das Stammeln des Nobelpreisträgers

T und H – wie gegensätzlich! man muss nur einmal kurz hineinschauen in das Werk Olga T.s und den Vergleich ziehen und wird sofort vermuten dürfen: die sagenumwobene Invektive „Beschreibungsimpotenz“ H.s galt womöglich – unbewusst – zu allererst ihm selbst. jedenfalls, wenn man Beschreibung nicht rein poetisch, sondern auch in Anlehnung an die, von denen er zu kommen vorgibt: Tolstoj, Tschechow, Cervantes, als geschichtenerzählend begreift. eine Analyse (der Zeit, von  Erscheinungen etc) nicht auf sich selbst zu applizieren oder auf seine Genese im Analysierenden hin zu befragen, gehört zu den Vorzügen so vieler Menschen. so wird gern an anderen pauschalisiert und somit unterschiedslos projiziert, was innerstes Ungenügen ist. so auch hier? damals? was?

zuerst einmal: Erzählungsimpotenz muss kein Makel sein: der Glaube, erzählen zu können und zu müssen, soll ja auch trügerisch sein, kann affirmative Unreflektiertheit begünstigen. gerade die zweifelnden, suchenden, verunsichernden Passagen H’s schienen mir immer die schönsten, da wo Beschreibungsgewissheit sich ankündigte, rutschte es, oder? bekam etwas Zusammengekleistertes in den kapriziösen Wortverbindungen, etwas Affektiertes. auch wenn in den permanenten Substantivierungen H‘s immer noch ein Rest der Erzählimpotenz als Abstraktionszwang von aller unmittelbaren Sinnlichkeit überlebte, so doch nicht immer glücklich oder gar „geglückt“. aber (und was für ein aber!) – auf dem Grund von H.s Anschauung lag immer eine genuin poetische Empfindung, die er ein Leben lang versucht hat, in bleibende Erzählkunst, in etwas von Halt und Gestalt umzumünzen. sie blieb großartig, wo sie eher schweifte und impressionistisch sich erhielt, in einer Art flackerndem Sehen und reflexivem Rumoren. 

er kämpfte dennoch um den erzählerischen Wurf. vielleicht ist es das, was den Hass auf H. erklären kann. nachdem der Nachweis politischer Unzurechnungsfähigkeit im Gewirr sich widersprechender Aussagen und zu Tage geförderter poetischer Schwebestrategien stecken blieb, die Vorgeschichte verstörende politische Uneindeutigkeit nochmal zu Tage brachte, soll es nun das Ästhetische richten: Handke soll, je nach Stoßrichtung, ein Schwätzer oder gar ein verkappter Identitätsstifter für elitäre verschworene Gruppen sein. und wie auch bei den politischen Vorwürfen, kommt dieser Anwurf nicht von ungefähr und geht doch haarscharf an der Sache vorbei.
denn die Poesie seiner Erzählungen speist sich zwar tatsächlich auch aus dem Gestus. doch ist dies philosophische Fragen, Stocken womöglich eine einzigartige Zumutung dem Leser, den Leserinnen in ihrem abwechselnd wunderschönen, dann wieder holprigen und egozentrisch enervierenden Nachhaken. solch eine Mischung, die doch mit großem Anspruch daherkommt, evoziert zwangsläufig Abwehrreaktionen, Kämpfe.

nun, da er auf der Bühne der großtmöglichsten Anerkennung dieses Kampfes also doch wohl die Zuerteilung des Sieges anzunehmen sich anschickte – und dies nicht nur, wie in den Erzählungen, nachfragend, stockend, sondern zu meiner Überraschung regelrecht stammelnd tat, abbrechend, sich versprechend, unsicher und zugleich imperativ-fordernd oder bittend, schien es mir plötzlich, als sei ihm selbst in diesem Moment am klarsten, dass sein Sieg ein Pyrrhussieg war. 

was er inhaltlich vortrug,  den Bogen vom Pilzsucher zu den „Dörfern“ schlagend, war, um es ironisch mit Gombrowicz zu sagen: „Bauernbengel“-Sentimentalität, Ursprungssehnsucht, Stifteranleihen, mit Reggae und Cohen angereichert. doch gerade diese Popkulturreferenzen lassen diese Apologie des Gehens und Sehens merkwürdig alt aussehen. wird darin nicht tatsächlich sichtbar, dass er seinem existentiellen, experimentellen und vehementen Aufbruch, wie viele 68-er, im Spätwerk nur ein eher rückgewandtes Revival der Unmittelbarkeit und des Rückzugs hat folgen lassen? Pilze sammeln gehen? Nudelnester ausheben in den rückständigen Provinzen Europas, dunkelbraune Honigkörbe ausfindig machen, wenn die Pariser Gourmetexkursionen an ein Ende gekommen sind? das kann doch nur ein Anfang sein, ein erstes Rückbesinnen, ein Rückhalt aber noch kein Ausschreiten. 

aber weiß er das nicht selbst? er ist ja ein großer Trotziger. sein Körper, sein Geist, spüre ich: spürt er im Moment des Triumphes, dass der Kampf vergeblich war? vielleicht war es ausgerechnet Olga T., die ihn so hat stocken und stammeln lassen, indem sie mit ein paar Nebensätzen seinen ganzen Ich-Ansatz beiseite schob, ohne ihn zu nennen? vielleicht aber hätte es dieser impliziten Kritik T.s nicht einmal bedurft. H. wäre doch der erste gewesen, der seiner Adelung widersprochen hätte, wenn nicht bereits so viel Kritik geäußert worden wäre, die seinen Widerspruch reizt.
H.s Lebenslauf kann nun zugleich als abgeschlossen wie auch als gescheitert gelten. vielleicht redete deshalb dieser empfindsame, sich mit sich streitende Geist plötzlich, als wäre es sein erster Auftritt. wie wieder bei Null angekommen, Kreisbewegung. und auch das beeilt man sich im vorzuwerfen („Recycling“), ohne einmal kurz innezuhalten. jeder Dichter wird doch immer wieder von dieser Null eingeholt, kann von ihr eingeholt werden in jedem Moment. sagte Gilles Deleuze nicht, er würde jedes Buch als absolut Unwissender beginnen?

oder war alles ganz anders? was genau hatte T. denn gesagt? T.s Rede, die in so großem Gegensatz zu H.s Rede steht, ruft ja vieles auf: wir leben im Serienzeitalter der ausbleibenden Katharsis, wir leben in der Welt universalen Wissens, aber in giftige Bubbles zerstreut, der Ich-Erzähler hat ausgedient, Literatur ist non-fiction, aber nicht faktisch, obwohl das Faktische eine neue Kraft sein könnte. was verbindet alle diese gelehrsamen, aber etwas arg collagierten Thesen? ist das die tatsächliche, potente Zukunft der Literatur? zumindest die erzählerisch barocke, vielschichtige – Reisen durch viele Länder und Religionen. in der Rede aber fanden die vielen Teile nicht recht zusammen: als wären das selbst kleine bubbles, die auf die nächste Serienfolge warten, auf die Auflösung. die nicht kommt. musste sich Handke, dessen Text ja längst geschrieben war, nicht vorkommen wie der letzte Prophet, der letzte Sänger? der Rufer in der Wüste, der den Menschen noch einmal in sich zu sich selbst hinführt? und vor Aufregung und kathartischer Mission verschlug es ihm selbst die Sprache? und ist so eine fast priesterliche Auffassung der Literatur nun antiquiert – oder unsere letzte Zuflucht?

hier nun ein vokativer unsinniger Imperativ als Antwort auf den seinigen: komm zu uns, Peter, komm zur Poesie. hier braucht es keine Geschichten und schon gar keine politischen Meinungen. hier ist alles non-fiction-fiction und zugleich immer schon widerständig, stets anarchisch oder anarchistisch, ganz nach Temperament. hier ist ewiger Aufruhr und doch jahrtausendealte unauslöschliche Tradition und Verlass: auf die Poesie ist Verlass, weil sie im Abseits, auf verlorenem Posten steht. und kein ich nirgends. hier ist alles Sprache und Sprache ist nicht alles. dachte ich einen kurzen Moment, bevor mir diese Gedanken zu Sätzen geronnen und ich mich erinnerte, wie viele Dichter sich auf und in der Poesie unbotmäßig ausruhen. dass auch sie zu oft ein Festivalgewerbe ist. und dass wir das Priesterliche nicht brauchen, wo wir doch den letzten Rest von unheiliger Heiligkeit leben, oder besser: seiner Spur folgen.
dem folgt Gesang. gesprochen ad infinitum

Hendrik Jackson