Was hat die Debatte nun gebracht?

Wenn wir die Debatte um den Leonce&Lena-Preis mal auf ihren substantiellen Kern eindampfen, bleibt vermutlich nicht viel übrig, als dass Literatur, die aus gewissen Rahmen fällt, schlechte Chancen hat. Welche Rahmen das genau sind, da hat jeder eine andere Perspektive. Wenn wir jetzt die einen (zum Beispiel tatsächlich vielerorts dominierenden akademischen Rahmen) abschaffen, kommen, steht zu befürchten, andere, die wieder andere ausgrenzen. Diese Politlosungen, die so im Umlauf sind, verkleben dabei manchmal auf ungute Weise den Kopf. Was sie an Erkenntnisgewinn gegenüber Strukturen und Prämissen leisten, verlieren sie im selben Zug an ressentimentgenährte Instrumentalisierung, ja sie üben im Glauben an einfache Lösungen an jenem Verrat, indem das Kritisierte in anderer Gestalt in der Taubheit gegenüber Zwischentönen wiederkehrt. Das wird z.B. grotesk deutlich, wenn, wie zuletzt im SWR, queere Literatur in Wettbewerben gefordert wird, während über die queere Literatur eines der Preisträger geschwiegen wird (geschweige denn dass über seine Texte gesprochen würde).
Überhaupt scheint an Empirie kaum jemand interessiert. Wie sehen die Dinge tatsächlich, zum Beispiel statistisch, aus? Lieber verlässt sich manche/mancher auf Gefühl, auf Agenda zwecks Durchsetzung von Eigeninteressen und Streit: das ist spannender und wühlt die Weltbilder auf, zementiert aber letztlich die eigenen, gewachsenen Haltungen. Konstruktive Artikel wie der von Alexander Estis mit pragmatischen Vorschlägen zur Diversität gehen in dieser Gemengelage unter, das wirkt dann fast schon wie ein Offenbarungseid, was das angebliche Anliegen angeht. Es entsteht ein bißchen der Eindruck, dass jeder sein eigenes Empörungssüppchen kocht und die anderen Themen eher synergetisch ausbeutend einbindet. Gesten haben mehr mit der eigenen Erfahrungswirklichkeit zu tun als die Mühen der Differenzierung, Händel hat mehr suspense als poetische Texte, selbst im Lyrikmilieu.

Dabei wäre eine Aufmischung des Betriebs in Richtung aktuellerer Diskurse, die Abschaffung jener unterschwellig immer noch aktiven, einem alten Kunstideal verpflichteten Filter durchweg an der Zeit. Auch die Ermöglichung von Zugängen zur Anerkennung für diejenigen, die keine fancy Lobbyvertretung haben.

Das dürfte eine gewissenhafte und langjährige Arbeit an der Basis erfordern. Einstweilen tut manch VerlegerIn und VeranstalterIn mehr für alle Diversität als alle posaunigen Losungen und Debattenbeiträge, die den Siegertexten die gebührende Aufmerksamkeit wegnehmen. Insofern schien es interessant und richtig, zu diesen zurückzukehren und sich den Anlass der Debatte einmal genauer anzuschauen. Dankenswerterweise kam da Daniel Nartschick mit dem Vorschlag, sich die Texte im Detail anzuschauen, gerade richtig. Ich danke ihm für sein aufmerksames Protokoll.

Diese Vorrede ist, dies anbei, auch das Ergebnis einer Diskussionen mit Mara Genschel und Martina Hefter, die beide für einen anderen Umgang im Betrieb und eine Erneuerung der literarischen und wettbewerblichen Kriterien plädieren. Ich danke ihnen ebenfalls für ihre wertvollen Beobachtungen und Anregungen, auch wenn diese Diskussion hier nur unrepräsentativ als angeeignetes Extrakt aufschimmert. Sie soll weitergeführt und irgendwann auch entweder dokumentiert werden oder könnte in ein neues Format, das dann viele Menschen einbinden soll (ironisch einstweilen unter dem Namen „Konzil“ markiert), übergehen. Mal schauen, was Netzwerk Lyrik, Haus für Poesie u.a da so vorhaben und (evtl. zusammen mit lk) initiieren.

Hendrik Jackson