Gastbeitrag von Sandra Klose & Vera Iwanowski

Nachtmahr

Das Telefon war ursächlich für einen Bruch. In einer kleinen Hand erblühte es zur Waffe. Die erste Kugel traf die Mutter, traf sie mitten ins Herz. Nun war die Mutter mit dem Telefon verwachsen, und jeden Tag ging es weinend vorüber an ihrem klingelnden Zorn. Die zweite Kugel traf den Vater, und zog ihm die Macht aus dem Rachen wie ein Strick aus Haar. Nun stand er da und rang nach Luft und drohte mit Bombardements.

Der Sohn schlich in all dem Leid umher wie eine Katze. Er hatte vergessen, was er nicht verstehen konnte. Er hat die Schreie von den Tafeln seines Wissens gewischt. Die Tochter lag in Ecken wie eine Strohpuppe, der man die Knopfaugen ausgerissen hatte. Dadurch lernte sie, zu hassen – wie andere Schreiben und Radfahren lernten – und ihre Liebe wurde zu einer Peitsche, die in roten Striemen in den Vater trieb, und in die Mutter, und in den Bruder. Denn ihr Hass machte vor niemandem halt.

Zunächst war ihr Hass sanft wie Kinderschlaf – beinahe hätte man ihn nicht im Haus umherstreifen gehört. Dann warf der Hass bucklige Schatten durch die knallenden Türen, er zerbarst Vasen und Fensterscheiben. Ihr Hass war Gewalt, und Gewalt misst bekanntermaßen die Angst vor dem Gesetz, und ihr Hass war das Gesetz. Es hing wie ein Fallbeil über jedermanns Kopf, und am schärfsten über dem des Vaters, dem sie die Macht aussog, auf die sie schon so lange gierte. Der Vater musste ins Geschirr, koste es was wolle.

Also legte die Tochter mit ihrer giftigen Zunge Eier in den Haarwirbel des Vaters, denen sich Wesen entpuppten, die sein Oberhaupt blutig pickten. Die Tochter leckte ihre dunklen Lippen und gierte nach mehr Schmach, nach mehr Leid. Und sie nahm des Vaters Hände und kreuzte sie und brach sie ihm mit einem Schlag.

In der Ecke graute es dem Bruder und er hockte und pisste und schämte sich und der Vater schrie mit letzter Kraft, dass das nicht sein dürfe. Die Tochter war wütend, wütender als der Vater jemals sein könnte, und sie zog ein Schwert aus ihrem Herzen, so dass es wasserfallartig weinte und all die Wut mit sich nahm.

Den Beteiligten stieg die schwarze Brühe bis ans Kinn. Der ganze Hass der letzten Jahre hatte sich angestaut und drohte nun alle zu ertränken. Die Mutter schrie, der Vater bangte, der Sohn war längst verschluckt. Als das zerbrochene Fenster alle gehen ließ und der Raum sich wieder leerte, lag am Boden leblos die Tochter.

Sie schlug die Augen auf und starrte an die Decke, was für ein seltsamer Traum.

 

Sandra Klose/Vera Iwanowski