Ernst Jünger revisited

Erinnerung an die Literatur von Ernst Jünger sähe bei mir ungefähr so aus: In meiner Jugend versuchte mein Bruder, der schon bald ein guter Kenner sämtlicher Werke von Ernst Jünger wurde, mir diesen nahe zu bringen. So bilden sich Oppositionen heraus. Mir stieß das Preziöse von Jüngers Stil auf. Wenn mein Bruder mit einem Leuchten in den Augen von Jüngers vielfachen Verletzungen im ersten Weltkrieg erzählte, ließ mich das kalt. Frühe Lektüren bilden sich an Biographien und Sympathien entlang aus. Das war für meinen Eindruck von Jünger eher ungünstig, zumal ich mich damals in linksradikalen Kreisen herumtrieb. Schon bald las ich die schonungslose Analyse Jüngers als Stilisten inklusive frei Haus geliefertem Totalverdikt von Karlheinz Deschner. Damit galt Jünger für mich auch als Schriftsteller allenfalls als zweitklassig. Dennoch ließ ich mich zur Lektüre bewegen, las die Marmorklippen und das abenteuerliche Herz, in dem ich doch einiges Interessantes fand. Jünger als Typ und Stilist faszinierten mich weiterhin nicht, einiges stieß mich ab. Aber es gab doch gute Beobachtungen und eine Respekt abverlangende Haltung, die in einem Bild gipfelt, das für mich, meiner Abneigung zum Trotz, ikonisch wurde: Jünger als letzter Träger des Kriegsordens „Pour le Mérite“ (alle anderen waren inzwischen gestorben) an einem großen gedeckten Tisch sitzend, ganz wie in „Dinner-for-one“. Ein Rittersaal und er mit schlohweißem, vollem Haar, gesunden Zähnen, ohne Sehhilfe, aufrecht in Offiziershaltung, links ein Glas Sekt, rechts eine Zigarette haltend. Es fiel schwer, das nicht irgendwie zu bewundern. Um es wie Jünger zu sagen: Hier deutet sich etwas an, das über ihn als Mensch und Schriftsteller hinausgeht. 

Und noch etwas anderes interessierte mich an Jünger. Er bildet ein Verbindungsglied zu der Generation meiner Großtanten und Großonkels. Da diese in meinem Fall von Anfang an als Engländer nicht im Verdacht der Naziverfehlungen standen, konnte ich etwas unbefangener auf dieses konservative Milieu zurückschauen. Dennoch gab es da für mich viele befremdliche Momente, etwas, das ich ablehnte. Aber doch auch eine erstaunliche Stabilität und ein – aus heutiger Sicht noch unverständlicheres – Urvertrauen in die Autoritäten. Einem ähnlichen Milieu war Ernst Jünger entwachsen. 

So ein biographischer Zugang mag zunächst helfen, einen Autor identifizierend (oder abwehrend) so zu lesen, dass man versteht, was an ihm haftet als zeitgeschichtliche und persönliche Prägung und was sich in ihm entwickelt hat, wohin er sich befreit hat und wohin er vorgedrungen ist. Zumal ein subjektiver Zugang gerade bei Jünger oft symptomatisch ist. Diese Skizze kann uns aber auch retrospektiv aufzeigen, wie sehr man in Abwehrhaltungen befangen ist.
Biographische Zugänge sind insgesamt nämlich unzureichend, sie grundieren die Lesarten der leidenschaftlichen AnhängerInnen und GegnerInnen von Dichtern, richten sich dabei zu sehr an der Person aus und sind auch in der öffentlichen Wahrnehmung oft noch vorherrschend. 

Zeit also, sich davon zu lösen, Jünger noch einmal genauer zu lesen, von den Stahlgewittern über den Arbeiter bis hin zum abenteuerlichen Herz und den Annäherungen, aber mit einem eindeutigen Schwerpunkt auf dem späteren Werk, vor allem dem Buch Der Waldgang.
Dazu möchte ich ausgerechnet bei dem Bild anfangen, das ihm wie kein anderes negativ nachhing. Ich meine die stets inkriminierte Eintragung in sein Tagebuch während der Zeit der Besatzung Frankreichs:

„27. Mai 1944. Alarme, Überfliegungen. Vom hohen Dache des Raphael sah ich zweimal in Richtung von St. Germain gewaltige Sprengwolken aufsteigen. (…) Beim zweiten Mal, bei Sonnenuntergang, hielt ich ein Glas Burgunder, in dem Erdbeeren schwammen, in der Hand. Die Stadt mit ihren roten Türmen und Kuppeln lag in gewaltiger Schönheit, gleich einem Blütenkelche, der zu tödlicher Befruchtung überflogen wird.“

Diese Betrachtung polarisierte, doch man sollte die kühl lächelnden Anhänger Jüngers hier ebenso wie die empörten Moralisten ein Stück weit ausblenden. Ich habe es von Anfang an nicht als „zynisch“ empfunden. Es ruht sich nicht rücksichtlos auf fremdem Leiden aus, wie es oft gelesen wurde, sondern entwirft für mich ein doppeltes Bild, dessen Ambivalenz man aushalten sollte. Auch hier deutet sich etwas an. Ich lese es auch nicht als Versuch, aus einem schrecklichen Ereignis ästhetisches Kapital zu schlagen durch Umcodierung, wie es Stockhausen etwas plump nach 9/11 machte, indem er den terroristischen Akt zu einem Kunstwerk erklärte. Sicherlich erwächst diese sich anteilslos gebende Beobachtung bei Jünger einer Haltung, die auf Unsterblichkeit aus ist, auf Ästhetisierung. Aber es scheint fahrlässig, diese Stelle zu lesen, ohne auf den von Jünger sehr geschätzten Autor Walter Serner und ohne auf ein Verständnis der Epoche zurückzugreifen, die als nihilistisch bezeichnet werden könnte; ohne das moderne Dasein zu berücksichtigen, das sich, in Anlehnung an Sloterdijk formuliert, in grundzynische Entscheidungszwänge geworfen sieht. In so einer zynisch-nihilistischen Zeit wird man den Versuch einer ästhetischen Spurensuche vielleicht anders bewerten. Die dafür nötige Distanz wandelt oft auf einem schmalen Grat zwischen Gleichgültigkeit und Unerschrockenheit, zielt aber auf kynischen, nicht zynischen Gleichmut. 

Da uns in diesen Tagen sowohl der Krieg, als auch totalitäre Tendenzen der Überwachung und Uniformierung, die selbst noch in den Demokratien ihren unübersehbaren Abdruck hinterlassen (wenn auch unter dem Banner des freiwilligen Zwangs), nahe rücken, erhält Jünger eine geradezu brennende Aktualität. Es finden sich zahlreiche Analysen, die auch heute noch gelten, einige seien kursorisch aus dem Waldgang herausgelesen:

„Die Furcht gehört zu den Symptomen unserer Zeit (…) Tatsächlich hängen wachsender Automatismus und Furcht ganz eng zusammen, und zwar insofern, als der Mensch zugunsten technischer Erleichterungen sich in der Entscheidung beschränkt.“ (S. 30 der aktuellen Ausgabe bei Klett-Cotta)
„Betrachten wir etwa die Freiheiten und Rechte des Einzelnen in ihrem Verhältnis zur Autorität. Sie werden durch die Verfassung bestimmt. Freilich wird man immer wieder und leider wohl auch noch für längere Zeit mit der Verletzung dieser Rechte rechnen müssen, sei es durch den Staat, sei es durch eine Partei, die sich des Staates bemächtigt, sei es durch einen fremden Eindringling oder durch kombinierte Zugriffe. Man kann wohl sagen, daß sich die Massen, wenigstens bei uns zulande, in einem Zustand befinden, in dem sie Verfassungsverletzungen kaum noch wahrnehmen.“ (S.71)
„Wenn alle Institutionen zweifelhaft oder sogar anrüchig werden und man selbst in den Kirchen nicht etwa für die Verfolgten, sondern für die Verfolger öffentlich beten hört, dann geht die sittliche Verantwortung auf den Einzelnen über oder, besser gesagt, auf den noch ungebrochenen Einzelnen. (S.81)

Es ist hier nicht der Raum, diese streitbaren Thesen im Einzelnen zu prüfen. Auch ist es nicht so, dass die Revision seiner Schriften alles revidieren würde. Das Adornosche Verdikt vom Kitschschriftsteller bleibt verständlich, auch bleibt die Fragwürdigkeit der Verarbeitung der Kriegserlebnisse präsent. Gerade bezüglich seiner frühen Werke kann man sicherlich nicht vor Theweleit zurückgehen, der in einer großartigen und berühmten Analyse des soldatischen Typus sich besonders auf Jüngers Stahlgewitter bezog. Von diesen Analysen her lassen sich rechte und kriegerische Spuren bis ins Spätwerk Jüngers zeichnen. Und doch erscheint es mir als Zivilisten zunehmend schwierig, hier ein klares Urteil zu fällen. Sicherlich, auch ein Deschner war Soldat im zweiten Weltkrieg. Natürlich gibt es andere Auswege aus dem Schrecken, als den soldatischen Typus zu verherrlichen und dann noch auf eigenwillige Weise in das zivile Leben hinein zu verlängern. Aber ich mag nicht urteilen über einen, der nicht nur in frühen Jahren alle seine Freunde im Kampf verloren hat, sondern auch den nihilistischen Charakter der Epoche sehr gut verstanden hatte, dem im Grunde permanent alles genommen wurde, woran er glaubte, worauf er bauen wollte.

Vieles befremdet natürlich auch heute. So macht es von außen nicht den Anschein, als ob der Verlust seines Sohnes, der mit 18 Jahren im zweiten Weltkrieg fiel, irgendeinen Bruch im Leben von Jünger hinterlassen hätte. Aus Sicht eines Vaters für mich eine unvorstellbar penetrante „Gesundheit“, die sich hier zeigt (aber auch das sei ohne Urteil gesprochen). Und ich finde in den Lektüren auch zarte Stellen und feine Beobachtungen, wenn sie auch manchmal etwas ungelenk sich artikulieren oder hinter einer kühlen Beobachtung verstecken. Mehr noch: Zuweilen bin ich erfreulich erstaunt, wie da jemand aus dem Abgrund heraus noch so viel Zuversicht entwickeln, so viel Frieden mit sich machen kann, dass jemand, der so viel Niedertracht gesehen hat, es vermag, an einer besseren Gemeinschaft, gegen die Mehrheit, festzuhalten. Gerade in den Stellen, die eher sachlich beschreiben und versuchen, Verbindungslinien aufzuzeigen zwischen den Dingen, gelingt es ihm manchmal, versöhnliche Töne anklingen zu lassen, die nicht allein subjektiver Verbrämung entspringen. In diesen Momenten ist Jünger einer von uns. Und von hier strahlt alles aus. 

„Ein Wunder muß geschehen, wenn man solchen Wirbeln entkommen soll. Das Wunder hat sich unzählige Mal vollzogen, und zwar dadurch, daß inmitten der unbelebten Ziffern der Mensch erschien und Hilfe spendete. Das galt bis in die Gefängnisse, ja gerade dort. In jeder Lage und jedem gegenüber kann so der Einzelne zum Nächsten werden — darin verrät sich sein unmittelbarer, sein fürstlicher Zug.“ (S.81)

Besonders seine bereits viel zitierte Schrift „Der Waldgang“ ist, bis auf einige Stellen am Ende, die unangenehm abfallen und sogar dem, was er zuvor schrieb, nachgerade widersprechen, eine aufbauende Vision, erst Recht für alle, die mit den paternalistischen und im negativen Sinn nivellierenden Tendenzen der Zeit hadern. Ja, es ist ein Elitarismus, der sich in diesem Essay ausdrückt, aber einer mit egalitärem Zugang. Niemand wird ausgeschlossen, im Gegenteil: wer hier eintritt, darf endlich alle Konformität fahren lassen und er selbst werden (ja: „er“, ich lasse das so stehen, mit dem Zweifel, ob man das Maskulin bei Jünger generisch denken kann). 

Dass Jünger mit rechtem nationalen (vor allem völkischen) Denken, entgegen einiger seiner eigenen „atavistischen“ Passagen, nichts zu tun hat, steht für mich außer Frage. Ja, wie der Jünger aus dem Waldgang zum Heros der Rechten werden konnte, ist sogar ein Rätsel. Es gibt dort natürlich Stellen, die offen lassen, welcher Organisation die „Waldgänger“ zuneigen würden, aber er bleibt doch als Figur autark-abstinent gedacht gegenüber allem National-Staatlichen (und überhaupt aller konfessionell bindenden Organisation). Fürsprecher wie Bothos Strauß, von Ressentiment getrieben und einer Parteilichkeit, dessen Absenz sie bei Jünger gerade zurecht so loben, führen in die Irre.

Überhaupt, nochmal klar gesagt: Es geht ein wenig darum, in wessen Anwesenheit ich steige (frei nach einem Aperçu aus Musils Drama „Die Schwärmer“). Das gilt umso mehr für Bücher. Deshalb interessieren mich an ihnen die inspirierenden Stellen. Sind seine Anarchenpositionen nur Camouflage für das alte Nationaldenken? Nein, man camoufliert nicht (oder nur halbherzig) das, was in die Zukunft weist. Umso mehr erscheint mir im Gegenteil das aus der Tradition Mitgeschleppte eher halbherzig bei Jünger und letzten Endes vernachlässigbar. Man sollte den Autor aus der Zukunft lesen, nicht aus der Vergangenheit. 

Auch Libertäre können ihn nicht für sich reklamieren (jedenfalls nicht, ohne einige ihrer verengenden Egoismen preiszugeben). Dafür ist Jünger wiederum zu träumerisch, stellenweise zu ätherisch – und zu verwoben mit Tradition, seinem Milieu, der Idee geistiger Verbrüderung. Dafür gehen seine Anliegen mit fortschreitendem Alter auch zu sehr über den Einzelnen hinaus – und zwar nicht auf Nationales, sondern Planetarisches. Man hat darauf hingewiesen, dass man ihn sogar als Vorläufer der Umweltbewegung lesen kann. Seine Verteidigung des Individuums angesichts bedrohlicher staatlicher Repression ist nicht entsolidarisierend. Seine Gedanken dazu im Waldgang stehen dem Konzept des Partisanen nahe. 

Er ist außerdem einer der wenigen Schriftsteller in einem Zeitalter der total gewordenen Kritik an allem, der synthetisch denkt, dessen Denken sich geradezu der Tradition Goethes und seiner Naturauffassung verpflichtet fühlt. Sein Telos ist nicht die zerlegende Analyse, sondern die Verknüpfung, die Aufdeckung geheimer Allianzen. In diesem Sinne ist sein Denken tatsächlich „unkritisch“, nicht weil es nicht problematisieren könnte, sondern weil es eine tiefere Einheit aller Wesen mit allem ersehnt. Das geht natürlich über jede Staatsgrenzen hinaus. Dabei sucht er auch esoterische oder magische Anleihen. Sein Reden vom „Ungesonderten“ (vor allem in den Annäherungen) mag dabei etwas verschwiemelt daherkommen, aber in der entzauberten Welt sind solche Versuche, die Reste aufzulesen und zu schauen, was verloren gegangen ist, was vielleicht wieder auffindbar ist, interessant, sofern sie eine gewisse Klarsicht nicht vermissen lassen.  

Da mag der Kitsch lauern, den Adorno gehasst und gefürchtet hat, wohl auch, weil es hier Überlappungen mit dem Pathos der Nazis geben mag. Solche ästhetischen Interferenzen finden sich allerdings auch bei vielen Werken aus der Zeit, besonders prominent bei Thomas Manns Doktor Faustus. Es kommt hier auf die Akzentuierungen, die Abgrenzungen und Absonderungen an, die Kontexte an. Und niemand aus dem konservativen Spektrum weiß eben so gut wie Jünger, gewisse schwärmerische Impulse aus ihrer traditionellen Verflechtung zu lösen und wieder an ein befreites Subjekt zu binden. Auch davon handelt der Waldgang. Er zielt weder auf nationale Befreiungskämpfe, noch die Absonderung des kauzigen Egoisten, sondern erinnert an einen grundsätzlicheren Widerstand, der poetische Empfindsamkeit verteidigt, der, was zukünftige Generationen angeht, Welterfahrung überhaupt erst jenseits der Konditionierungen und Vorschriften und Inanspruchnahmen möglich machen soll.

Brennpunkt in diesem Amalgam von Abgrenzungen ist der Begriff der désinvolture. Stefan Blankertz legt in einem bemerkenswerten Buch zu Jünger (dessen Grundthese auch für die, die seine Arabesken nicht nachvollziehen mögen, überzeugend sein könnte: „Von der Sinnlosigkeit des Kriegs“, edition g217) dar, dass dieser zwei Verständnisse umfasst, die nicht unbedingt miteinander kompatibel sind. Zum einen eine »nietzeanische« Unschuld des unbekümmerten Zugriffs, der Macht, zum anderen eine Weise des Nichtbeteiligtseins, eine stoische reservatio mentalis in allen Situationen. Jünger changiert hier nicht zufällig in der Auslegung seiner Begrifflichkeit. Denn dass diese Unschuld der Macht problematisch geworden ist, versteht er sehr gut. Und doch weiß er als Dichter um die Kraft der Unschuld, ohne die keine Poesie zu denken ist. Dass sie in realen Verhältnissen nur bewahren kann, wer rücksichtslos ist und sie damit auf andere Weise verrät, ist gerade die Crux dieser. Die Antwort darauf mag zunächst eine désinvolture sein, wie sie die deutschen Leser, die kein französisch sprechen (und Jünger konnte perfekt französisch), verstünden, nämlich als Nichtinvolviertheit. Doch schon der Typus des Anarchen im Waldgang will mehr. Jünger spielt bewusst mit diesem falschen Verstehen. Das geheime Ziel dieser Unbeteiligtheit ist nämlich nicht nur subjektive Autarkie (sie ist nur die Voraussetzung, um zu überleben), sondern eben jene fast romantische Unschuld des Werdens, die sich so gründlich diskreditiert und selbst zerlegt hat, nicht erst nach Nietzsche. Jünger macht es sich gerade nicht leicht, ist auch nicht der Verkünder der Rückkehr zur ursprünglichen Gemeinschaft oder zur urtümlichen Kraft des einzelnen Genies. Hier deutet sich wieder etwas an und versperrt sich der eindeutigen Auslegung… schöne Ironie: besser könnte sich keine Dialektik immer wieder der Vereinnahmung entziehen, als es Jünger tut. Ich sprach am Anfang davon, dass er in den besten Momenten „einer von uns“ sei: Vereinnahmung eines Unvereinnehmbaren im Namen des unvereinnehmend Verbindenden der Poesie. 

Was trotz aller Neuentdeckung Jüngers größte Leerstelle bleibt, ist, dass er es dennoch nie schafft, in seinem Duktus gesprochen: die Tür zu Amors Reich aufzustoßen. Es scheint bei ihm eine verkümmerte Landschaft. Umso schöner, dass er doch viel Feingliedrigkeit und zuweilen sogar Redlichkeit, die nicht billig die Augen verschließt, entwickelt. Es stehen in seinen späten Schriften ganz wundersam treffende Sätze, auch jenseits der zeitgeschichtlich interessanten Beobachtungen, die es einem ermöglichen, die Dinge anders zu erfassen und vor allem: zu ertragen. In einer Zeit, in der Atavismen allerorts durchbrechen, revisionäres und paternalistiches Denken obsiegt und die Menschheit und Menschen im Bann apokalyptischer Szenarien stehen, ist eine tröstende Position, die die Frage nach der Qualität des Lebens jenseits eines nur nackten Überlebens stellt, aktuell. Jüngers Einsichten im Spannungsfeld zwischen Autarkie des Subjekts und größeren, planetarischen Zusammenhängen sollten nicht obskuren rechten Gruppen überlassen werden. Denn die Fragen, die sie aufwerfen, sind nicht nur politische, sondern auch  genuin poetische.

 

Hendrik Jackson