Gedanken anlässlich des Todes von Bert Papenfuß

– aus der Perspektive eines kookbook-Autors der ersten Stunde –

es gibt sicherlich, gerade jetzt, nachdem er gestorben ist, berechtigtere Perspektiven auf Bert Papenfuß als die, die ich jetzt vorstellen will (ein, wie ich finde, angemessener Nachruf zum Beispiel in der Berliner Zeitung). 

ich möchte dennoch zumindest einen kleinen Teil des Verlustes aufzeigen, die sein Tod auch für die nach Papenfuß gekommen Generation des Prenzlauer Bergs bedeutet und zugleich seine Literatur … ja was, rühmen? ja, auch rühmen. 

ich weiß, er dachte nicht in solchen Kategorien wie Größe oder Ruhm, eher in denen von Widerstand und regionalem Aktionsbündnis und wollte auch Schreiben um des Schreibens, um des Lebens-, Reflektierens- und der Lust willen und nicht für eine kategoriale Einordnung. und doch ist eine große Figur von uns gegangen. 

dabei steht einmal mehr in so arg grellem Kontrast, welchen Wert Bert Papenfuß‘ Werke innerhalb gewisser Kreise haben und wie wenig die sog. Öffentlichkeit davon Notiz nimmt. es ist ein weiteres Elend in dieser an Elend, Ausbeutung, Idiotie und Desinteresse so reichen Welt. er selbst hat den Wenigen die Stange gehalten, die abseits stehen, auf verlorenem Posten, die unterschlagen, unterdrückt oder nicht beachtet werden. auch gerade denen, die nicht bürgerlich geleitet die Poesie für sich „entdeckt“ hatten. auf seinen Lesungen fanden sich Leute zusammen, die sonst wohl nicht zusammengefunden hätten.

nun leben wir in einer Welt ohne Bert Papenfuß.

eine noch glattere, noch widerstandslosere, noch unpoetischere Welt. und Berlin ist noch ein bißchen öder geworden. als fiele damit eine Bastion gegen das Offizielle, gegen das Gestriegelte.

dabei zeigt er, dass man auch ohne den Rückhalt offizieller Verlautbarungen die nicht zurechtgestutzte Sprache leben kann: abseits zwar, aber nicht ohne Relevanz und Stärke, nicht ohne Kraft und widersinniges, eigensinniges Stemmen gegen das Unaufhaltsame. das Scheitern hatte er immer mit einkalkuliert, aber ein bißchen Würde zurückerobern, sich nicht korrumpieren lassen, das geht schon. wenn uns irgendetwas rettet, dann das Regionale, dachte ich manchmal. aber eben ein Regionales, das die größeren Zusammenhänge dazudenkt. unsentimental, aber solidarisch. historisch ohne Verbrämung und rein akademisches Interesse.

seine Weggefährten aus dem Osten haben dazu sicherlich viel zu sagen und nochmal anderes als „wir“, die wir dazukamen und lediglich andockten. und doch markiert sein Tod auch ein sich schon lange sich abgezeichnet habendes Ende des Prenzlauer Bergs als Ort der Literatur. dies lange Abwärts (so der Name einer der vielen von ihm herausgegeben Zeitschriften) dokumentierte er selbst ausführlich nochmal in der Einleitung zu der späten Herausgabe der gesammelten Ausgaben der Zeitschrift Tortour in dem Band „Zwischen Mitte und Spitze – Abriß des allerletzten Revolverblattes in Prenzlauer Berg“.

für uns war er zusammen mit Johannes Jansen der Wegbereiter dafür, dass so etwas wie kookbooks mit all seinen Folgen überhaupt erst möglich wurde. auf einer der ersten Lesungen, auf der wir mit Johannes Jannsen und Bert Papenfuß zusammenkamen, erschienen sie uns bereits ein bißchen wie Dinosaurier einer anderen Zeit. doch gerade Bert Papenfuß erfand sich immerzu neu und blieb sich dabei einmalig treu. so fanden auch kookbooks und Bert Papenfuß, parallel lebend, immer wieder zusammen. mal tauchte man im Burger auf, mal lud er einen von uns ein in das Brechthaus oder wir ihn zu einer Lesung in einem neu entdeckten Klub. 

als ich zusammen mit „lauter-niemand-spiritus rector“ (der Anfangs- und Blütejahre) Adrijana Bohocki noch einmal „unseren“ Lyrikort Prenzlauer Berg aufleben lassen wollte, mit der Reihe Parlandopark im legendären Bassy, war Bert Papenfuß dabei, obwohl wir den Anarchokapitalisten Stefan Blankertz einluden, der ihm sicherlich politisch zuwider war. es wurde ein heftiger, harter Schlagabtausch. dann ging es wieder um die Lyrik.

kookbooks bildete sich irgendwo im mythischen Schatten einer Zeit, die wir nur noch streifend erfasst hatten. vielleicht konnte die inzwischen schon als solche von Literaturwissenschaftlern erfasste kook-Generation schnell aus dem Schatten treten. dass einige ihrer dabei so reüssierten und, wie vielleicht mancher aus der Räuberbande von Papenfuß‘ Rumbalotte sagen würde: sich korrumpieren ließen vom Betrieb, ließ Papenfuß doch recht kalt, denn er konnte diesen vermeintlichen Erfolg ganz gut einschätzen: Lyrik bleibt Nische. ihm schien, denke ich zumindest, wichtiger, dass eine regionale Kontinuität entstand – ein Widerstand, selbst wenn der sich nicht so offen politisch gab. aber der doch nichtsdestotrotz versuchte, im Hauen und Stechen der Welt ein Refugium für Anderes zu ermöglichen. darin war die Kookgeneration seinem Anliegen durchaus nahe. 

nach und nach zogen alle weg, übrig geblieben sind inzwischen wohl nur noch Asmus Trautsch, Marion Poschmann, Ron Winkler und einige mehr, also Dichter, die zwar unterschiedlich eng mit kook verbunden sind, aber doch letztlich bei anderen Verlagen und Bewegungen beheimatet waren. 

Steffen Popp, Uljana Wolf, Daniel Falb, ich, Johannes Jansen und Daniela Seel selbst, all die aus der Urriege der kookbooksgründung, von ihnen ist so weit ich weiß eigentlich niemand mehr im Prenzlauer Berg und wir sind nicht einmal mehr auf der sich seit Jahren in einem etwas verwahrlosten Zustand vegetierenden Webseite des Verlags. das sind trotzdem nicht Zeichen eines Niedergangs, sondern einer Metamorphose. die genannten AutorInnen haben längst jenseits der Events und Treffen für sich, für anderes weitergemacht.

mit dem Standort Prenzlauer Berg geht allerdings ein Teil des Konzepts „Poesie als Lebensform“, das kook ausgerufen hatte, verloren oder findet seinen geschichtlich bestimmten Abschluss. natürlich haben sich die AutorInnen dieser Generation lange davor gesträubt, das wirklich einzugestehen. nun: es gibt keine „Poesie als Lebensform“ mehr, nur noch Poesie als Betriebsform oder als Rückzug: jede/r mutierte zurück zum Einzeller, der hofft, sein nächstes Buch in dem hoffentlich dann noch bestehenden Verlag unterbringen zu können. 

auch Bert Papenfuß hatte sich zuletzt aufs Land zurückgezogen, seine berühmte Rumbalotte schon lang abgegeben. sein Tod markiert jetzt das Ende des Literaturorts Prenzlauer Berg wie wir ihn zuletzt 20, 30, 40 Jahre kannten und zwingt auch die kook-generation, sich eingegestehen zu müssen, dass sie sich von ihren Ursprüngen entfernt haben. das ist nur natürlich und nennt sich Entwicklung. 

bei Bert Papenfuß hatte es manchmal den Eindruck, er würde sich auch einer solchen Entwicklung geradezu anachronistisch entgegenstemmen. vor allem wollte er sich einer kalten Abwicklung entgegenstellen. er hatte die Größe und die Sprachkraft, das, natürlich gestützt durch Allianzen, durch eine Bar und einen kleinen Kreis von unbändigen und verrückten und versoffenen Kompagnons, aber doch irgendwo auch im Alleingang, noch über 20 Jahre zu schaffen. 

alles hat seine Zeit: dass wir als Dichter nun wieder auf uns selbst zurückgeworfen sind – das ist dann eben so. die regionale Bindung verschwindet, der Geist lebt im Winkel weiter und verknüpft sich mit Neuem, nicht weniger Widerständigem. und es gibt ja neue Generation und eine Verstetigung von manch Angefangenem. so zum Beispiel im Haus für Poesie, das lange Bert Papenfuß nur zähneknirschend einlud, nun aber von einer kook-Autorin der zweiten Welle geleitet wird und versucht zu zeigen, dass Literatur im Prenzlauer Berg auch staatlich gefördert lebendig sein und ausstrahlen kann. 

Bert Papenfuß aber ist, wie der Engeler-Verlag schrieb, nun ewig der Kapitän der Rumbalotte, nicht mehr Continua, aber to be continued.   

denn literarisch hinterlässt er enorm viel, das, wie sich viele eingestehen werden müssen, erst noch zu entdecken ist. seine Sprachlust und Sprachschaffung knüpft an die Großen wie Chlebnikow an. seine Einbindung historischer Recherchen zu regionalen übergangenen oder ausgeblendeten Aufständen sind legendär und sprachlich fulminant. seine mal trutzigen, mal flapsigen, immer wieder lapidaren oder rotzigen Intonationen hat sich die Berliner derbe Direktheit nicht nur angeeignet, sondern auch gewusst, was hinter der Fassade steckt: welche Kämpfe und Selbstbehauptungen. 

seine politischen LeserInnen hat er mit den Sprachgirlanden manchmal überfordert, das war ihm sogar unangenehm, doch konnte er nicht aus seiner Haut, die äußerlich die des Lederrockers war (natürlich gibt es noch die ganze Einbindung in gewisse Musikmilieus etc… doch davon weiß ich zu wenig, davon werden hoffentlich andere berichten). jedes seiner Bücher ist ein turbulentes Sprachrad, das sich weiterdreht und wirbelt. wenn er zunehmend politisch wurde, dann weil er die Bedrohung dieser regionalen Milieus und Lebensformen erkannte und genau verstand: wo es so etwas nicht gibt, entsteht nur noch Einzelgängerliteratur, die letztlich, ob sie will oder nicht, eine entsolidarisierte Gesellschaft affirmiert. 

es wird oft gesagt, poetische Sprache sei bereits Widerstand. aber das ist eine eher bürgerliche, selbstrechtfertigende Lesart. Papenfuß hat den Widerstand ziemlich lokalisierbar und eindeutig (zu eindeutig für den Literaturbetrieb) beschworen, weil er um die Marginalisierung und Abwertung wusste, die eine solche Sprache erfahren würde jenseits solidarischer oder kämpferischer Bündnisse vor Ort, die nicht einfach von Netzwerken ersetzt werden können.

damit müssen wir uns nun herumschlagen, ohne den stärksten und wichtigsten Mitstreiter in diesem für die Lyrik aussichtslosen, aber unabdingbaren Kampf. und seine Werke und Bücher? sie werden jetzt umso wichtiger.

Hendrik Jackson