Rezensionsentwürfe der TeilnehmerInnen zu Mayröckers „Scardanelli“

Rezensionen zu: Friederike Mayröcker, „Scardanelli“, Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main 2009, ISBN 978-3-518-42068-3, EUR 14,80

„sei du bei mir in meiner Sprache Tollheit“ (Markus Neuert)

Rund zehn Jahre sind vergangen, seit bei Suhrkamp Friederike Mayröckers „Scardanelli“ erschien, jene programmatische Einlassung der großen alten Dame österreichischer Lyrik auf die zweite, die abseitige Hälfte des hölderlinschen Lebens, in der der schwäbische Dichterfürst geistig umnachtet und meist unter eben jenem Pseudonym Scardanelli in seinem Tübinger Turm über dem Neckar weiterhin Gedichte schrieb. Es ist vielleicht kein Zufall, dass ein solches Buch, welches sich so angelegentlich mit den Alternativen zum vielgepriesenen rational beherrschten und beherrschbaren Leben beschäftigt, gerade in einer Zeit veröffentlicht wurde, in der das Ende der spätkapitalistischen Ära gekommen zu sein schien, als der drohende Zusammenbruch aller sicher geglaubten Gewissheiten weit über die Finanzwelt hinaus zu einer tiefgreifenden Verunsicherung unserer Lebensverhältnisse führte. Nun ist kaum anzunehmen, dass Friederike Mayröcker diese Koinzidenzen bewusst miteinander in Verbindung zu bringen gedachte; auffällig bleibt jedoch, wie sich der poetische Gehalt dieser mehrheitlich innerhalb weniger Monate im Jahre 2008 entstandenen Gedichte zu zentralen gesellschaftlichen Geschehnissen verhält, Parallelen aufweist, die gleichwohl tief in die jeweilige persönliche Psyche zu reichen vermögen.

Die Zeit, die eigene Zeit als Raum für das Erinnern, das Nicht-Vergessen, das Festhalten an der eigentlichen Existenz der Dichterin und den Sphären, in welchen sie in der Lage ist, mit den Lebenden wie auch den immer noch präsenten Toten zu kommunizieren: dies scheint der Ausgangspunkt zu sein für jene manchmal wie atemlos hingeworfenen Notate, die meist mit Datum, manchmal sogar Uhrzeit ihrer Entstehung versehen sind. Zu Scardanelli, dem Hauptgesprächspartner des lyrischen Ichs, der in vielfältiger Gestalt und Anrufung immer wieder präsent ist, gesellen sich Mayröckers verstorbener Lebenspartner Ernst Jandl sowie zahlreiche FreundInnen und DichterkollegInnen, deren Zitate sie in der ihr eigenen Lust am Collagieren ihren Texten einwebt:

„[…] da will ich sterben oder der Weidenkranz. Wir halten uns an / die Schrift weil 1 anderes Geländer haben wir nicht, Thomas / Kling. Der Kohlweiszling nämlich, der Vogel der Dämmerung / schwirrt unbequem vor das Auge mir, Waterloo mit Veilchen / und Blitzen

Diese Transformation echter Bezugspersonen der Dichterin Friederike Mayröcker zu literarischen Figuren als Projektionsflächen des lyrischen Ichs sind ein Faktor, der zum Gelingen einer tragenden Gesamttextur des vierzig Gedichte umfassenden Zyklus‘ maßgeblich beiträgt. Ein zweiter besteht aus ein paar wenigen Grundthemen und einer eindringlich wiederholten, jedoch nie überstrapazierten oder künstlich aufgesetzt wirkenden Metaphorik: die Sujets der Erinnerung, der Einsamkeit, der Angst vor dem Lebensende (Mayröcker war bei der Veröffentlichung von „Scardanelli“ immerhin auch schon 85 Jahre alt) werden anhand häufig wiederkehrender Motive verhandelt. Zu nennen wären etwa die „Schaafe“ (onomatopoetisch wirksam stets mit zwei a geschrieben), die „verborgenen Veilchen“, „Rosenkugeln“, „Leberblümchen“ – viel Blühen, Garten und Park ist in diesen Versen – aber auch die „kl. heilige Frau“, die Callas, Ortsnamen, die „T(h)ränen“ (gerne mitunter auch historisierend mit h) oder der „Schatten“. Die alles umspannende Klammer der Gedichte ist jedoch dieser innere Gleichklang mit und die Rührung des lyrischen Ichs durch die Figur des „ver-rückten“ Immer-noch-Dichters Scardanelli. Der Lyrikband ist geradezu beispielhaft für eine das einzelne Gedicht übersteigende intertextuelle Verknüpfungsleistung, die durch die zahllosen Zitate Lebender und Toter aus Werken, Briefen und Telefonaten auch weit über das eigentliche Buch hinausweist, neugierig macht auf Anschlusslektüren.

Ein weiteres bei Mayröcker stets wiederkehrendes Faszinosum ist eine Radikalität der Sprache, die sich dennoch mit einem hohen Grad an semantischer Vermittlungsfähigkeit paart. Das hängt nicht zuletzt mit der Musikalität der Verse, ihrem freien inneren Rhythmus zusammen, der die bei der Lektüre entstehenden Assoziationsketten mühelos in eins schlingt – und das sehr oft ohne echten syntaktischen Zusammenhalt: Sätze werden nicht zu Ende gebracht, müssen auch nicht zu Ende gebracht werden, weil ihre Vollendung im Geist des Lesepublikums wie von selbst entsteht:

„[…] als wir den Hang hinauf zu den Gehöften des Leopoldbergs nämlich / der Frühlinge Glanz sobald der Geist sich malt und dichtet, und / trotziger Sonne Strophe, während der Fliederbusch weht

So liest sich „Scardanelli“ im Rückblick sowohl als Analogie auf den Wahnsinn auch unserer ausgehenden Dekade mit ihren Kriegen, Wanderungsbewegungen und Heimatdiskursen als auch als immerwährende (und gleichzeitig nicht ganz unironische) Apologie des Verrücktseins dichterischer Existenzen („ich möchte / leben Hand in Hand mit Scardanelli“), die das eigene Schreiben als Ort für ein Ergriffensein, für die Reflexion über zu Erinnerndes begreifen, das verschüttet zu werden droht:

„[…] behutsam mit den Augen zu winken (mir nach) und liebkosen und / küssen mein letztes Gedicht: das eben fertig geschriebene aller- / letzte Gedicht und wie die Tränen drüberrollen dasz die Zeilen / zerflieszen nämlich 1 Zirpen das keiner mehr hört usw“

Marcus Neuert, Dezember 2019

 

Illuminiert von den Schaafen (Thomas Hashemi)

In ihrem dichten, neuen Band „Scardanelli“ spiegelt Friedrike Mayröcker sich in Hölderlin.

Wer ein Buch von Friederike Mayröcker liest, betritt eine eigentümliche Welt aus Biografie und sprachlicher Musik. In ihren Texten fließt ein Strom emotional intensiver, gedanklich nicht immer auflösbarer Bilder durch eine konstante biografische Landschaft aus vielen Namen und Erinnerungen, an Orte und Personen, besonders an ihre Kindheit und die Beziehung mit Ernst Jandl. Auch ihr Alltagsleben als alter Mensch findet manchmal Eingang und scheint überhaupt die Situation darzustellen, aus der gesprochen wird, aus der die Bilder- und Erinnerungsströme fließen, wie auch die Datierungen der Gedichte, die Mayröcker gerne vornimmt, nahelegen.

Auch „Scardanelli“, ihr neuester Band, fügt sich nahtlos in diese Mayröckersche Welt. Er besteht aus 40 datierten Gedichten, die bis auf die ersten beiden im Zeitraum zwischen Januar und September 2008 geschrieben wurden. Die Texte wirken sehr konzentriert, es ist kein ganz neues oder anderes Mayröckersches Schreiben, das sie zeigen, aber ein sehr dichtes, in bester Form könnte man sagen. Darüber hinaus besteht die Besonderheit und inhaltliche Klammer der Gedichte im Bezug auf Scardanelli, ein Pseudonym Hölderlins, unter dem er, krank und zurückgezogen im bekannten Turm lebend, in seinen letzten Lebensjahren schrieb.

Auf zwei Weisen fügt sich Hölderlin-Scardanelli in Friederike Mayröckers Schreibströme ein. Zum einen durch ziemlich frei verwendete Zitate, teilweise auch nur Hölderlin-Worte wie die „Schaafe“ und die „Veilchen“, die sie gerne einfügt und mit ihren eigenen Naturbildern verknüpft. Zum anderen ist Hölderlin bzw. Scardanelli als Figur präsent, in der sich Mayröckers lyrisches Ich spiegelt. Alter, Naturpathos und gewisse Entrücktheit sind die Gemeinsamkeiten, durch die Hölderlin zu einer Art Weggefährte wird.

Erstaunlicherweise tragen die Bezüge zu Hölderlin, obwohl sie zunächst wenig eingreifen in Mayröckers Schreibfluss, zu einer besonderen Bündigkeit und Konzentriertheit der Texte. Die ohnehin recht persönliche, d.h. sich auf sie selbst und Personen ihres Lebens beziehende Dichtung von Friederike Mayröcker wird durch sie an eine weitere Person oder Figur gebunden, die zwar nicht die Sprecherin ist, interessanterweise aber trotzdem als Projektionsfigur den Texten eine figurale Einheit gibt. Sie wirken so auf eine nicht ganz fassbare Weise doch als seien sie Ausdruck dieser Figur, eines alten, „irrwitzig“ gewordenen Dichters zwischen nahendem Tod und einem schwärmerischen, fast süchtigen Naturempfinden.

Die Bezüge zu Hölderlin kombinieren also ein intertextuelles Schreibverfahren mit persönlichen und biografischen Momenten der Figur Hölderlin. Damit verdoppeln sie genau die Mischung aus experimentellem Schreiben und greifbarer autobiografischer und emotionaler Realität, die ohnehin den speziellen Reiz von Mayröckers Texten ausmacht. Auch dies ein Grund, warum „Scardanelli“ als Band besonders stimmig wirkt.

Es ist zweifellos eine bewegende Dichtung, die Friederike Mayröcker schreibt, eine, in der die großen, ewigen Dichtungsthemen Tod und Liebe mit der ganzen Reflexivität der Moderne dargestellt und zum Klingen gebracht werden. Man wünscht sich, dass es ihr noch viele Male gelingt, so sprachlich vital über das Vergehen zu schreiben. So könnte man es fast akzeptieren.

Thomas Hashemi

 

(Patty Nash)

Die Gedichte in Friederike Mayröckers Scardanelli (Suhrkamp Verlag, 2009) erkunden die Bedingungen und Grenzen der zwischenmenschlichen Anrede. Kann man mit Abwesenden sprechen? Inwieweit ist Zitat eine Form von Dialog? Diese Texte wollen wissen, mit wem und wie ein Gedicht eigentlich spricht.

 

Der Titel von Scardanelli bezieht sich auf Friedrich Hölderlin, der in seiner zweiten Lebenshälfte mehrere Gedichte unter diesem Namen schrieb. Mayröckers Gedichte, chronologisch datiert zwischen Juni 1989 und September 2008, schreiben an, neben und mit Scardanelli. Sie interessieren sich für Benennungensowohl für ihre Präzision als auch für ihre Willkür. Vor allem jedoch spüren sie die Zusammenhänge nach, in denen Namen überhaupt relevant werden.

 

Neben Hölderlin adressiert viel von Scardanelli den im Jahre 2000 verstorbenen Dichter und Partner Mayröckers, Ernst Jandl („EJ“). Das zweite Gedicht im Band (datiert auf den 15/16.10.04) beginnt mit der Erkenntnis: “erschreckt zuweilen dasz der zu dem ich / spreche nicht da ist”. Aber die angesprochene Person in Scardanelli, hier enthalten in dem “zu dem ich”, wechselt häufig und unangekündigt.

 

Erinnerungen im Gedicht “an EJ” (“er lädt mich zum Essen es war schon Frühling wir waren / uns eins”, “1 Glas Rotwein und mehr ich blickte ihn lange an faszte / nach seiner Hand”) werden abrupt von Hölderlin unterbrochen: “Gängel- /bänden wie Kinder hält und es listet die Seele Hölderlin / Limonen”. Während sich das Ich erinnert, unterbricht die Sprache die Erinnerunginsbesondere durch anklingende Stimmen von Lyrik und Musik. Solche Referenzen prägen und lenken das Gefühlsleben des Ichs:

 

ach Venedig so unerreichbar, ich habe  

John Updike nie getroffen, nur eines seiner Gedichte gelesen, und in

den blauenden Nächten die riesigen Ulmen mit ihrer rissigen Haut

 

Auch wandelt sich das Ich im Laufe eines Gedichts. In “der lächelnde weisze Schwan auf dem weiszen Badetuch = Scardanelli Version” oszilliert Mayröcker zwischen persönlicher und literarischer Referenz: “da ich  / wie junge Füchse stanken (geographischen eltern)”, schreibt Mayröcker zunächst, bevor sie später als Hölderlin schreibt: “da ich / 1 Knabe war, Hölderlin, Rose von Schnee inmitten Frühling”. Und obwohl das Gedicht “Bedenken von der Liebe” in der dritten Person beginnt (“sie vermute der Flieder im Schulhof”), wandelt sich diese Subjektivität zu einer Ich-Position (“Scardanelli war mir viel zu teuer, der frommen Gärten, die Felder von / Beeren”), dann wiederum zur zweiten Person (“doch lächelst du”), und endet mit “wie Valerie B. sprach zu den Ringeltauben im / knospenden Kastanienbaum”.

 

Mayröckers Texte wirken seltsam stenografiert: das “ß” wird mit “sz” ausgetippt, die “eins” mit “1” ersetzt, und Gedichte enthalten idiosynkratische Satzzeichen wie “:”, “=”, und “/”. Einerseits verweisen diese Eigenschafte auf Mayröckers oft erwähnte “Maschine,” die Schreibmaschine, die die materiellen Bedingungen des Schreibens darstellt. Andererseits erproben diese Satzzeichen die plastischen Möglichkeiten der geschriebenen Kommunikation und wie weit wir Sinneswahrnehmungen abstrahieren können.

 

Kaum eine rhetorische Geste wirkt stärker als deixis, oder die persönliche Bezugnahme zu einem Objekt: “dieses,” “jenes,” und auch “damals” markieren ein intensives Verhältnis zu der Erfahrung, deren emotionale Wucht oft den Rest des Gedichts begleitet. Beginnend mit “jenes Eckchen von Erde mit dem blau bemalten / Hydranten”, endet das Gedicht “auf dem Coblenzl” nach zunehmender Gefühlsintensität mit einer plötzlichen Referenz auf den Komponisten John Dowland:

 

​​​​​ ​— ach es draengte mich deine

Hand zu ergreifen um dem Bedürfnis nicht nachgeben zu

müssen mich in den Abgrund zu stürzen (dem blütenlosen)

als das linke das kranke Auge zu thränen begann : die Wimper

1 reiner Brunnen pochend 1 Regengusz die Thränen die lachrymae,

John Dowland

 

Die verschiedenen Referenzen, Stimmen und emotionalen Landschaften in Scardanelli sind in einer intensiven subjektiven Erfahrung verankert – auch wenn diese Erfahrung sich der Leserin nicht direkt erschließt. Jedes Gedicht wird haargenau datiert, viele werden mit einer persönlichen Widmung versehen. Mayröckers Wiener Wohnung wird gelegentlich zum Hölderlinturm, ihre Einflüsse und Referenzen zu Gesprächspartnern. Diese Texte sind aufregende autobiographische Gedichte, die den Begriff des Autobiographischen erweitern.

Patty Nash

 

 

(Irina Bondas)

Friederike Mayröcker kann auf ein großes Leben und Werk zurückblicken. Und genau das tut sie auch mit diesem Band. Scardanelli versammelt 40 dicht geknüpfte Texttepiche, die wie tagebuchartige Momentaufnahmen erscheinen und in ihren Datierungen zwei Jahrzehnte umfassen, aber sich eigentlich über viele Jahrzehnte erstrecken, und vor allem über die Dauer eines menschlichen Lebens hinausweisen.

Der Titel spricht dabei in vielfacher Hinsicht sowohl von demspäten Hölderlin und seinen Transformation als auch von der eigenen Transformation; von einem Leben mit oder als Scardanelli; davon, wie ein Leben aufhört, wie vorher zu sein, davon, wie ein Leben aufhört.

Mayröcker bleibt sich treu in den eigenen Chiffren, aber vielleicht mehr denn je brechen andere Welten, andere Sprachen in diese 1 von ihr hinein. Die Gedichte handeln von Begegnungen und vom Verlust enger Menschen, dem Tod der Mutter, dem Austausch mit und Erinnerungen an Weggefährten wie Franz Josef Czernin oder Thomas Kling, sie lassen Bilder von Velazquez, Bücher von John Updike oder die Stimme von Maria Callas aufblitzen, aber vor allem treten sie in einen intertextuellen Dialog mit Autoren und ihren Texten. So wird Georg Kierdorf-Trauts Arbeit zu Tirol als „Wanderer mit Alpenhut und einer Blume in seiner Hand“ ins Gedicht geholt, oder Durs Grünbeins Schafe, oder Christel Fallensteins Welt, die sich bei der passionierten Archivarin und Chronistin Mayröckers seit langem vorrangig um ebendiese dreht. In den Gedichten wandelt sich Text in Erfahrung und Erfahrung in Text, als wäre die Versprachlichung von Erfahrung der aufrichtige Versuch, die Zeit anzuhalten.

Dabei ist Mayröcker nie alleine. Die Verse verweisen immer wieder an die geheimnisvoll simpel wirkenden letzten paar Dutzend Gedichte Hölderlins, die durch das formale Zerfaserndes harmonischen Weltlaufs tiefe Verzweiflung und ein unversöhnliches Zerwürfnis mit der Pragmatik offenlegen. Mal zitiert sie ganze Zeilen, mal einzelne Worte, baut um seine Themen, die Jahreszeiten, die Vögel, die Blumen herum. Immer wieder beschwört die bittersüße Exclamatio „Höld.“, einer vor „Mit Untertänigkeit – Scardanelli“ von Hölderlin verwendeten Signatur, was einst als heil und ewig gewähnt wurde. Aber das Ende liegt schon im Abbruch des Namens. Bereits mit 1989 ist das erste Gedicht datiert, darin ist Hölderlin schon im Turm und schreibt auf seinen Tod zu. Und die nächsten Gedichte überspringen zwanzig Jahre: Da wird aus Scardanelli nie mehr Hölderlin und Mayröckers Lebensgefährte und Seelenverwandter Ernst Jandl ist seit fast einem Jahrzehnt fort.

„erschrecke zuweilen dasz der zu dem ich // spreche nicht da ist,“ heißt es in dem Gedicht mit Scardanelli. In Mayröckers Band geht es natürlich um die offensichtlichste aller Leerstellen. Ernst Jandl wird zu Scardanelli, und damit muss sie zu Scardanelli werden, damit das Sprechen nicht abbricht. Kein Requiem für Ernst Jandl, kein Abschied oder Belebungsversuch kann die Zeit anhalten:

Vorfrühlingsmittag, sein Sacktuch (kariert) auf dem Gasthaus-

tisch die KNOSKE (nein, nicht Knospe) von Ponge –

das Nerven und Tanzen und in der Laube in der wir saszen sein

Herz (sein Schatten) das für mich schlug, jedes Eckchen der

Erde jede Hecke Halde Blume des Dichters : warme

Asche

 

Scardanelli ist ein vielschichtiges, hochkomplexes und geradezu kindlich intimes Werk einer Liebenden und einer Lebenden, die den Tod kennt.

Irina Bondas