebung einfach unvoreingenommen zu betrachten, scheint versperrt. Die Frösche am See müssen sich mit den Griechen messen, die sich zur „philosophischen Zeit“ im Mittelmeerraum aufhielten, und selbst der Mond wird nicht in Ruhe gelassen, sondern zum Klopstocklesen verdonnert, nachts. „Zwischen zwei benachbarten Gattern/existiert kein weiteres Gatter/lautet der Lehrsatz“, heißt es vorher, und so stehen allerhand Lehrsätze und Theoriefragmente in der Gegend herum und verhindern die Wahrnehmung all dessen, was man nicht sowieso schon erwartet hat. Was nicht in den Gedichten selbst genannt oder erklärt wird, verfrachtet Falkner, einschließlich einer „Kindheitsverwandtschaft“ zu Gerhard Richter, in den Anmerkungsapparat. Die „écriture en plein air“ scheint hier nichts weiter als eine anstrengende geistige Angelegenheit zu sein.

Was genau Falkner unter dem Begriff der „Postmoderne“ versteht, bleibt vage, immerhin verweist er mehrmals auf die von Lyotard „erfundene“ Formel des „postmodernen Wissens“. Dass es sich bei dieser Formel um eine Übersetzung handelt, scheint ihn ebenso wenig zu kümmern wie die Tatsache, dass der zugehörige Text vor inzwischen vierzig Jahren erstmals veröffentlicht wurde. Was ja nicht schlimm wäre, wenn Falkner ihn nicht als Grundlage für seine „Updates“ verkaufen würde. Die Existenz von zeitgenössischeren Diskursen scheint er gar nicht erst zu erwägen.

Wenn man polemisch veranlagt wäre, könnte man Falkner unterstellen, die Suche nach poetischen Informationen in der Landschaft sei nichts weiter als eine Methode, mit der er eine innere Ideenlosigkeit zu kaschieren sucht. Interessanter ist es vielleicht, den Gedichtband als ein System zu betrachten, in dessen Zentrum ein Subjekt steht, das die Symptome eines Lebens in der „postmodernen“ Gesellschaft (die hier arbeitshypothetisch einfach mal so bezeichnet wird) verdichtet. Der da suchend und abklopfend durch die Heide und durch die Gedichte wandelt, ringt um eben jene unmittelbare Welterfahrung, die er sich ständig verbaut. Er ermahnt sich selbst, die Sekunde nicht zu verpassen, die zur Anpassung der Erdrotation an die internationale Atomzeit zwischen zwei Sommertage geschoben wird, beklagt sich über das Nichtfinden der Socken am Morgen, ruft aus: „zu viel Entrücktheit!“ Als bräuchte es diese Entladungen, um endlich Platz zu schaffen zwischen dem ganzen Theoriegerümpel. Platz wofür? Hier könnten dann gute Gedichte kommen. Sie kommen zwar nicht, aber wenigstens lässt Falkner zwischendurch mal den Gedanken freien Lauf, assoziiert das Grün der Heide mit SPRITE und Brausepulver, erfreut sich an Binnenreimen wie dem von „bunten Tüchern und Stundenbüchern“ und verirrt sich im „Nickicht“, bzw. „Neben-Nicht“.

So wandern und wandern und wandern wir immer weiter/immer tiefer ins Ungestaltete der Sprache am See/ Als wir das andere Ufer erreichen, gelingen uns endlich/ Schritte durch einen fußnotenfreien Raum“, heißt es auf Seite 27, und dieses „endlich“ wirft die Frage nach einer Instanz in den Gedichten auf, die die Theorieüberladungen fortwährend mitreflektiert. Als könnte sich jederzeit herausstellen, dass alles nur ironisch gemeint ist. Deutlich wird jedenfalls, dass es sich bei den Streifzügen durch die Schorfheide um zeitlich begrenzte Ausflüge handelt. Der Regionalexpress nach Berlin Gesundbrunnen bleibt samt einer nicht allzu späten Abfahrtszeit sprachlich und räumlich präsent. Falkner endet mit einer Anspielung auf Brechts Radwechsel-Gedicht, in dem es ja auch um das Nichtankommen geht – allerdings nicht, ohne sich einen Kommentar zu Brechts Ignoranz in Bezug auf den Unterschied zwischen Tannen und Kiefern zu verkneifen. Aber vielleicht hat Falkner mit den „literarisch Aufgeschlossenen“ auch einfach alle gemeint, die bereit sind, seine Selbstvergewisserungsfloskeln wohlwollend zu überlesen.

(Regina Menke)