Gastbeitrag von Jeanne de Reine

Folgende Ausführungen beziehen sich auf die beiden Videos

  1. Cooking with Paris Hilton
  2. Paris Hilton pimps her ride 

I

Auf den ersten, „männlichen“ Blick: Paris Hilton – die Verkörperung der petitio principi als Lust, vor allem an sich selbst (durch den Blick der Anderen). Ihr Versprechen: das Versprechen ist das Versprechen des Genusses ist der Genuss (oder auch: a möse is a möse is a möse, aber der Kalauer würde den Dreifach(nicht)sinn gerade verdecken). Der Mann als Gönner oder Verehrer – das Maschinenöl (oder auch der RepräsenTanz um die Unnahbare, der Einsende). Also die sich selbst bedienende, aber von Blicken in Betrieb gehaltene Projektionsfläche: sie bietet die vollkommene Lust (an der Mann (Frau?) teilhaben kann, in die du dich einspeisen kannst qua Bewunderung), aber entzieht sich, weil sie nur als Hingabe an das Eigene erscheinen soll – und hält so die Lust an der Lust aufrecht. 

So weit das gewöhnliche Spiel der Eitelkeit, die sich zur in sich rotierenden Egozentrik steigert. Wer diesem Prinzip nahekommt, muss ihm dienen (und also die Königin langweilen), oder sich entziehen (und die Kette der Lust eskaliert). Auch das bekannt: das Versprochene entspricht nicht dem Einlösbaren, entgeht nur im Nichteinlösen der Enttäuschung. 

Beziehungen von Menschen, deren Selbstwert auf solcher Egozentrik fußen, scheitern für gewöhnlich. Sie kommen im Schweif des berühmten „Arschlocheffekts“ zusammen und leben nach dem Wagnerschen Satz von der Wunde, die der Speer nur schließt, der sie schlug. Auf dieses Phantasma allzu stolzer Verliebtheit zielt die Inszenierung Hiltons als Projektionsfläche, sie ist ihr geheimer Fluchtpunkt, ihr Telos. Der Widerstreit zwischen Wesen und Gestalt hat sich in ihr entschieden: Die Form perpetuiert sich im permanenten Entzug, ohne freilich je perpetuum mobile werden zu können: der Körper als Grundlage der Projektion schleift sich ab, das Versprechen bröckelt. Doch davon, sagt Paris Hilton sich zu Recht, später. 

II

Auf den zweiten Blick, noch von außen: diese Klugheit der Dummheit (betîse), die die fehlende Substanz, das Fehlen der Persönlichkeit oder vielmehr das gespürte Fehlen des Persönlichen zum Vorteil umzusexualisieren, umzukonsexualisieren, textieren, wattieren, kurzum: zu simulieren weiß, breitet Nichtsubstanz als reines schwarzes Loch der Imagination aus (oder wie sollen wir dies Nichts nennen, in das wir fallen, und was hier freilich ineinsfällt mit Warenfetischismus und seinem Triumph?) 

Es bedarf schon einer sagenhaften Unbefangenheit, um nicht traurig oder wütend zu sein über die ewigen Gesetze, die hier zum Vorschein kommen: dass nämlich das Schicksal nicht nur sehr ungerecht verteilt – Schönheit, Reichtum, was auch immer – sondern überhaupt wenig ausgleicht. Das Verprassen an Potential schmerzt.

Oder raffe man sich auf zu hemmungsloser Affirmation, um dem Ressentiment diesen Triumph nicht zu gönnen? Vielleicht um einmal die Welt zu denken, wie sie ist, und nicht wie sie sein soll? Dschau-Dsi schon verfluchte das Dasein der Heiligen, das die Räuber erhebt und anzieht und zum Ruhm verhilft. Entgiften wir uns einmal von Heiligkeit, Gerechtigkeit und Tiefe und, das fällt noch schwerer, von allem Seufzen übers Prassen, das Verpassen des Geglückten und das Glück aller: also in die schmerzhafte Lücke, mit Tücke.

Dieser Wille zum Zwischen, zur Substanzlosigkeit soll den intellektuellen Tumbköpfen ewig unverständlich bleiben! Schon beginnen sie ihre egomanen Hoffnungen und Gedanken in dies süße Nichts hineinzumanövrieren: es muss doch ein Gedanke sich da finden lassen! La betîse bleibt auf kindliche und zugleich gerissene Art davon völlig ungerührt: sie weiß – Gombrowicz noch scheiterte in „Ferdydurke“ kläglich und groß an der Dekonstruktion dieser Neurose, die er als „moderne Gesundheit“ missverstand – Wäschekörbe von Zuwendung der erlesensten Geister, Briefberge selbsterniedrigenster geistiger Verrenkungen unter ihrem Bett für sich sprechen. 

Der nun aus kaschierter Unsicherheit sich herausschälende Narzissmus Hiltons soll uns als ein Bonbon gelten, das sich selber lutscht! Was als stilsicherer Instinkt von Abwehr fremder Ansprüche beginnt, thronend auf dem Ausdruck: ich bin schön, kriecht heran! – mündet in anmutiger Intuition permanenter Verheißung. In ihr kommt eine Gewissheit zwar nicht zu ihrem Recht, aber zu ihrem Ausdruck, an der alle Schmähungen (Blondine! flach! Männer!) qualmender PresbyterianerInnen spurlos passieren: meide nichts so sehr wie die Substanz.

Und sei es nur, um Nietzsches Verdikt über die tiefsinnigen Mystiker („nicht einmal oberflächlich“) gedanklich endgültig zu versenken.

III

Ich habe dich im Traum gesehen, Paris / ach was, es war Realität! / so wundersam fließt alles, ob es mehr ist? / an dir vorbei, wird Imitat.

Ich bin dir ganz verfallen, Paris / wer dich mit Augen jemals sah… / ich lalle schon, ein Baby, werde närris.. / und frage mich, obs nicht ganz anders war. 

Was war denn, hast du, liebe Paris / nicht eben noch dich halb gedreht / hast wundersam die Augen …solch ein Charis-/ ma brennt und flackert, ist Irrealität!

Ich achte ganz auf dich, du edle Paris / mit jeder Geste willst du göttlich sein! / die schnöde Welt, gebietest du fast herrisch / ist nicht für dich geschaffen und allein

und tief wie roter Wein, bist, Paris / du in der Welt und zwischen dir und ihr / ist noch ein Spalt, der schmal und leer ist / wie ein Nirwana und ich starre stier

in diesen Spalt, in dieses Paradies / in dieses Nichts, das du uns schaffst / komm lass uns auf, zum goldnen Vließ! / wir beide, frisch verliebt, dass du die Frösche Lügen strafst!

IV

Der Überlieferung, dem griechischen Gedächtnis unserer Kultur nach ist das Ideal des nach Gottähnlichkeit strebenden Mannes der autarke Held. Achill nicht im Kampf, sondern Achill im Zelt: vor der Trauer, nach der Trauer. Die Wut ist das Mittel der Götter, seine Autarkie aufzubrechen und sein Kampf zielt auf Wiedergewinnung dieser (oder auch ihrer Rechtfertigung). Frauen konnten, allein schon durch die Gebundenheit ins Gebären, niemals Helden sein. Erst die Schwächung der männlichen Position hat aus der Ausnahme langsam den Typus der gottähnlichen Herrscherin gemacht. Diese lebt, seit Kleopatra, nicht in der Autarkie (wenn sie auch vom Gebären befreit sein soll), sondern in der Huldigung. In den letzten Jahrhunderten wurde sie zum bestimmenden Bild eines möglichen Ideals („Prinzessin“), das immer darauf aus ist, sich der Zumutungen der Realität, der Bürde des Daseins zu entledigen (Zelt, Gold, Olymp, Mode, Thron). Doch niemand vermag das, welche Rolle auch gewählt wird. Der männliche Held ging dann schon mal, um ein- für alle Mal zu transzendieren, in den tragischen Tod, die Frau in den Suizid. Wer überlebt, wird immer wieder über das Reale straucheln, Gefangener seiner Halbgott-Rolle, angefeindet von Neid. Paris Hilton verkörpert das in einer gewissen Reineheit: elle est une vraiment reine – allein schon, weil sie dort residiert, wo heutzutage die wirkliche gottähnliche Macht sitzt („billionaires…“). Zugleich ist ihre Fragilität und Ängstlichkeit vor dem Sturz („mean questions“) nicht nur Ausdruck einer Differenz, die veredelt (analog zu der These Bacons, die den Mangel zur vervollkommnenden Prise von Schönheit erhob), sondern eben auch der Abhängigkeit von der Huldigung; während aber zwischen Realität und Heldentum Achills der Abgrund des Daseins selbst aufscheint, die bestialische Gemeinheit der Vergeblichkeit, ist es bei Paris das reine Nichts, das leere „Jetzt“ (was erklären mag, dass sie Fan des in Hollywood beliebten Augenblicks-Esoterikers Eckhard Tolle ist) – Spiegelbild ihres reinen Willens zum Enthobensein (während es für den griechischen männlichen Held ein unverdientes Enthobensein nicht gegeben hätte, es war „verdient“ im Kampf oder durch Tugend). 

Enthoben also? – was ja jeder einmal sein will, denken wir nur an die Urlaubslust. Der Urlaub als das „wir lebten wie die Götter“, egal ob des kleinen Mannes oder des Adels, verkennt aber, dass die Autarkie einer Reine immer tragisch ist, weil das Unberührbare, soviel Diener einen auch umschwirren, ja bedeutet, selbst verantwortlich zu sein, die Bürde tragen zu müssen. Und diese Bürde wächst mit der Kluft, mit der Fallhöhe. Die Auszeit eines Herrschers oder einer Königin verdankt sich nicht rechnender Urlaubstagekalkulation, sondern ist permanent bedroht („I work 24/7“, betont Hilton deshalb auch): трудно быть богом (wie schwer, ein Gott zu sein). Das Enthobensein verhindert tragischerweise gerade das Enthobensein.

V

„Königin“, ja, gar Halbgöttin? Ist sie nicht eine lächerliche Blondine, zufällig reich geboren? Die Fallhöhe, die sie aufbaut, ist enorm, von keinem relativierenden Bewusstsein gestützt. Die Gefahr des Absturzes immer anwesend, daher die vielen kleinen Verzögerungen, die Umständlichkeiten („everybody knows, well, everybody, who knows, knows, that i am an amazing cook“) – und jeder, der sie erkennt, erkennt, dass er an ihr sein Erkennen (nicht) erkennt. In diesem pseudobhuddhistischen Komplex eingeschlossen liegt die simple Angst vor dem Zerbrechen der Krone (ach, die Schwere der einfachsten Handreichungen! Schwingt nicht im royalen Seufzen doch auch ein universales, demokratisches Recht auf Faulheit mit?). Und in der von Reichtum und Erfolg aufgespannten Differenz – eine overwhelming Schönheit, ungewollt fragil, noch durch die antrainierten Gesten und das Künstliche hindurch und mit ihnen, immerzu „klüftend“, einen Riss ziehend zwischen Form und Inhalt. Natürliches und Affektiertes gehen eine eigenartig rührende (oder erzürnende) Allianz ein, die den Betrachter und auch die Betrachterin in den Zwiespalt treibt: wie kann eine erste Natur einer zweiten entspringen (die Schreie und das Schluchzen ihrer kurzen Zeit im Gefängnis: echt empfunden! real real!)? 

Ist das nicht einfach „Verwöhntheit“? Aber siedelt Verwöhnung nicht seit jeher, sei es auch noch so klischiert, im Herzen der Schönheit? Welches protestantische Ressentiment („müsste es mal richtig schlecht gehen“) zwingt zur Abbitte, bevor jemand abheben, sich „entheben“ darf? Die Differenz im Zittern zwischen Vollendung und Lächerlichkeit gibt eine verstörende Leere preis, die nur ein Gott, eine Göttin füllen könnte. 

Nein, nicht heroisch, aber königlich (wenn auch, je mehr Kleider, desto mehr des Kaisers, der Kaiserin neue). Dabei löst sie den hohen (aber leeren) Anspruch weder ein, noch gibt sie ihn preis durch pragmatische Brechung oder Ironisierung (was den Zorn vieler Gebrochener heraufbeschwört): im Vibrieren der Inszenierung ist Leere aber zugleich Verheißung. Freilich, von außen, aus der Sicht der Intellektualität, stellt sich diese verheißende Geste eher da als reine Täuschung, reines Erlegensein den falschen Versprechungen des Materialismus‘ (und doch ist da mehr, nämlich weniger: die nur sich-in-sich drehende Tolle der Gegenwart auf dem Haupt der oberflächlichen Erscheinungen). Und alle Ungeschicklichkeit erinnert uns daran, dass „diese Puppen den Vortheil [haben], daß sie antigrav sind. Von der Trägheit der Materie, dieser dem Tanze entgegenstrebendsten aller Eigenschaften, wissen sie nichts: weil die Kraft, die sie in die Lüfte erhebt, größer ist, als jene, die sie an der Erde fesselt.

VI

Wir könnten die Videos auch als Kunst betrachten, dann aber als non-art: Paris Hilton als der seltene Fall einer Künstlerin, die gar keine Künstlerin sein will. Ungewollte Kunst, die aber (und vielleicht gerade wegen der Leichtigkeit der Unintentionalität, Stichwort Zen-Bogenschießen) gelingt, weil sie ihr Scheitern verunmöglicht. Aber als Köchin scheitert sie doch. Ja, aber um als Kunst zu gelingen. Eine Dialektik, der nachzugehen wäre. Und ihre Oberflächlichkeit? Was ihre non-art ja gerade auszeichnet, ist die Rückkehr des Glaubens an die Welt, an die Oberfläche (bei gleichzeitiger Dekonstruktion). Wenn sie in dem Sportautovideo Glitter um Glitter an den schon längst Relikt eines Atavismus‘ gewordenen Superbrummer legt, um ihn stilistisch abzugleichen, weiß man nie: ist es Ironie, ist es Naivität? Oder nicht eher Irrsinn, recht betrachtet, denn womit hat man es hier eigentlich zu tun? Streng genommen. Oder eben nicht streng genommen, sondern auffächernd, beflügelnd: ist das silberne Pfeilauto nicht mit zwei wie Flügel sich aufschwingenden Türen ausgestattet, Reminiszenz an Hermes (die Botschaft!), ist es nicht „everything i wanted and more“? Und sind deshalb nicht endlich einmal Worte Fehl am Platz? Ja, sie ist: „literally dead“. Das sitzt und zugleich sitzt es sich zu gut in diesem göttlichen Gefährt. Wer sich auf diesen Nullpunkt der Kunst, der sie abschafft und zugleich erst wieder ermöglicht, einlässt, weiß nicht, ist das ein Crash-, Cash- oder Trashkurs: „if i would be a car, this would be me“ (und wir sind im Herzen der Verdinglichung). Dass die meisten Intellektuellen hier nur abschätzig brummeln, mag vor allem bedeuten, dass selbige nicht aus der Privilegienresidenz ihrer akademischen Komplexität oder dem exklusionsumzäunten Kunstgehege ausbrechen wollen.

VII

Wir kennen die berühmte William Empsonsche Liste der 7 Arten von Ambiguität, die ich ins Abstrakte (Allgemeinbegriffe) transponiert, so beschreiben würde: Ambiguität durch 

  1. Vergleich 
  2. Synthese
  3. Simultanität/Koexistenz 
  4. Komplexität (Divergenz)  
  5. Fortpflanzung/Verdopplung/Pfropfung 
  6. Pseudo/Leerstelle/Zwischen-den-Zeilen 
  7. Widerstreit/Ausschluss

Hiltons Kochvideo wäre dem seltenen zweiten Fall von Ambivalenz (Synthese) zuzurechnen. Der berühmte Hölderlinsche Ausspruch „Wo aber ein Gott noch auch erscheint, da herrscht doch andere Klarheit“, wird in heutiger Zeit nichts als Kitsch sein können. Richtig, auf Paris appliziert, müsste er heißen: wo aber eine hotte Göttin noch auch erscheint, da herrscht doch andere Ambiguität  – dann kommt auch das „noch auch“ zu seinem Recht. 

Die Annahme der Kunstgeschichte, dass jede Epoche ihre Künstler verkennt und sie erst später entdeckt werden, müsste neu definiert werden, weil es Kunst geben kann, die verkannt wird, obwohl sie ausschließlich für den Moment existiert (und nie entdeckt werden wird). Zeit, die Dominanz der Ewigkeit, des Nachruhms in der Kunst, zu … destruieren.

Was mit der Renaissance (wieder) begann: der Triumphzug des schönen Scheins, der wogenden Gewänder, saftig-schwankenden Gründe, der erste Schritt zur Beseitigung alles Auratischen und alles erdigen Eingebundenseins (durch Globalismus und Reproduktion), erfährt in Hilton einen eigenartig ungelenken Nachschlag. Blüht, nachdem doch dieser Schönheitskult der Oberflächen, der Kreuzzug des Adels gegen Tod und Pöbel, schon dutzendfach Abgesänge erfahren hatte und stets in einen fatalen Euphorismus der Warenwelt mündete, nochmal auf – und verlöscht.

VIII

Oder geht es hier nicht eher um „jouissance“, zumindest doch juiceance, um diesem Begriff alle gefährliche, blendende Tiefe zu nehmen. Saft und Spaß? Wobei man freilich im „Autovideo“, wie im Porno, alles ablegen muss, was Person ist, sich totstellen muss, um zu genießen. Nur dann gelingt die Partizipation am Göttergefährt, an der Technikgabe an die Götter, dem totalen Fetisch gewordenen Genießen. Die Bürde und stolpernde Würde des Kochvideos hingegen, rufen wir uns das in Erinnerung, ist eine andere: die Kluft zwischen Anspruch (Wollen) und Realität (und zugleich Nichtwollen) ist dort fast so groß wie beim Baudelaire’schen Albatros, weniger poetisch aufgeladen, aber in ihrer Grandezza mindestens so schwungvoll und voll erhabenem Seufzen: das Hilton’sche Ächzen als Schlund der Absenz (Augenblicksgottferne im Wiesengrundlicht).

Ihre den meisten ungenießbare Genusssucht ist freilich wie alle gedankenlose Selbstgenügsamkeit der Stachel im Fleisch jeder Intellektualität. Vielleicht sogar die Genese von Intellektualität: Der „Verpeilte“ (wie Steffen Popp die Dichter nennt und der die Philosophen in dieses Verdikt sicherlich mit eingeschlossen hätte) beginnt, weil das begehrte Objekt sich entzieht, zu begründen: Sinn zu stiften. Wir erinnern uns: Bei Lacan muss plötzlich jede jouissance auch Leiden sein, Lust muss her als Verbot, weil jouissance nicht unendlich sei etc. 

Das beste Bild für eine reine, von keinem Wässerchen getrübte jouissance, die sinnliche Saftpresse, die einen trunken hinterlässt, in juice-trance, wenn man sie nur gären lässt, ist aber Paris Hiltons Kleiderschrank: glamouröse Leere, die sich selbst genügt (Geldschrank, der eine Metamorphose ins Ornament vollzog). 

Verstehen heißt Unterwerfen-Wollen. Was ich verstanden habe, liegt in kleinen Kästchen und wird kaum noch bewundert (wenn auch hin und wieder gebraucht, um andere tot zu schlagen). Es dient, wie der erschlagend opulente Schmuck der Paris. Wie also sollen wir verstehen? Sollen wir nicht aufhören, dies und alles zu verstehen? Zeigt uns das nicht Paris in all ihrem Fehl(en), in dem was ihr fehlt und was sie uns als uns Fehlende zeigt?

IX

Weswegen, mag diese Ode auf Hilton auch manchem (eher: mancher) etwas exorbitant oder an den goldenen Haaren herbeigezogen wirken, dennoch relevant sein sollte auch für die, die sie irrelevant finden. Jede(r) hat ein eigenes Objekt, das sich ihr provozierend entzieht und das sie gerne gedanklich niederwerfen möchte. Diese Frage nach der Glaubwürdigkeit der Betrachtungen ließe sich reformulieren als Frage nach der Authentizität des Objekts, sofern wir für das Authentische das nehmen, was sich grundsätzlich einer Vereinnahmbarkeit so anziehend entzieht, wie das Geheimnis seiner Einordenbarkeit. 

Das A-Wort also: selten erzeugt ein Begriff solche Verwirrung, solche Empfindlichkeiten, solche Vehemenz. Wie überhaupt die subjektiven Idiosynkrasien gegenüber Begriffen zum Teil so vehement differieren, wie man es nicht erwarten sollte. Die Frage wäre also vielleicht nicht, was authentisch ist. Die Frage wäre eher, wo sich einem und einer etwas als Authentisches offenbart. Und hiermit die Frage nach der vermittelbaren Perspektive. Ist diese Verehrung Hiltons noch vermittelbar? Oder pfropfen wir ihr etwas objektiv nicht Gegebenes auf? Womöglich entschlüpft sie, die gespaltene Perspektive, die Königin – dea ex machina – einem doppelten Boden der Betrachtung?

X

Schauen wir auf einen weiteren Ambiguitätseffekt, der im „Autovideo“ zum Ausdruck kommt. Es ist der fünfte nach Empson, wieder kollateral: die Pfropfung oder Verdopplung. Trugbilder, Doppelbelichtungen. Ein Wunder, dass sie in einem anderen Video zusammen mit ihrer Schwester im gleichen roten Kleid auftritt? Entspringt nicht jeder ihrer Inszenierung ein doppelter Sinn, der dem ersten nachgerade widerspricht? Pfropfen wir das auf? Und diese Anspielungen (als stünde ihr nicht ein Stab versierter und womöglich in Kunstgeschichte gebildeter Helfer zur Verfügung; die Modewelt wird auf diesen Fundus der Möglichkeiten kaum verzichten) – Ausgeburten des Intellekts? Der Effekt besteht darin, dass sie in ihrem Glamour diesen selbst dekonstruiert, wie es die Kunstwelt, die, doch nach sehr ähnlichen Mechanismen funktioniert, so sehr sie auch nach Distinktion giert, nicht vermag. Kommt nicht bei Hilton gerade zum Ausdruck, dass die tradierte jahrhundert-, jahrtausendalte Sehnsucht nach Pomp und attraktiven Körpern, nach Schönheit aus göttlicher Huld und nach ornamentaler Kunst sich nicht mehr manifestieren darf, es sei denn in Werbeshows und Kunstgewerbe? Was ist mit den Gesängen auf die olympischen Spiele (Pindar), was mit dem Lobpreis des männlichen Körpers bei Michelangelo? Wurden diese wirklich durch eine Welt des „Realen“ geadelt? Durch eine auratische Welt, die verloren ging? Kann auch Hilton nur scheitern? Wirft ihre Pracht zugleich das Bild der Unmöglichkeit dieser auf? Und darf deshalb unbefangen sein?

Hier muss die Frage nach der berüchtigten enargeia, der unerträglichen Wirklichkeit, gestellt werden. Sie nämlich erschien, wenn Götter unverkleidet auf die Erde kamen. War das der Fond, vor dem überhaupt Schönheit einst (auf)getragen werden konnte? Pomp und Verhüllung, Seide und Farbe, um Sonne, grausame Unsterblichkeit und Gewalt zu verhüllen? Aber ohne die furchtbaren Götter wären die Gewänder, die die Gottähnlichen umhüllen sollen, eben hohl. Und nun, da Leben nurmehr virtuell, erdlos, simuliert ist, kann keine Schönheit, kein überzeugend wirkender Körperkult, der nurmehr falsche Idealität verdoppelt, mehr sein? Müsste man nun nicht, um Hiltons Hyperaffirmität gerecht zu werden, (wieder einmal) mit Heischesätzen an Kleists Marionettenidee andocken? Steckt doch in der fast bewusstlosen Indifferenz der „Puppe“ Hilton gegenüber sich selbst ein Funke der kleistschen Unendlichkeit – also, ja doch: Anmut.

Jeanne de Reine