Gespräch mit Florian Voß

Die Bekanntschaft mit Florian Voß geht bis in die Zeiten unserer literarischen Anfänge zu Beginn der 90-er Jahre in Berlin zurück. Er war seitdem immer unbeirrbar in seinem Schaffen und seinen künstlerischen Überzeugungen, gleichzeitig hat er sich offen gehalten für Einflüsse und auch Kritik. Er ist einer der ganz wenigen Poeten, die ich kennengelernt habe, der den für das Schreiben und Publizieren von Lyrik fast obligatorischen Größenwahn (oder wahlweise Narzissmus) mit großer Selbstironie zu verbinden weiß. Das ist umso erstaunlicher, als er die ganz ernsten Themen und besonders expressiven Gesten präferiert. Zugleich ist er nicht nur auf seine Art (er kommt aus einer Künstlerfamilie) bodenständig, sondern auch bewandert in vielen Themen und von einer ebenfalls selten zu findenden Redlichkeit. In Verbindung mit seiner Anlehnung an die etwas aus der Mode gekommenen expressionistischen Verfahren hat ihm diese Unverbiegbarkeit eine gewisse Außenseiterrolle zugetragen. Er war lange Jahre Herausgeber der schönen Reihe Lyrikedition 2000. Seine Nähe zu apokalyptischen Stimmungen ließ in mir den Wunsch keimen, mit ihm über unsere Zeit zu reden, schließlich ist er ein Lyriker, der vieles von dem, was jetzt passiert, seit Jahren in unseren Gesprächrunden prognostiziert hat, als viele über seine Unkenrufe lächelten.


LK
Du bist ein großer Kenner der barocken Literatur und auch im gewissen Sinne in ihrer Tradition stehend, ich würde sogar sagen, sie fortführend. Das kam, wie du ja weißt, mir hier und da etwas unzeitgemäß vor. Vielleicht weil die Kriege weit weg schienen und die Katastrophen noch Einzelereignisse waren, kein Dauertönen. Nun, da alles näher rückt und wir in apokalyptischen Zeiten wohnen (wieder), wo nicht nur ein Gespräch über Bäume kaum möglich ist, sondern auch Tod allgegenwärtig, ändert sich da etwas für dich? Haben wir anderen in einer Blase gelebt? Aber hat sich nicht tatsächlich etwas geändert? Es scheint mir doch einen Unterschied zu geben? Wie ist das für dich: Kriegst du sozusagen mehr Grund unter den Füßen? Zeit für barocke Vanitasklagen! Oder würdest du sagen, das macht für dich keinen Unterschied?

FV 1983 fing ich an, Gedichte zu schreiben. Ich war dreizehn und alles was ich vorfand, war Ironie. Die Postmoderne hatte justamente die Hörsäle der Literatur besetzt und ich war nicht amüsiert. Mich machte das nicht an, wie man in jenen, längst verwehten Tagen gesagt hätte.

Stattdessen beschäftigte ich mich mit dem deutschen Expressionismus. Das war mir sozusagen in die Wiege gelegt, denn mein Vater war ein Verehrer Gottfried Benns und auch ein Band Trakl stand im Bücherregal. Von dort war es kein weiter Weg zum Barock, denn ich konnte in Aufsätzen lesen, dass Dichter wie August Stramm von dort ihre Inspiration bezogen hatten. Im Barock fand ich, wonach ich suchte: echtes Leben, dass in fetttriefende Poesie verkocht wurde. Unpopulär zu der Zeit, aber was kümmerte mich das?

Wenn alle um mich herum mit Blindheit geschlagen waren, nicht die heraufziehenden, dunklen Zeiten sehen konnten – oder wollten – zu denen die barocke Vanitas so gut passen würde, wie konnte ich dann helfen, als mit einer zeitgenössischen Form der Fülle? Kein Reden um den postmodernen Brei mehr, kein darüber hinweg gehen, was den Kern des Lebens ausmacht, nämlich die menschliche Tragödie. Denn mit spätestens vierzehn, fünfzehn Jahren war mir klar, was uns bevorstehen würde: Krieg, Pestilenz, Untergang.

Ich sah den Kölner Dom schon in den Fluten versinken (so wie es auf dem SPIEGEL-Titel abgebildet war). Die Kirch ist ausgekehret / Die Städte sind zerhaun

War es denn so schwer zu sehen, dass die Atombomben noch immer in ihren Silos schliefen, die Seuchen zwar noch nicht in Europa, aber in anderen Teilen der Welt Fuß fassten, neue Kriege aufzogen? Das lag doch flach auf der Hand – und liegt es noch. Mir war es schwer zu begreifen, wie fast alle um mich herum so gefangen sein konnten, in ihrer ironischen Sicht auf die düstere Wirklichkeit.

Auf einer profanen Ebene spielte wohl auch mein eingedicktes Blut eine Rolle, meine schwarze Galle. Als Melancholiker, als Mann von Schwermut gezeichnet, liegt mir die Ironie nicht, habe ich nichts zu lachen, bin ich nicht leichtfüßig. Ich sehe schwarz, denn die Zukunft ist schwarz, wolkenverhangen, die Nacht schwingt ihre Fahn.

LK Die Zeit scheint dir Recht zu geben. Ich muss auch zugeben, damals schienst du uns ein wenig aus der Zeit gefallen. Aber selbst wenn du vielleicht weitsichtiger warst, so stellt sich ja dennoch die Frage: kann man wirklich ungebrochen an Expressionismus anknüpfen? Deine Antwort klingt sehr apokalyptisch, aber meine Erfahrung mit dir ist eigentlich eine andere. Ich kenne kaum einen Autor, der zu so viel Selbstironie fähig ist und über sich lachen kann. Und auch jetzt, wo die Pandemie eintraf, warst du keinesfalls der Verkünder des Untergangs, sondern hast die Dinge sehr ausgewogen betrachtet und wurdest dafür sogar heftig kritisiert. Auch hier fielst du in gewisser Weise wieder aus dem Rahmen, indem du dich nicht hast polarisieren lassen. Ich sehe also durchaus bei dir Ironie, auch in einigen Gedichten, und darüber hinaus sogar optimistische Momente. Obwohl ich deine ursprüngliche Abstoßungsbewegung jetzt sehr gut nachvollziehen kann, scheint mir die Anbindung an den Expressionismus – und das ist vermutlich gut so – nicht ungebrochen zu sein. Kommt diese Gelassenheit im Umgang mit der Tradition (also zum Beispiel affirmativ und ironisch gleichzeitig sein zu können) vielleicht daher, dass du in einer Künstlerfamilie groß geworden bist? Vielleicht kannst du dazu ein bisschen was erzählen?

FV Ich überzeichne natürlich, aber weniger mit den Mitteln der Ironie, als mit der Persiflage, der Travestie. Eine Spottdrossel bin ich eher und das schließt mich selbst ein, denn allzu bitter will ich dann doch nicht werden. Das hat auch etwas mit meinem zunehmenden Alter zu tun – man könnte es altersmilde nennen – und damit, dass ich zwei noch recht junge Kinder habe, die mir Hoffnung für die Zukunft geben.

Zudem habe ich nie gesagt, jedenfalls nicht ohne Ironie (da lugt sie dann doch plötzlich hervor), dass wir untergehen werden. Es wäre auch zu schade. Ich halte die Menschheit für die größte Errungenschaft des Universums, das Auge und das Bewusstsein des Alls.

Wir haben lange gesucht, SETI läuft seit dem 21. April 1960 (ziemlich genau zehn Jahre vor meiner Geburt) – und wir haben nichts gefunden. Die Methoden sind in den letzten sechzig Jahren besser geworden, feiner, doch immer noch kein einziges Anzeichen außerirdischen Lebens. Der Mensch scheint allein zu sein, auf einem durch ihn bedeutenden Planeten im letzten Drittel des Orion-Arms der Milchstraße. Ein Wunder, ein Schöpfer, der in der Lage ist, den Kosmos zu verorten, Gedichte über das Gewebe der Stern-Cluster zu schreiben, Gedichte über das Gewebe der Ganglien in seinem Kopf. So wie zum Beispiel die Expressionisten es taten, zumindest eine ihrer Fraktionen, die man Kosmiker nennen könnte.

Natürlich kann ich heutzutage nicht mehr selbst so schreiben, ich bin keine zwanzig mehr, ich habe zu viel gelesen, aber die Emphase, der unbedingte Glaube an das Poetische, der liegt noch tief in mir. Diese tiefe Verbundenheit zum Gesang in den Worten (man könnte auch Sound sagen) zeichnete Dichter wie Gryphius oder Trakl aus. Dem fühle ich mich nach wie vor nahe, wenn ich auch zwischenzeitlich nicht nur zu viel gelesen, sondern auch zu viel Filme geschaut, Games gespielt habe. All das fließt in mich ein, in meine Ganglien und somit in meine Texte. Dadurch ist ungebrochenes Schreiben nicht mehr möglich (nach all den Jahrtausenden des künstlerischen Schaffens der Männer und Frauen), mir jedenfalls nicht. Ich spreche Fraktur.

Ein anderer Aspekt ist, dass ich ein Außenseiter bin und immer war. Das ist nie Pose gewesen. Man könnte das den Kern meiner Kunst nennen, man könnte auch Autismus dazu sagen. Im Übrigen war ich nie aus der Zeit gefallen, wie du sagtest, sondern aus der Gesellschaft als solches. Ich hab mein Sach auf nichts gestellt. Diese Geisteshaltung ist es, die mich dazu zwingt, eine andere Position einzunehmen, als die vorherrschende. Sie schenkt mir einen kühlen Blick auf die Dinge. Mit ihm kann ich oft klarer auf die Zustände und Umstände sehen, als andere, kann mir einfach die Fakten über zum Beispiel eine Pandemie anschauen, sie mit anderen Pandemien vergleichen, die ich – kulturhistorisch – studiert habe die letzten Jahrzehnte. Und – vor allem dies ist wichtig –  ich habe keine Angst, den Mund aufzumachen, es kümmert mich nicht, was andere von mir denken, hat mich nie gekümmert.

Da war mir mein Vater ein Vorbild, mein Großvater auch (der Vater meiner Mutter) – beide Künstler, beide Denkmäler der Unabhängigkeit. In unserer Familie bin ich nun die vierte Generation Künstler (mein Sohn die fünfte, was mich sehr stolz macht). Das gibt mir Sicherheit, denn ich kenne es nicht anders, das ist die einzige Heimat aus der ich komme. Meine Art zu denken und die Welt in Bewusstsein zu nehmen ist schon Kunst, (epi)genetisch geprägt, mir eingeboren. Ich war mir immer sicher über mich selbst, über meinen Weg (ein sehr krummer Weg, aber das gehört dazu). Ein Weg in die Fremde.

LK Was mir gefällt, ist diese sozusagen kosmische Perspektive. Das ist eher selten, aber das hast du mit Daniel Falb gemein, der ja zu einem deiner Gedichtbände eine Kritik verfasst hat. Er verwendet in seinen Gedichten naturwissenschaftliche Erkenntnisse. Die spielen für dich als Hintergrundwissen auch eine große Rolle. Warum tauchen sie in den Gedichten nicht expliziter auf? Stört es das Liedhafte, von dem du gesprochen hast? Inwiefern würdest du, sicherlich anders als Falb mit seinen grotesken und diskursiv zersprengten Überspitzungen, in Gedichten eine Art Gegenwelt sehen bzw. was haben Gedichte dieser Schreckenswelt aus Krieg und Krankheiten, von der du sprachst, entgegenzusetzen? Und wie würdest du das Liedhafte, das du ja nicht umsonst auch als Sound bezeichnest, vom Song abgrenzen, von Liedtexten?

FV Die kosmischen, besser noch die astronomischen und exosolaren Themen tauchen sehr wohl explizit in meinen Gedichten auf, allerdings vor allem in denen, die nicht veröffentlicht wurden, sich nicht veröffentlichen ließen, weil die deutsche Verlagslandschaft – die kein Sternenfeld ist – offensichtlich nichts damit anfangen kann. Die deutsche Lyrik ist und bleibt irdisch, sie will nichts wissen von großen Fragen und Perspektiven, sie zieht sich zurück in persönliche Befindlichkeiten, ins Kleinklein der gefühlten Avantgarde (eine aufgekochte Suppe vor allem, kein Quantenschaum). Eine Gegenwelt scheint nicht mehr möglich zu sein, alles was über die distinguierte Unterhaltung eines angehippten Bildungsbürgertum hinausgeht, findet nicht statt, sei es die Gosse oder die Sterne.

Allenfalls der Song-Lyrik wird noch das Erhabene zugestanden, unter der Voraussetzung, dass sie das Erhabene in den Kitsch zieht. Leider verliert die Emphase damit das poetische. Das letzte Mal, dass eine Vermählung dieser zwei Aspekte im deutschen Song stattfand, war um 1990 in den Texten von Sven Regener für seine Band Element of Crime. Deren Platten aus den frühen 90ern gehören für mich zu der schönsten Poesie dieser Ära. Von diesen Songs, vor allem von ihrer Haltung zum Pathos, habe ich seinerzeit mehr gelernt, als von manchem Lyriker. Deshalb würde ich gute Songs auch niemals von guten Gedichten abgrenzen. Talent und Wille zur Wahrhaftigkeit sind alles, Kategorien der Ernsthaftigkeit sind nichts.

LK Zum einen muss ich hier widersprechen, weil du ja selbst eine Zeit lang ein Teil der Verlagslandschaft warst, indem du die Lyrikedition 2000 herausgegeben hast. Da hattest du ja also die Möglichkeit, es anders zu gestalten und hast diese Chance ja auch genutzt. Zum anderen nachfragen, was die Ernsthaftigkeit angeht. Wie meinst du das? Du klingst ja selbst sehr ernsthaft. Deine Ansichten scheinen nahezulegen, dass sich die großen Themen der Menschen nie ändern, und dass es deshalb keinen Fortschritt geben kann, auch nicht in der Kunst. Wie verträgt sich das zum einen mit deinen politischen Utopien, die du früher gehegt hast und was genau gibt Literatur einem dann? Warum das Elend noch verdoppeln? Oder wie geht daraus Erhabenheit hervor und was bringt sie einem.

FV Ja, ich habe seinerzeit versucht, einen neuen Weg für die Lyrik durch das Dickicht der Postmoderne zu schlagen. Die Lyrikedition 2000 war mir dafür die Machete. Nur gab es zwei Probleme. Zum einen musste ich mit dem arbeiten, was mir angeboten wurde, und das war eben auch dieser, unserer Ära verhaftet, und daraus ergab sich zum anderen, dass ich keine klare Linie in die Reihe bringen konnte. Letztlich war die Edition genauso zerfranst wie die Postmoderne selbst. Die hatte mir also ein Schnippchen geschlagen.

Das zweite Problem war die Unverkäuflichkeit vieler Bände, die ich herausbrachte – Lyrik ist ja sowieso kein Kassenschlager, aber was sich in dieser Hinsicht in der Lyrikedition unter meiner Ägide offenbarte, das war niederschmetternd. Manches Buch verkaufte sich kaum in zwanzig Exemplaren über einen Zeitraum von mehreren Jahren. Ich habe mein bestes gegeben, daraus folgte aber nichts und gefolgt ist mir erst recht niemand. Insofern habe ich die Chance zwar genutzt, bin aber krachend gescheitert.

Das hat natürlich auch etwas mit Marktmacht zu tun, doch vor allem war es mangelndes Interesse der Leserschaft und die setzt sich in diesem Genre ja vor allem aus Dichter*innen zusammen. Was mich zu einem anderen Aspekt bringt. Dieses Scheitern hatte und hat auch etwas mit der Klassenfrage zu tun, denn die in der Literatur herrschende Klasse – das wohlsituierte Bildungsbürgertum – scheint mir hoffnungslos zu sein, die Hoffnung auf Utopien verloren zu haben und somit die Kraft und das Pathos; die Begeisterung und das Schwärmerische, das immer mit der Utopie einhergeht, abzulehnen. Das Bildungsbürgertum bleibt im Kleinteiligen, im Klein-Klein.

Das alles hat natürlich auch mit der großen Verzweiflung zu tun, der man sich geradezu ergeben muss, wenn man in diesem Zeitalter lebt. Ich merke an mir selbst, wie ich mehr und mehr die Utopien ad acta lege und nur noch darum kämpfe, dass Demokratie und Umwelt in einem lebbaren Zustand erhalten bleiben. Wer mag noch von einer klassenlosen, gerechten Gesellschaft träumen, wenn russische Faschisten in der Ukraine einmarschieren und die Temperatur nicht nur in der Geopolitik, sondern auch in der Atmosphäre steigt?

Und doch – sollte nicht gerade die Lyrik dann das letzte Refugium sein, um alle Verzagtheit hinter sich zu lassen, um mit Ernst die Welt zu beschreiben?

LK Mit Ernst aber jenseits der Kategorien der Ernsthaftigkeit? Das wäre eine Formulierung, die mich an dein „Vorbild“ Gottfried Benn denken ließe? Man könnte es so formulieren: Getragen, aber zugleich lakonisch. Ist das der Schlüssel zu großer Poesie: die Tragweite begreifen, aber kein übermäßiges Aufheben drum machen? Ihr großer Trost, an die keine Utopie heranreichen kann, weil diesem Trost eingeschrieben ist Glück und die Tragik dieses Glücks, Größe und die Lächerlichkeit dieser? Habe ich dich richtig verstanden? Wenn du jetzt an Gedichte zurückdenkst, welche Zeilen begleiten dich noch immer – oder besonders jetzt.

FV Das „Vorbild“ kannst du gerne ohne Anführungszeichen schreiben. Benn hat mich immer begleitet, vom Beginn an. Früher habe ich mich ein wenig geschämt, dass er mir Vorbild ist – als Lyriker, nicht als politische Gestalt – heute habe ich damit meinen Frieden geschlossen, dass ich vom Heftigen komme, vom Barock, vom Expressionismus. Das ist mir ins Blut eingeschrieben, wie Gryphius gesagt, oder in die Gene, wie Benn es ausgedrückt hätte. Mein geistiger Phänotyp sozusagen.

Und, ja, getragen und zugleich lakonisch, dass ist die Haltung, die ich einnehmen will, die ich der Nachmoderne für angemessen halte. Eine Tragikomödie. Andererseits versuche ich natürlich noch immer, zum Kern der Dinge zu gelangen, zur Beschreibung dieses Kerns. Ich bleibe ernsthaft in meinem Handeln und Schreiben. Ohne Augenzwinkern, denn das Leben ist ja eine ernsthafte Angelegenheit. Und die Erkenntnis der einzige Ausweg aus seiner allumfassenden Tragik, die da ist: der Tod.

Deshalb auch ein paar Zeilen des Doktors für Haut- und Geschlechtskrankheiten zum Abschluss:


Durch so viel Formen geschritten,
durch Ich und Wir und Du,
doch alles blieb erlitten
durch die ewige Frage: wozu?

Das ist eine Kinderfrage.
Dir wurde erst spät bewusst,
es gibt nur eines: ertrage
– ob Sinn, ob Sucht, ob Sage –
dein fernbestimmtes: Du musst.

Ob Rosen, ob Schnee, ob Meere,
was alles erblühte, verblich,
es gibt nur zwei Dinge: die Leere
und das gezeichnete Ich.

(Gottfried Benn)

 

Das Gespräch führte Hendrik Jackson