Clara Cosima Wolff winkt Monika Rinck zu aus der Gefährtin (Text zum Podcast)
Anfahrt
Schlage algige Autobahnkreuze auf. Steige ich ein, beginnt die Höllenfahrt in Spannung von Bewegung und Stillstand. Drei Grüße und zwei Löbe betiteln die ersten Gedichte, gespickt mit Listen beschleunigter Straßenprojekte in alphabetisch gereihten Bundesländern. Grüßen, loben, listen. Beweg ich mich durch Gedichtbeginne, finde ich:
Beweger wie Bewegliches: Wind, Laub, Luft, Adern, Lunge, Herz, Verkehr, See, Seele, Amöbe, Stimme, Gebärde, Fahrt, Schlag
gerichtete, rege Bewegungen wie: rütteln, rufen, über Stufen treten, in die Höhe steigen, hinfallen, aufstehen, kochen, unaufhaltsam hinabgehen
zähe, fast zurückgenommene Bewegung: quillen, kriechen, flüstern, dampfen, nicht mehr ausweichen können, und vor allem: der Müde
Der Müde klebt dazwischen, weder Bewegung noch Stillstand, hängt in der Schwebe, so eben noch am Leben. Ruhend. Wartend.
Wo? Was umgibt ihn? Seine Umgebung ist Starre. Unbewegter Start. Verneinte Bewegung von Laub, Wind. Angehaltene Natur. Parkdeck. Kunstharz. Wand. Ufer. Schlag schlägt nicht, Wind weht nicht, See steht, Verkehr ruht, gerufene Seele kommt nicht. Betonierte Stimmung, Hitze. Hitzestarre Bäume. Starren Leserin an. Hat die Natur jede Bewegung eingestellt, / während auf den Autobahnen Autos ihre Bahnen bahnen. [Ich grüße dich, Amöbe.]
Die beschleunigte Welt wirkt apokalyptisch angehalten, erstarrt. Darin lebt ein Müder, eine Stimme, die ihn ruft.
Denn der Müde bist du. [Ich grüße dich, Müder!] Bin ich? Fühle mich merkwürdig gemeint, ansprechende Erschöpfung, obwohl im Maskulinum. Ich steige also ein, kann Müde sein, werde beifahrend zur Hölle, Mitsitzerin. Sympathisiere mit dem Müden. Er spricht nicht, erwidert nichts, nimmt kaum teil am Geschwindigkeitstaumel, Autobahnwahn. Seine Erschöpfung als stiller Protest?
Einerseits die Autobahnausbauten der Bundesregierung, selbstfahrende Autos, Tempolimitscheitern, der Müde andererseits. Hinab geht es mit ihm. Werden wir wirklich mit dem Verbrenner in die Unterwelt fahren? [BESCHLEUNIGTE STRASSENPROJEKTE: BADEN-WÜRTTEMBERG]. Zur Hölle auf verbreiterter A8 fahren, mit dem ausgebrannten Müden? Verkehrsfluss als Styx, Ober- und Unterwelt trennend oder verbinded. Brodelnder Strom, Höllenverkehr, Ausfahrt Unterwelt. Nehm ich es auf mit der Höllenfahrt, schwitzt mir gleich der Sitz durch in Fahrschulflashbacks. Der Wahn der Straßen überträgt sich in Hitze der Gedichte, in Wiederholungen, Autobahnschleifen, Sekundenschlaf, Geisterfahrt. Gesteigerte Energie.
Bewegung, die nicht Leben, sondern Leere – d.i. leere Energie [ist]. [Trinke den Schweiß meiner Schläfen, o Müder]. Unbewegt bleibt die Umgebung, bleibt Beton: Die Immobilie bewegt sich nicht [Lob des Eigentums]. Wohlstand als Stillstand? Das immobil gewordene Eigentum. Das Auto als Selbst, wird selbstfahrend, Selbst wird überflüssig, Verkehr stockt. das kann ich alles sehr schnell mit der Sprache machen und jetzt stellen Sie sich vor, das nicht mit der Sprache, sondern mit der Straße zu machen [BESCHLEUNIGTE STRASSENPROJEKTE: WIR KOMMEN NACH BAYERN!]. Die Autorin beseitigt Engpässe, macht einer Wut Luft, die Motor der Texte sein könnte. Rinck klingt, witzt, blinzelt, spielt, bleibt dabei dringlich, schreibt sich selbst mit ein.
Erstes Kapitel bietet Kritik der Motorkraft, Verkehrspolitikkritik, Digitalisierungskritik, Anthropozänskritik, Klimakritik, Kapitalismuskritik, Nickerchen, geschickte Binnenreime, Klangreigen, Apostrophische Anrufungen, feine Witzelei, Sargkastische Grabbeigaben und Weiteres, Weiteres, heiter Gescheites, Beweglichkeit des Denkens, bewegt sein in Gefühlsregungen, performative Sprechakte, assoziative Sprünge: Schnaufi. Schnaufi [Ich grüße dich, Amöbe.]
Rasanter Bandanfang, rauschhaft, wird sanfter, die Bewegungen kommen zur Ruh, Gedichttitel wie: … die Müdigkeit bleibt, Intermezzo zur alsbaldigen Aufheiterung, Schlaflied und schließlich: Gegrüßet seist du, Stille
Still, still, still, immer stiller werden,
sich der Landschaft anverwandeln,
liegen und liegen bleiben im Sand,
so schließen sich die Höllenpforten vorerst, erlauben Rast, lassen Zärtlichkeit zu, sachte Regung:
Wind geht darüber. Berührung.
Streichle die kalten Algen.
Ausgleichsweise. Streicheln
die Algen dich dann zurück.
In folgenden Kapiteln lodert die Höllenfahrt wieder auf, bis dahin: Winke, winke! [Lob des Eigentums], eigentümlich vorbeigerast.
Clara Cosima Wolff
Dieser Text verdankt sich einer Kooperation mit Zæsur, dem neuen Poesiekritikformat, und LITRADIO. Dank an alle Beteiligten für die großzügige Unterstützung! Auf beiden Portalen ist ein Podcast mit Clara Cosima Wolff zu hören, in dem es um Monika Rinck und Höllefahrten und Honigbienen geht.