Gespräch mit Christian Thanhäuser

Der Verleger, Illustrator, Künstler und Herausgeber Christian Thanhäuser macht ganz besondere Bücher: Von der Idee über die Illustrationen bis hin zur Drucklegung ist alles im wesentlichen in einer Hand. Man könnte das als eine spezielle Form eines verlegerischen Gesamtkunstwerks ansehen, die freilich aus einer (ideellen) Zusammenkunft von Autor und Verleger hervorgeht. Hilfreich ist ihm dabei seine langjährige Tätigkeit als Illustrator für viele angesehene Verlage. 1989 wurde der Verlag Thanhäuser gegründet und hat seitdem über 100 Titel herausgebracht. Jedes Buch ist besonders gestaltet, Poesie über Poesie oder Texte von PoetInnen oder aus dem Umkreis der Poesie, ein wunderbarer Wahnsinn. Dabei liegen die Bücher schön schwer in der Hand, der Druck selbst prägt sich noch ins Papier ein, eine haptische Gegenwelt zur Virtualität, ohne je altmodisch zu werden. Man findet AutorInnen wie Esther Kinsky, natürlich H.C. Artmann (siehe Interview) und ein breites Spektrum von zu entdeckenden Stimmen aus vielen europäischen Ländern. Eine nicht endende Entdeckungsfahrt erwartet die LeserInnen.

 

LK: Es ist vielleicht nicht unbedingt ungewöhnlich, aber doch zumindest selten, dass ein Zeichner/Illustrator AutorInnen auswählt und selbst publiziert. Deshalb diese ganz basale Frage: Wie kam es zu diesem Verlag, warum hast du damit angefangen und welche Rolle spielte dabei für dich die Illustration von Texten?

TH: Zuerst war die Freundschaft seit den frühen 80er Jahren zu H. C. Artmann und Fahrten ins Böhmische hinein auf den Spuren von Kafka. 1984 bei der Lektüre von Kafkas „Schloß“ erste spontane Skizzen an den Seitenrändern, vor allem diese Stelle hatte es mir besonders angetan: „Ein schlechter Weg“, sagte K., um ihm nachzuhelfen. Er aber sagte nur: „Ja freilich.“

Die wichtigsten Anregungen für mich als Graphiker sind immer aus der Natur und aus der Dichtkunst gekommen. Aus Zeichnungen entstanden Holzschnittserien und diese haben H. C. Artmann sehr beeindruckt, er hatte eine große Liebe zum Handwerk des Holzschneiders und zum Gutenbergischen Buchdruck.

Über ihn bekam ich Kontakte zu Berliner Handpressendruckern, Hugo Hoffmann von der Atelier Handpresse in Kreuzberg öffnete mir die Tür zu seiner Offizin und in diesem Augenblick wußte ich, das möchte ich jetzt alles lernen. Kurz darauf kam H. C. zu mir nach Ottensheim mit einem unveröffentlichten Typoskript, einem Husaren-Fragment. Damals 1989 hatte ich noch keine eigene Handsatzwerkstatt zur Verfügung, ich schnitt nicht nur die Illustrationen, sondern auch den gesamten Text ins Lindenholz, H. C. regte mich dazu an, einen eigenen Verlag zu gründen („schreib einfach Edition Thanhäuser hin und das paßt schon so“) und wie es dann weiterging, ist eine längere Geschichte.

LK: Erzähl ruhig ein bißchen, wie es weiterging. Was mich speziell daran interessiert: Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit den AutorInnen? Obwohl es ja sehr verschiedenen Namen sind, die in dem Verlagsprogramm auftauchen, meine ich, eine gewisse „Handschrift“ ausmachen zu können, obwohl es mir schwer fiele, das zu präzisieren. Aber vielleicht ergibt sich das ja aus der Geschichte der Zusammenarbeiten?

TH: Nur in wenigen Ausnahmen und auch nur, wenn es Sinn macht in Bezug auf zeitgenössische Dichter:innen, verlege ich Bücher mit verstorbenen Autor:innen, z. B. Srecko Kosovel oder Miklós Mészöly.

Wichtig sind mir die persönlichen Kontakte und ein gemeinsames Überlegen, wie man ein Buch gestalten und in welcher Art es mit Bildern begleitet werden könnte. Die meisten Kontakte entstehen über mehr oder weniger zufällige Begegnungen auf Literaturfestivals und über Empfehlungen von Freunden, bei den hunderten von zugesandten Manuskripten ist fast nie etwas Spannendes dabei.

Seit 1989, im Jahr der endlich offeneren Grenzen, im Jahr der Gründung der Edition, war ich auf der Suche nach Kontakten in Böhmen, Ungarn und Slowenien. Ich wollte mich nicht auf die deutschsprachige Literatur beschränken. Aus einem Buchprojekt ergeben sich die nächsten, entscheidend ist, daß mich Gedichte als Graphiker ansprechen. Bezüge zu Flüssen, es können auch die kleineren sein, entlegenen Landschaften und Naturthemen sprechen mich an. Ich bin direkt an der Ottensheimer Donaulände mit Blick auf eine Drahtseilbrücke aufgewachsen, als Kind hat mich bereits interessiert, von wo die Schiffe mit den verschiedenen Flaggen herkommen und hinfahren, im Norden Stifters große Wälder, daraus dürfte sich eine gewisse „Handschrift“ entwickelt haben.

LK: Kann ich das so verstehen, dass du in den Gedichten und Texten Landschaften aufsuchst, die dich ansprechen, die in dir eine Verbindung zur Kindheit herstellen? Das wäre dann ja ein vielfacher „Austauschprozess“. Was man sieht, vielleicht in meditativen Gängen durch die Natur, wird inneres Bild, das aufgeweckt werden will durch das Wort? Weil das einen Bezug gibt, da kann es einen Austausch geben. Und das wiederum übersetzt du ins Bild? Ist es also eine Art „Dreiecksbeziehung“? Und was entsteht daraus Neues? Ähnelt das dann in gewisser Weise dem Gang durch Landschaften? Welche Rolle spielt das Haptische und die Schrift dabei? Das ist gar nicht so sehr theoretisch gemeint, sondern zielt eher auf die Rituale und Vorgänge des Sich-Übersetzens, Buchdruck auch als eine Art „Lebensform“ der Poesie. Falls ja, wie kann man sich das vorstellen? Was passiert da?

TH: Ja, ich suche in den Gedichten innere Landschaften, die möglicherweise zum Schreiben angeregt haben, mich interessieren ganz besonders die Kindheitsorte der Dichter:innen.

Gleich beim ersten Lesen von Gedichten, es sollte noch ganz neu für mich sein, skizziere ich mit feinstem Bleistift am Blattrand, sobald Bilder im Kopf auftauchen im Briefmarkenformat, damit diese ersten Bilder nicht im größeren Weiß verschwinden. Das Gedächtnis der Hand spielt hier eine große Rolle und es ist in diesem Moment nicht wichtig, ob ich diese Notizen später für genauere Federzeichnungen oder Holzschnitte verwenden kann.

Die engere Auswahl geschieht erst einige Tage später. Ich verstehe es eher als eine Art von Übersetzen, nicht als Illustrieren im herkömmlichen Sinne.

 Nachdem ich gerade dabei bin, einen Gedichtband von Milan Dekleva zu illustrieren, hier ein paar Zeilen als Beispiel:

. . . erinnert sich / die wüste an das meer das es hier einmal gab / an den wald der sich mit dem licht einer zeit /

verständigte die nicht senkrecht war und tief / sondern mehr allgegenwärtig, . . .

(übersetzt von Amalija Macek und Monika Rinck)


Diese Stelle ruft eine Reihe von Bildern in mir hervor: rhythmische Wasserlinien, die auch in Felswänden, in bewegten Wüstenlandschaften, im Wellsand am nahen Donauufer . . . zu finden sind. Und Heraklit schaut über die Schulter.

Ich bin Handwerker und das sollte man spüren, wenn das gedruckte Buch dann bei den Lesern in der Hand liegt, die Bildbeigaben und die Typographie dürfen sich nicht in den Vordergrund drängen. Am Umschlag, der auf einem Heidelberger Cylinder gedruckt wird, soll Handsatz und Holzschnitt zu spüren sein, auf haptisch angenehmem Karton.

LK: Das ist ein ganz wunderbares Beispiel. Vielleicht hast du zum Abschluss unseres kleinen Gesprächs noch so ein Beispiel für uns … bzw wenn du die Reihe deiner Bücher zurückgehst, mit welchem Buch sind besondere Erinnerungen verbunden? Ich verstehe, dass alle besonders sind, deswegen ziele ich mehr auf ein persönliches Entstehungsmoment, das dir selbst vielleicht noch gut vor Augen steht. 

CT: In über dreißig Jahren seit Gründung der Edition haben sich viele Freundschaften mit Dichter:innen ergeben, meist unkompliziertes Zusammenarbeiten mit gegenseitigen Anregungen, ich durfte mit H. C. Artmann entlang der Nördlichen Linie unterwegs sein, mit Ludvík Kundera und Ladislav Novák im surrealen Südmährischen, mit Lindita Arapi und Arian Leka am albanischen Meer, mit Esther Kinsky am Tagliamento, mit Laure Gautier und Ilma Rakusa in der Welt von Kaspar Hauser und Friedrich Hölderlin . . . mit jedem Buch konnte ich einen Teil der Welt hinter dem Horizont erkunden. Es fällt mir schwer, eines davon besonders herauszuheben.

Ich gehe zurück ins Jahr 1989, die Grenzen öffneten sich, H. C. Artmann brachte mir eine fragmentarische Husarengeschichte, ich zog mich zurück auf den Dreisesselberg im Böhmerwald und zeichnete dazu in einer heftigen Gewitternacht. Zuhause schnitt ich Text und Bilder ins Lindenholz, aber das wäre jetzt eine längere Geschichte. Jedenfalls gilt für die folgenden Jahre dieses Zitat von H. C. Artmann: Buchstaben. Ich möchte schöne, edle Buchstaben haben. Hauptsache, schöne Bücher!

 

Das Gespräch führte Hendrik Jackson