zu falb, paem, Notizen

zunächst mal über die inhaltsangabe stolpern, dh. sie nicht als eine solche erkennen, sondern als text eigenen rechts lesen, eine anordnung von vier epigrammen nebst motto … und erst beim weiterblättern draufkommen, ah, was da eingangs angeordnet wurde, das waren die zusammenfassugen der vier texte, oder zyklen, oder wie sagt man, aus denen „orchidee und technofossil“ von daniel falb besteht.

dieses stolpern gehört zum formalen programm: der überschreitung der grenzen zwischen den ordungsebenen, zwischen karte und territorium bzw. karten erster, zweiter, dritter ordnung und einem territorium, das selbst in seinem sosein irgendwie „aussagekräftig“ gedacht scheint. über text nummer eins, „svalbard paem“, steht in jener inhaltsangabe beispielsweise:

I. Svalbard Paem

in dem der Saatentresor von Svalbard auf Spitzbergen, als ultimatives „Backup“ aller Saatgutbibliotheken auf der Erde, mit dem Archiv für Stimmen der Dichtung lyrikline.org überblendet wird, um das Gemeinsame des agrikulturellen Artensterbens und des gegenwärtigen Sprachensterbens herauszustellen. Weil es die Bedingung ihrer eigenen Existenz darstellt, bekommen die zukünftigen Lebenden auf der Erde und im Gedicht den Saatentresor und lyrikine.org nicht von ihrer Retina weg.

… und der text, der so beschrieben ist, besteht dann in bzw. aus einer beschreibung eines protagonisten namens „svalbard paem“, den wir uns als einen personifizierten text „svalbad paem“ zu denken haben, welcher sich in, wo sonst, svalbard, während einer führung in den gängen des saatentresors, übergibt; was er kotzt, sind samen; aber er ist natürlich nur virtuell da, und in wahrheit anderswo; und das ganze dann nochmal als parabel aufs aussterben von sprachen und die konservations-bemühungen, die von der seite lyrikline.org ausgehen – die im text ebenfalls doppelt erscheint, signifikat und signifikant zugleich.

… worte als samen, aus denen was wächst, das klingt noch unkompliziert; aber dann: zweierlei öffentliche archive; je bestimmte menschliche, soziale und wirtschaftliche einbettungen, die der betrieb jener archive bedingt, und zwar: die der jeweilige betrieb bedingt unter jenen umständen, denen der zeitgenössische literaturbetrieb unter dem header „anthropozän“ herr zu werden versucht, da „raumschiff erde“ und „tendenzieller fall der profitrate“ so abgeschmackt und ältlich tönen …

das klingt alles, ausgeschildert, eher theoretisch, wie eine übung in malen nach zahlen. dass es tatsächlich jedoch unterhaltsam ist, liegt erstens an dem der merkliche gusto, mit dem der verfasser auch zahlreiche „unnötige“ schlenker und girlanden um das strukturelle grundgerüst herum anordnet; und zum anderen, dass er seine selbstgesetzte vorgabe nicht als gar zu ernstliche meditation, sondern als unterhaltungsprogramm mit schauwerten ins werk setzt – spieltriebabfuhr unter den zugegeben verdüsteten himmeln des menschenzeitalters.

(zum spieltrieb gehören, nebenbei bemerkt, schon mal die bezeichungen „paem“ für den großtext und „tael“ fürs kapitel – poem und tale, schon klar, aber jeweils offengehalten zu, das großeganze zu „paian“, „pane“ [wie in „et circensis“…], „pain“, „pen“; die kleinere einheit zur „tal“ (sprache, erzählung, zahl, ziffer) …

(dass der spieltrieb sich „sachlich“ rechtfertigen lässt – es geht (auch) um das überleben bedrohter sprachen, also um mündlichkeit, also ist ernstliche rezeption von kinderreim und zaubervers und assoziativen volksetymologien – tal-tale-tell – nicht nur möglich, sondern gefordert. hussa! ab in den ballpit!)

dann noch eine äußerlichkeit, die sich aufdrängt: der trend zur kleinstschrift bei viel zeilenabstand in der zeitgenössische lyrik. er ist nicht neu, aber er wird mit der zeit mühsam. klar, was so organsierte schrift uns bedeutet: „ich bin präzise, ich knüpfe bei akademischer schreibe, und billig proletarisch produziertem dünndruck, und überhaupt bei allen möglichen un-repräsentativen, matter-of-factigen, dem fortschritt statt dem unfug angehörigen textwelten an … aaaber das alles nicht, weil ich keine wahl hätte.“ PLATZ ist ja gegeben: der ca. CEO in der reihenhaussiedlung …