Gastbeitrag von Peter Orlovsky

WIE ICH GEDICHTE SCHREIBE & VON WEM ICH GELERNT HABE

1957 schrieb ich in einem Pariser Hotelzimmer meine ersten 2 Gedichte, tippte sie ganz allein in die Schreibmaschine & hatte so viel Spaß, dass ich meinen Ohren nicht traute. Ich schrieb noch einige weitere Gedichte in der U-Bahn auf dem Weg zur Arbeit im Krankenhaus. Immer Notizbuch & Stift dabei, um – wie eine herumlaufende Henne das rohe Ei – Beobachtungen zu Papier zu bringen, die mein Augenhirn oder Hörgedächtnis kitzeln, oder gefühlvolle Schnappschüsse, die mir unter die Haut gehen wie einem Schwimmer der Novemberteich oder wenn man sich ein Jahr lang um ein Hausschwein kümmert & darüber 2 Jahre später ein Gedicht schreibt oder 7 Jahre später wie im Liebesgedicht an A. J. Muste, einem gigantischen, vollkommenen Pazifisten. Es reizt mich, das spontane Aufblitzen schräger Augenblicke & Orte zu notieren. Arbeite den ganzen Tag draußen auf den Feldern, singe den Inhalt meiner Lunge, singe & sage alles, was mir in den Sinn kommt, ein 2-Stunden-Lied nur über Tomatenstauden während ich sie umsetze, Löcher für ihre Wurzeln grabe. Corso, der mir beibrachte, komische Rede-Begriffs-Kombinationen zu erkennen, Ginsberg & Kerouac, die den Redestrom erweiterten, Catull das natürliche Gerede in Gedichten, Rimbaud wegen seiner blitzgescheiten Kopfarbeit, wie Wandern über Alpen im Winter, Dostojewski wegen seines Mitleidens mit anderen Seelen, Garcia Lorca wegen besonders feiner Bild-Wort-Details, Ginsberg wegen seines riesigen Arsenals an Themen & deren Darstellung, W.C. Williams wegen des Haltens der Wirklichkeitsspur, Apollinaire wegen seiner offnen Idee Zugriffsbereich Weltraum, junge Dichter wegen ihrer Frische & Deutlichkeit, Kenneth Koch wegen seiner spontan-rasanten komisch-witzigen Zeilen, Trungpa wegen seiner abrupten Überraschungszykluslügengedichte, B. Dylan wegen der Höhen seines kapitalen Outputs, F. Villon wegen seiner kompakten Erzählpoesie, L.F. Celine wegen seiner Spracherregung, die sich zu Schiffsladungen voller Himbeer-wie-Morphium-Wörter steigert. Majakowskis bodenständige Lyriksprünge, die sich an Sergej Jessenins flatternden Innereien seiner Haare festhalten. Ich würd gern weitermachen, aber ich muss meinen ersten Gedichtband fertig machen, der Clean Asshole Poems & Smiling Vegetable Songs heißt und bei City Lights SF rauskommt, & Apfelsaft abfüllen & Apfelmus etc. & ein paar Arbeiten zur Nussbaumpflege erledigen. Fortsetzung folgt später. Danke euch.

Peter Orlovsky, Cherry Valley N. Y., 1977

 

(Übersetzung Marcus Roloff)

 

(aus: Peter Orlovsky, Sauber abgewischt. Gedichte, zweisprachig. Mit einer Einführung von Gregory Corso und einem Nachwort von Hans Jürgen Balmes. Aus dem Amerikanischen von Marcus Roloff. Stadtlichter Presse, Wenzendorf 2020.)